18.05.2015

Der Ruf der Kirche ist besser, als man meint

Von Martin Spilker, kath.ch / Andreas C. Müller

Am 11. Mai 2015 hat das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut St. Gallen SPI in Zürich die Ergebnisse seiner Studie zur Kirchenrepuation vorgestellt. Das Interesse war enorm: Über 180 Personen wollten aus erster Hand wissen, wie das Bild der beiden grossen Kirchen in dieser erstmalig erstellten Untersuchung gezeichnet wird. Das Ergebnis: Die Reformierten haben einen besseren Ruf als die Katholiken

Wie steht es um das Ansehen der beiden grossen Kirchen in der Schweiz? Gefragt wurde nach der Verbundenheit mit den Kirchen, nach der Qualität kirchlicher Dienstleistungen, des Seelsorgepersonals oder der Kirchenleitungen. Ein zentraler Punkt kam immer wieder aufs Tapet: Die persönlichen Erfahrungen mit kirchlichen Mitarbeitern prägen das Kirchenbild dauerhaft. Knapp 1 400 Menschen wurden in der Studie des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) St. Gallen und dem Zentrum für Kirchenentwicklung an der Universität Zürich befragt. Darunter befanden sich 360 angehende Primarlehrer und Primarlehrerinnen sowie Kindergärtnerinnen und Kindergärtner der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, 90 Theologiestudierende aller römisch-katholischen und evangelisch-reformierten Fakultäten der Deutschschweiz sowie 949 Mitglieder von Kantonsparlamenten. Sie alle vergaben Noten für den Religionsunterricht und erteilten Auskunft darüber, welche Gefühle und Begriffe sie mit der katholischen oder reformierten Kirche verbinden. Das Ergebnis? «Für Festtagsgottesdienste, Jugendarbeit und Diakonie erhalten sie gute Noten. Schlecht weg kommen Predigten und Erwachsenenbildung», resümiert  das Online-Portal der Reformierten «ref.ch». Zudem habe der Ruf der katholischen Kirche durch das Bekanntwerden von Missbrauchsfällen, durch Positionen in der Sexualmoral und der Gleichstellung der Geschlechter gelitten. In der ganzen Umfrage wurde demnahc die reformierte Kirche tendenziell besser bewertet.

Leistungen der Kirche werden im Alltag beurteilt
«So, wie uns andere sehen, das hat uns etwas zu sagen», machte Arndt Bünker, Leiter des SPI, bei der Präsentation der Ergebnisse deutlich. Klar musste sich die Studienleitung bei den Befragungen auf einen Ausschnitt der Gesellschaft beschränken. Mit den angehenden Primar- und Kindergartenlehrpersonen wurden junge Leute ausgewählt, die künftig auch das Bild der Kirchen vermitteln werden. Die Mitglieder von Kantonsparlamenten wurden wegen ihres besonderen Bezuges zwischen Kirche und Staat befragt. Und als dritte Gruppe wurden Theologiestudierende als künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Kirchen ausgewählt. Für Urs Winter-Pfändler vom SPI, der die Studie leitete und die Ergebnisse zusammenfasste, war es wichtig, etwas zu erfahren, aus dem für den Alltag in Pfarrei und Kirchgemeinde Konsequenzen gezogen werden können. «Das sind gerade nicht die grossen theologischen Fragen. Wir wollten dort hinschauen, wo die Menschen mit der Kirche unmittelbar in Berührung kommen», so Winter-Pfändler. Und die Antworten darauf, die stehen und fallen mit den Mitarbeitern vor Ort. Doch es gehe gerade nicht darum, die Kirche auf die Qualität von Produkten hin zu untersuchen, so Urs Winter-Pfändler. Die Dienstleistungen – oder Angebote – der Kirchen könnten aber sehr wohl ganz nüchtern gemessen und beurteilt werden. «Wenn ein Seelsorger bei einer Beerdigung immer wieder auf die Uhr schaut, dann ist das durch seine volle Agenda erklärbar. Aber bei der betroffenen Trauerfamilie bleibt ein schlechter Eindruck zurück», so der Studienleiter. «Unsere Studie hat viele Vermutungen bestätigt. Überrascht hat mich, dass die beiden Kirchen in der Wahrnehmung von aussen gar nicht so weit auseinanderliegen. Keine Überraschung ist hingegen die Erkenntnis, dass wo schlechte Arbeit gemacht wird, auch ein schlechtes Bild von Kirche vorherrscht.» Auch Thomas Schlag, Professor am Zentrum für Kirchenentwicklung, machte deutlich, dass jede geäusserte Kritik an der Kirche und ihren Mitarbeitern zu denken geben muss. Denn, so Schlag: «Wer im kirchlichen Dienst auftritt, der setzt sich aus und der muss Reaktionen annehmen können.»

Kirche braucht «heilige Erregung»
Nun könne, so der Theologieprofessor, Kritik als Risiko gesehen werden, als Bedrohung der eigenen Person und des Amtes. Kritik sei aber auch als Chance zu verstehen. Und dafür machte sich Thomas Schlag stark. Dass so viele differenzierte Rückmeldungen zu der Umfrage eingegangen seien, sei keine Selbstverständlichkeit. Die im Buch zusammengefassten Aussagen würden vielmehr zeigen, dass gegenüber den Kirchen ein grosses Vertrauenspotenzial vorhanden sei. «Die Kirchen müssen sich nicht vor Kritik fürchten», so Schlag weiter, sondern mit Wachheit und Aufmerksamkeit – er nannte es «heilige Erregung» – von dem reden, was sie ausmacht: Der Glaube an Jesus Christus. Das Hinschauen auf die Art und Weise, wie Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen – ob in der Seelsorge, der Verwaltung oder in besonderen Diensten – handeln, wurde als eine dere Hauptaufgaben für eine gute Reputation genannt. Die Sorge um das Personal, das Verhalten in Konfliktfällen, die Art und Weise, wie, wann und wo mit Informationen an die Öffentlichkeit gelangt wird, bei solchen Themen könne die Kirche von anderen Organisationen sehr viel lernen, ohne auf das spezifisch Christliche verzichten zu müssen, wurde verschiedentlich betont. Aber es gelte auch, zu den positiven Rückmeldungen Sorge zu tragen und den Blick über die Kerngemeinde hinaus zu richten. Denn auch der grosse Teil der kirchenfernen Personen trage zum Ruf der Kirche bei. Oder, wie es der Präsident der reformierten Landeskirche Aargau, Pfarrer Christoph Weber-Berg, erklärte: «Zwei Drittel der Einwohner sind bei einer der grossen Landeskirchen Mitglied, das ist positiv. – Es ist eine Frage der persönlichen Haltung der Kirchenvertreter, das auch als positiv anzunehmen.»

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