22.05.2015

«Die Diskussion erfordert mehr Demut»

Von Andreas C. Müller

Ob und wie weit die Präimplantationsdiagnostik künftig erlaubt sein soll, wird an der Urne entschieden. Paare, die eine künstliche Befruchtung vornehmen lassen, sollen mit einem Screening Embryos mit Chromosomenfehlern ausscheiden können. «Nein», heisst es meist aus Kirchenkreisen mit Verweis auf die Menschenwürde. Doch hinter den Meinungsfronten finden sich differenziertere Sichtweisen. Die Aargauer Spitalseelsorgerin Karin Klemm warnt vor einem moralischem Urteil, das Betroffenen und deren Situation nicht gerecht wird.

«Ja zum Menschen, Nein zur Präimplantationsdiagnostik», lässt die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz in einer Medienmitteilung verlauten. Die PID sei eine «Selektionstechnik, bei der man sich das Recht anmasst, zu entscheiden, wer es verdient zu leben und wer nicht.» Die Verlautbarung überrascht nicht. Ein Nein zur PID- Vorlage war von kirchlicher Seite zu erwarten. Umso mehr überrascht das Votum des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes SKF. Laut einer Medienmitteilung sagt er Ja zur Verfassungsänderung, über die am 14. Juni 2015 abgestimmt wird und welche die PID erlaubt. Der SKF macht die PID nicht nur zum Hauptthema seiner Delegiertenversammlung am 28. Mai 2015 in Liestal, er hat auf www.frauenbund.ch sogar einen Online-Meinungsfinder lanciert. Wer die Fragen beantwortet hat, erhält eine Einschätzung, wie er oder sie am 14. Juni 2015 abstimmen soll.

Ein langer und kostspieliger Weg
Auch Adriana W. (Name von der Redaktion geändert) wünscht sich mit ihrem Partner ein Kind. Dass es schwierig werden würde, war der 32-Jährigen schon länger klar, sie bekam ihre Periode nur unregelmässig. Schliesslich folgte der Weg zu den Ärzten: Beratungen, Abklärungen – auch in finanzieller Hinsicht. Die üblichen, nicht von der Kasse getragenen Kosten von gegen 8 000 Franken für einen Behandlungszyklus überstiegen das Budget der 30-jährigen Dentalassistenin und ihres ebenfalls vollzeit berufstätigen Partners. Die beiden konnten schliesslich in Basel im Rahmen einer Studie behandelt werden und mussten nur die Hälfte bezahlen. Es folgten verschiedene Untersuchungen, schliesslich wurden ihr Hormone verabreicht. Dann immer wieder Eingriffe. Geklappt hat es nicht.

Mit Respekt abwägen
Menschen, die wegen eines unerfüllten Kinderwunschs oder vorgeburtlicher medizinischer Abklärungen im Spital landen, hätten meist schon einen langen Weg hinter sich, weiss Karin Klemm, Seelsorgerin am Kantonsspital Baden. «Gerade Frauen sind hierbei bereit, Erstaunliches auf sich zu nehmen.» Hinzu kommen Ängste, welche eine Schwangerschaft überschatten. «Wird das Kind gesund? Was, wenn ich mich den vorgeburtlichen Vorsorge-Untersuchungen verweigere? Was, wenn ich diese Untersuchungen machen lasse und dann die Diagnose erhalte, dass mein Kind womöglich behindert oder krank zur Welt kommen wird?» Es seien schwerwiegende Entscheide, die getroffen werden müssten, in denen die Betroffenen trotz Gesprächen mit Fachpersonen oft ganz allein daständen, nicht selten auch ohne den Draht zum Partner, so Karin Klemm. Sich schliesslich angesichts einer Diagnose für oder gegen ein Kind entscheiden zu müssen, gehört wohl zum Schlimmsten, was werdenden Eltern zugemutet werden kann. Auf der einen Seite steht das bedingungsloses Ja zum Leben, auf der anderen Seite ein schwer belastendes Schicksal. «Ich kenne neben den Familien, die sich durch das Leben mit einem behinderten Kind reich beschenken lassen können, auch das Leid von Eltern, die ein behindertes Kind haben», erklärt Karin Klemm. Da sind Lebensentwürfe über den Haufen geworfen worden, es gab Entbehrungen, auch für bereits vorhandene Geschwister. Die Theologin, selbst Mutter, wünscht sich daher, «dass wir es schaffen, über PID zu reden, ohne den Respekt zu verlieren vor denen, die Angst davor haben, dass sie ein krankes oder behindertes Kind haben könnten. Es brauche es in der ganzen Diskussion um die PID viel mehr Demut als uns in offiziellen Verlautbarungen entgegenkomme, fordert die Spitalseelsorgerin.

Eigene Ängste
An die Angst kann ich mich, Verfasser dieses Artikels und selbst Vater zweier Kinder, noch ganz gut erinnern. Noch allzu gut weiss ich, wie wir als werdende Eltern zweimal bei der Frage nach «genaueren Untersuchungen» gekniffen haben. Aus Furcht, hernach einen Entscheid treffen zu müssen. Geblieben ist die Angst, was wird, wenn dann das Kind krank oder behindert zur Welt kommt. Immer wieder hat sie mich eingeholt, diese Angst – vielmehr Panik. «Das schaffen wir nicht», war immer wieder mein Gedanke. Je näher der Geburtstermin rückte, umso öfter habe ich gebetet, dass unser Kind ja gesund sein möge. Belastende Momente, die mit der PID zumindest jenen Paaren erspart werden können, die mit künstlicher Befruchtung auf Nachwuchs hoffen.

Gegner sehen Eltern aus der Verantwortung gezogen
Befürworter der PID führen ins Feld, dass kranke oder behinderte Föten später sowie abgetrieben würden. Darum doch lieber gleich im Labor vorsorgen. Kein Argument, findet Thierry Collaud, Theologie-Professor an der Universität Freiburg und Präsident der Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz. Die Kommission empfiehlt entscheiden, die Vorlage zu verwerfen. «Die spätere Ablehnung von Embryonen befürworten wir ebenfalls nicht. Aber da sind Eltern wenigstens mit der Verantwortung konfrontiert, einen Entscheid treffen zu müssen», erklärt Thierry Collaud auf Nachfrage. «Bei Annahme des PID-Gesetzesartikels am 14. Juni 2015 geschieht die Selektion im Labor, ohne dass sich die Eltern damit auseinandersetzen müssen.»

Die Frage nach dem Richtig oder Falsch
Natürlich kann man in Anbetracht der mittlerweile zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten zur Erfüllung eines Kinderwunschs die Frage stellen, inwieweit es denn ein Recht auf Nachwuchs gibt, wenn die Biologie versagt. Und solange wir im Mittelmeer Tausende Menschen ertrinken lassen, mutet unsere Diskussion über die Würde von ungeboren Leben vielleicht fast schon ein wenig grotesk an. Doch individuelle Nöte orientieren sich weder am Weltgeschehen noch an moralischen Beurteilungen. In der individuell empfundenen Not zählt die Möglichkeit, einen Ausweg finden zu können. Das ist nur allzu menschlich. Wo sich die Schweiz auf gesetzlichem Wege verweigert, werden Paare im Ausland für sich in Anspruch nehmen, was sie daheim nicht erhalten. Insofern stellt sich die Frage, ob die Gegner der PID nicht gleich argumentieren wie SVPler mit Blick auf die Gestaltung der europäischen Beziehungen. Das sei so nicht richtig, meint Walter Müller, Informationsbeauftragter der Schweizer Bischofskonferenz SBK. «Die Frage nach Ja oder Nein zu PID ist weder eine politische noch eine wirtschaftliche Frage. Es handelt sich um ein ethisches Problem. Bei der Beurteilung von ethischen Fragen kann man doch nicht einfach kopieren, was das europäische Umfeld macht.» Die Schweiz stünde ja nicht gegen den Rest von Europa, so Walter Müller weiter. «Längst nicht alle Staaten erlauben PID. – Die Schweiz hat die Chance, bei der Fortpflanzungsmedizin eine Haltung einzunehmen, die beispielhaft sein kann für andere Staaten. Es geht ja hier darum, das ethisch Richtige zu tun.» Das Richtige tun? Hiesse das, alle Staaten, die PID zulassen, handeln ethisch falsch? «Unser Ziel ist es, den Menschen Argumente an die Hand zu geben, um in einer ethisch wichtigen Frage entscheiden zu können», entgegnet der Informationsbeauftragte der SBK.

Falsche Sicherheit
Wie auch immer am 14. Juni 2015 entschieden wird: PID bedeutet keine Garantie für gesunde Kinder. «Eltern, die sich einer PID unterziehen, sind in Gefahr, sich in einer falschen Sicherheit zu wähnen. Das Leben in der Schwangerschaft, unter der Geburt und danach birgt immer Risiken. Immer kann etwas Lebensgefährdendes geschehen, daran wird auch die PID nichts ändern». erinnert Spitalseelsorgerin Karin Klemm.

Möglichkeit der Manipulation wird kritisiert
Stimmen wie jene aus der SBK haben demgegenüber weniger das individuelle Schicksal im Auge als vielmehr die Aussicht, dass am menschlichen Erbgut manipuliert wird. Mittels PID würden menschliche Embryonen ausgesondert, die nicht einer klar definierten Norm entsprechen, meint Thierry Collaud von der Bioethik-Kommission der SBK. «Das geht eindeutig in die Richtung, den Menschen zu verbessern. Unserer Ansicht nach verbessert man den Menschen nicht, indem man Schwächen ausmerzt.»

 

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