21.04.2016

«Es lässt sich nicht alles mit Gesetzen regeln»

Von Remo Wiegand

Hilfswerke und NGOs wollen Konzerne mit der Konzernverantwortungsinitiative zu mehr Verantwortung verpflichten. Das katholische Hilfswerk Fastenopfer sammelte Unterschriften für das Volksbegehren, die Wirtschaft wehrt sich gegen neue Gesetze und an der Kirchenbasis ist das Anliegen nicht unumstritten, wie eine Abklärung von Horizonte ergab. Antonio Hautle kennt beide Seiten: Der langjährige Fastenopfer-Direktor leitet heute das Global Compact Netzwerk Schweiz – und glaubt nicht, dass die Konzernverantwortungsinitiative der richtige Weg ist.

Herr Hautle, Sie waren früher wirtschaftskritischer Hilfswerks-Direktor, heute zahlen Unternehmen ihren Lohn. Wie kam es zu diesem Seitenwechsel?
Antonio Hautle:
Ich sehe das nicht als Seitenwechsel. Ich habe mich schon während des Theologie-Studiums mit Unternehmensethik auseinandergesetzt, als das unter Ökonomen noch belächelt wurde. Heute sieht das anders aus: Fragen der sozialen Verantwortung und der Nachhaltigkeit stossen ins Zentrum der Unternehmen vor – endlich, muss man sagen. Das Global Compact Netzwerk Schweiz berät und vernetzt Firmen, die sich auf freiwilliger Basis dazu verpflichtet haben, die UN Global Compact Prinzipien zu erfüllen (siehe unten). Ich leiste hier eine Art Entwicklungshilfe, die oft effizienter ist als der Kampf für bessere Gesetze, die an den Landesgrenzen aufhören.

Ein Label für faires Wirtschaften – aber ohne unabhängige Kontrolle?
Ja, das kann man so sagen. Wer bei uns Mitglied sein möchte, muss sich mit einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu den zehn UN Global Compact-Prinzipien bekennen und jährlich über die gemachten Fortschritte berichten. Die Firmen erhalten dann die Auszeichnungen «Beginners», «Advanced» oder «Lead Companies». Zu letzteren zählt etwa Nestlé. Die Freiwilligkeit des UN Global Compact ist eine Stärke und eine Schwäche zugleich: Zum einen belohnen wir die Willigen, die, wie wir, der Überzeugung sind, dass sich ethisches Geschäften auszahlt. Andrerseits haben wir keine Sanktionsmöglichkeiten. Es wird aber diskutiert, das Label wieder abzuerkennen, wie es letztes Jahr beim Skandal bei Volkswagen geschehen ist.

Unternehmen haben bei Hilfswerken keinen guten Ruf, was die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten angeht. Zu Unrecht?
Es bleibt sicher sehr viel zu tun, insbesondere im Rohstoffsektor, der noch sehr intransparent ist. Es gibt Problemfelder wie die Korruption, die noch wenig angegangen wurden. Doch es ist viel passiert in den letzten 15 Jahren – bei ungemein komplexen Problemen: Nestlé zum Beispiel hat über 100 000 Zulieferfirmen, die ihrerseits wieder Zulieferer haben. Es ist eine grosse Herausforderung diese ganze Lieferkette darauf zu kontrollieren, dass Produkte nachhaltig und lückenlos nach Menschenrechtsstandards hergestellt wurden. Gerade den Grossunternehmen gebührt Anerkennung für ihre Bemühungen. Weniger fortgeschritten ist die Situation in den KMU, denen das Bewusstsein für internationale Zusammenhänge der Unternehmensverantwortung oft fehlt, die aber dafür weniger in der Kritik stehen.

Hilfswerke wie Fastenopfer glauben nicht, dass die Selbstregulierung der Unternehmen ausreicht. Sie setzen sie mit Gesetzesvorlagen und Kampagnen unter Druck. Ist das der falsche Weg?
Es braucht diesen Druck, es braucht auch eine kritische Öffentlichkeit, sicher. Es ist aber nicht unser Weg, wir setzen auf Kooperation. In Richtung der Hilfswerke sage ich aber auch klar: Es lässt sich nicht alles mit Gesetzen regeln. Die Unternehmen kämpfen jetzt schon mit einem kaum überblickbaren Gesetzesdschungel, der wirtschaftliche Aktivitäten zu ersticken droht. Da staune ich manchmal schon auch etwas über die Naivität gewisser Hilfswerksvertreter. Wenn ein Grossunternehmen seine ganze Lieferkette durchleuchten muss, stösst es an Grenzen.

Die Konzernverantwortungs-Initiative («Kovi») setzt die Unternehmen nun mit einer Gesetzesvorlage unter Druck. Lassen Sie mich raten: Als Global Compact-Vertreter müssen Sie dagegen sein, als Privatperson wären Sie dafür?
Beim Grundanliegen, dass die Unternehmen ethische soziale und ökologische Mindeststandards einhalten, sind wir uns einig. Die Frage ist, wie man dieses Ziel erreicht. Wir setzen auf den Dialog, auf Einsicht und Freiwilligkeit. Zur «Kovi» selber nimmt Global Compact nicht Stellung, das ist nicht unsere Aufgabe und wäre auch kontraproduktiv, weil es den Dialog mit den Unternehmen erschwert.

Aber als Fastenopfer-Direktor hätten sie die «Kovi» mitgetragen?
Ich habe viele Fragezeichen, zum Beispiel bei der Umkehrung der Beweislast, die unserer Rechtstradition völlig widerspricht. Die Missbrauchsgefahr ist sehr gross, wenn Unternehmen bei Vorwürfen ihre Unschuld belegen müssen statt umgekehrt. Ich zweifle, ob das ein guter Weg ist. Sicher wird die Wirtschaft geschlossen gegen die «Kovi» sein.

Selbst das ansonsten stramm wirtschaftsfreundliche Parlament liebäugelt aber mit mehr Regulierungen: Der Vorläufer der «Kovi», die Petition «Recht ohne Grenzen», wurde vor Jahresfrist im Parlament nur ganz knapp abgelehnt, nach massivem Lobbying der Wirtschaft.
Da wurde seitens der Wirtschaft vielleicht tatsächlich eine Chance verpasst. Die Petition war weniger streng formuliert, sie hätte den Dialog fördern können. Die Ablehnung war für die Hilfswerke ein willkommenes Argument für die «Kovi». Dadurch haben wir jetzt teilweise eine Polarisierung zwischen der Wirtschaft und den Hilfswerken.

 

UN Global Compact Prinzipien
Am Weltwirtschaftsforum von Davos 1999 forderte der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan die Wirtschaft erstmals auf, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Unternehmen können seither mit der UNO einen Pakt schliessen («Global Compact»), in dem sie sich zur Einhaltung menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Standards verpflichteten. Die zehn UN Global Compact-Prinzipien fordern unter anderem:
– Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte
– die Beseitigung von Kinder- und Zwangsarbeit
– einen vorsorgenden Einsatz gegen Umweltprobleme
– den Einsatz gegen Korruption
Heute haben sich rund 12 000 Unternehmen in 170 Ländern dem UN Global Compact angeschlossen. Das nationale Pendant der internationalen Initiative heisst Global Compact Netzwerk Schweiz. Rund 60 Schweizer Firmen gehören ihm an, darunter Grosskonzerne wie Nestlé, Kuoni oder ABB – Tendenz steigend.

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