16.05.2015

Die schmale Brücke zur Einheit

Von Remo Wiegand

 

«In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete: Vater, ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir.»

Johannes 17,6a.11b (Auszug aus der Lesung zum Mediensonntag)

 

 Liebe Schwestern, liebe Brüder,

In einem Schulhaus stiess ich einmal auf Arbeitsblätter von Primarschülern. Sie hatten darauf die Aufgabe, das Vater Unser auswendig aufschreiben. Beiläufig schaute ich ein Blatt an – und musste unvermittelt loslachen. Dann war ich erstaunt. Schliesslich fasziniert. Eine Schülerin hatte darauf notiert: «… denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Ehrlichkeit… Amen.» Ehrlichkeit als Gottesgabe? Welch kindliche Weisheit!

Was aber hat Ehrlichkeit mit obigem Gebet aus dem Johannes-Evangelium zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Jesus betet darin nicht für Ehrlichkeit, sondern für die Einheit der entstehenden Christengemeinde. Die ersten Christen, so Jesu sehnlicher, quasi letzter Wunsch, sollen «eins sein wie wir», so intim nahe wie Jesus und sein Vater.

Die Sehnsucht nach Einheit treibt die Katholische Kirche und viele Gläubige bis heute um. Bisweilen bleibt es jedoch nicht bei der Sehnsucht: Der Ruf nach Einheit kann jäh in einen Appell, ja in einen Befehl umschlagen. Er dient dann auch dazu, Störenfriede und Aussenseiter zu massregeln, die unbequeme, aber auch ehrliche Fragen stellen. Zu diesen Störenfrieden zählen auch Journalisten.

Journalisten sind keine Heiligen: Manchmal vermengt sich ihre Kritik mit Überheblichkeit. Manchmal sind sie geblendet von der Macht ihres Wissens und ihrer Worte. Die meisten Medienschaffenden aber wissen, dass sie nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern Mittler zwischen Welten sind. Gewissenhaft versuchen sie, Brücken zu bauen. Zum Beispiel zwischen der Kirche und ihrer Botschaft und einer immer glaubensferneren Leserschaft.

Die Balance auf dieser Brücke zu halten ist gar nicht so einfach. Zumal dann, wenn Journalisten im Sold der Kirche stehen, wie bei den Pfarreiblättern. Die Versuchung und der Druck sind dann gross, die Brücke über einen Brückenkopf zu verlassen, in Richtung der Interessen der kirchlichen Arbeitgeber. Diese verstehen Kommunikation meist eher als gezielte Kundenwerbung und nicht als eigenständige Vermittlung. Journalismus aber muss sich immer eine gewisse Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit wahren, auch gegenüber den eigenen Vorgesetzten. So transportieren kirchennahe Medien manchmal ein harmonisch-heiteres Kirchenbild. Die Medienschaffenden, die potentiellen Störenfriede, sind darin gezähmt.

Doch beim anderen Brückenkopf, auf Seite der Lesenden, nimmt uns dieses Kirchenbild heute kaum noch jemand ab. Eine dauerpositive kirchliche Kommunikation ist nicht glaubwürdig. Sie zieht ihren Schatten, die vielen «bad news» über die Kirche in den säkularen Zeitungen, nachgerade an. Selbstredend sollen Medien über das viele Gute, das sich in der Kirche abspielt, berichten. Doch durch die Engführung darauf geht wertvolles Potential unabhängiger Publizistik verloren: Kritische Rückfragen, kreative Recherche, das Lancieren überraschender Debatten. Wo Medien dies beherzigen, wird das Bild von Kirche vielfältiger und glaubwürdiger.

Es wäre schön, wenn sich die katholischen Kommunikationsverantwortlichen und Medienschaffenden zu mehr Selbstkritik und Kreativität bekennen würden. Wenn sie darauf verzichteten, Selbsterhaltungskommunikation zu betreiben, die aus Angst um den eigenen Bestand nur «good news» verbreitet. Wenn sie ihren Redaktoren freie Hand böten, die ganze Bandbreite der Kirche zu zeigen: Die gut besuchte Rollstuhlwallfahrt nach Bad Zurzach ebenso wie den Streit im Pfarreirat von Gebenstorf, den bewegenden Gottesdienst mit Flüchtlingen nicht minder wie das gescheiterte kirchliche Hilfsprojekt. Eine Kirche, die zu all dem steht, würde nicht mehr versuchen, möglichst gut dazustehen. Sondern möglichst ehrlich. Die grösstmögliche Ehrlichkeit wäre der neue Kern kirchlicher Kommunikation.

Der Evangelist Johannes ermuntert die Christen immer wieder, nicht nur nach den Gesetzen der Welt zu funktionieren, sondern mit einen Bein bereits bei Jesu Vater im Himmel zu sein. Gott hat viele Namen, einer davon ist, wie uns die Primarschülerin lehrt, Ehrlichkeit. Ehrliche Kommunikation fördert das Verständnis füreinander, sie bewahrt die Glaubwürdigkeit der Kirche und führt letztlich zu einer Einheit, die wir nicht selbst herstellen können. Wenn Medien dieser Ehrlichkeit dienen, fördern sie im Umgang mit der Kirche deren Herrlichkeit am meisten. In Ehrlichkeit.

Amen.

 

Remo Wiegand

38-jährig, ist Theologe und freier Journalist, ehemals Redaktionsleiter des «auftrag» – der Zeitschrift für kirchlich Engagierte und religiös Interessierte.

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