26.09.2016

Erfahrung weitergeben

Von Anne Burgmer

Im April 2016 erschien das Apostolische Schreiben «Amoris Laetita» von Papst Franziskus. Es bündelt den zwei Jahre währenden katholischen Gesprächsprozess zum Thema Ehe und Familie und enthält konkrete Ratschläge für Pfarreien. Im August veröffentlichte das Aargauer Ehepaar Sara und Peter Michalik das Buch «Überraschung – 150 Eltern packen aus» und setzt damit um, was Franziskus rät. Horizonte hat das Ehepaar zu seinem Ratgeber befragt.

Seit 2009 führen Sie eine gemeinsame Praxis für Kinder, Jugendliche, Familien und Paare im Aargau. Sara Michalik-Imfeld, Sie sind Fachpsychologin für Psychotherapie mit Spezialisierung auf Kinder und Jugendliche; Peter Michalik, Sie sind diplomierter Paar-, Ehe- und Familienberater. Wann, wie und warum sind Sie auf die Idee zu diesem Buch gekommen?
Sara Michalik:
In allen Sitzungen mit Paaren und Eltern bekommen wir immer wieder diese Frage gestellt: «Ist das bei anderen auch so?» Eltern berichten oft, dass niemand offen mit ihnen darüber spricht, wie schwierig Erziehung ist und wie anspruchsvoll Kinder sein können. Sie haben daher das Gefühl, nur bei ihrer Familie sei es so schwierig, und nur ihre Tochter, ihr Sohn sei so anstrengend.
Peter Michalik: Irgendwann wollten wir es genauer wissen, haben eine Online-Umfrage gestartet und folgende drei Fragen gestellt: Was hat sich durch deine Kinder in deinem Leben und in der Partnerschaft verändert? – Was hast Du so nicht erwartet? – Was sollten werdende Eltern deiner Meinung nach unbedingt wissen?

War es schwer, Eltern zu finden, die mitmachten?
Peter Michalik: Zu unserem Erstaunen bekamen wir, nachdem wir die Fragen in den sozialen Netzwerken geteilt hatten, täglich im Durchschnitt drei Antworten über einen Zeitraum von zwei Monaten. Wir hätten nie mit so vielen Antworten gerechnet.

Wie waren die Reaktionen bei den befragten Eltern?
Sara Michalik: Vor allem offen und sehr ehrlich. Eltern berichteten aus allen Phasen der Elternschaft. Über alle Herausforderungen, die es nur geben kann. Aber auch über die vielen erfreulichen Dinge, die man als Eltern erlebt.

Wie sind die Reaktion bei Neu-Eltern und Menschen, die das Buch kaufen?
Sara Michalik: Die Reaktionen sind bei Eltern sehr positiv. Es hat eine entlastende Wirkung. Bei jungen Paaren ohne Kinder kommt schon mal die Frage: «Will ich das vorher alles wissen?».  Wir waren uns dieser Polarität bewusst und haben sie im Vorwort thematisiert.
Peter Michalik: Das Besondere an diesem Buch ist nicht der Blick hinter die Kulissen. Es sind vor allem die Strategien der Eltern, die in jedem Kapitel am Schluss aufgeführt sind. Diese sollen nicht eins zu eins übernommen werden, vielmehr stellen sie eine Ideensammlung dar, aus der man sich Anregungen holen kann.
Sara Michalik: Oder an der man sehen kann, wie andere Eltern verschiedene Herausforderungen gelöst haben.

Gibt es etwas, was Sie bei den Antworten inhaltlich überrascht hat?
Peter Michalik: Die Anzahl und der Umfang der Antworten war sehr beindruckend. Es haben 80 Prozent Frauen und 20 Prozent Männer geantwortet. Zwei Drittel der Befragten erwähnten als die grösste Herausforderung, Zeit als Paar, aber auch für sich selbst zu finden. Die am häufigsten genannten Herausforderungen, die ein Paar zu bewältigen hat, sind: Beziehung als Paar verändert sich – Elternrollen müssen definiert werden – Herkunft und Erziehung – Kind hat eine eigen Persönlichkeit.

Wäre es Aufgabe der Kirche, sich dort mehr zu engagieren, anstatt viele Dinge «nur» von der theologischen oder sozialethischen Seite anzuschauen ?
Sara Michalik:
Es könnte eine Aufgabe sein, Eltern dabei zu unterstützen und zu ermutigen, offen und ehrlich über die Herausforderungen der Elternschaft zu sprechen. Wir haben es selber bei uns, aber auch bei unseren Klienten erlebt, wie entlastend das sein kann. Zu wissen, «bei andern ist es auch so».  Hier könnte eine Unterstützung junger Eltern durchaus positive Auswirkungen auf die Scheidungsrate einer Beziehung haben.

Wäre es sinnvoll, solche «Von Erfahrenen für Neulinge» – Bücher auch in anderen Bereichen zu machen. Beispielsweise für Senioren?
Peter Michalik:
Ich glaube, gerade in der Übergangsphase (Pensionierung) wäre es sicher sinnvoll, an den Erfahrungen anderer zu partizipieren. Denn die Phase der Pensionierung wird oft als sehr einschneidend erlebt. Insbesondere in der Beziehung zwischen Mann und Frau. Aber auch für die persönliche Entwicklung.

Und junge Eltern? Worauf sollten diese besonders achten?
Sara Michalik:
Gerade weil junge Eltern ihre Aufgabe gut machen wollen, im Alltag jedoch feststellen, dass sie an ihre Grenzen kommen und überfordert sind, entsteht bei vielen der Eindruck, dass sie etwas falsch machen oder irgendwas nicht stimmt. Zum Beispiel, wenn man merkt, dass man an den Anschlag kommt oder das Kind einen bis zum Umfallen fordert oder provoziert. Es entsteht die Gefahr, dass man denkt, es muss immer alles gut sein, sonst ist es nicht normal.
Peter Michalik: Und besonders junge Eltern können sich dadurch umso mehr belastet und alleingelassen fühlen. Aber anstatt mit anderen Eltern über ihre Sorgen zu sprechen und sich so gegenseitig Unterstützung zu geben, suchen immer mehr lieber Fachpersonen auf oder lesen einen Ratgeber nach dem anderen. So werden normale kindliche Verhaltensweisen zu «Problemfällen» und normale Erziehungsaufgaben zu Schwierigkeiten, die scheinbar nur Fachpersonen lösen können. Die Verunsicherung bei vielen Eltern ist enorm. Und dann kann es passieren, dass aus einem normalen kindlichen Verhalten ein Problemfall gemacht wird.

 

Auf eltern-raten-eltern-forum finden Sie nähere Informationen zum Buch und Originalinterviews als Podcastst.

Beziehungs ABC des Ehepaars Michalik

Praxis Michalik, Aarau

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