14.07.2016

«Menschen, nicht Katholiken beerdigen»

Von Andreas C. Müller

Immer mehr Menschen stehen der Kirche distanziert gegenüber oder sind nicht mehr Kirchenmitglied. Doch gleichwohl wollen Ausgetretene ihre Kinder taufen lassen oder kirchlich heiraten. Und die Hinterbliebenen von Ausgetretenen wollen ein kirchliches Begräbnis. Die Seelsorger reagieren unterschiedlich – von zurückhaltend bis entgegenkommend.

Ueli Hess, Diakon in Bremgarten und Hermetschwil, steht immer mal wieder für Beerdigungen ausserhalb seines Pastoralgebiets im Einsatz. Unter vielen hat sich herumgesprochen, dass «der Ueli» keinen Unterschied macht zwischen treuen Kirchenmitgliedern und solchen, die der Kirche fern stehen oder gar ausgetreten sind. «Du kannst doch Barmherzigkeit nicht einfach nur predigen, du musst sie auch leben» erklärt der Leiter des Pastoralraums Bremgarten-Reusstal. Und er ergänzt: «In den sieben Werken der Barmherzigkeit steht nichts davon, dass ich nur Katholiken beerdigen soll, da ist von Menschen die Rede.»

Im April dieses Jahres hatte das Konsumentenmagazin K-Tipp für Aufsehen gesorgt, indem es behauptete, dass man auch nach einem Kirchenaustritt kirchlich heiraten oder eine Beerdigung durch einen katholischen Pfarrer verlangen könne. Die Vorenthaltung derartiger Leistungen sei «durch das Kirchenrecht nicht abgedeckt», erklärte das Konsumentenmagazin unter Berufung auf die Mediensprecher der Bistümer Basel und Chur. «Falsch», konterte demgegenüber die Römisch-Katholische Zentralkonferenz RKZ als Vertreterin der staatskirchenrechtlichen Körperschaften. Wer aus der Kirche austrete, habe keinen Anspruch auf kirchliche Dienstleistungen.

Zurückhaltendes Wohlen, entgegenkommendes Bremgarten

Recherchen von Horizonte ergaben, dass in der seelsorgerischen Praxis höchst unterschiedliche Haltungen vertreten werden. Kurt Grüter, Domherr und Pfarrer in Wohlen, erklärt gegenüber Horizonte: «Bei mir gibt es keine Dienstleistungen für Ausgetretene, ausser bei Taufen, wenn ein Elternteil noch katholisch ist.» Dies mit Konsequenzen für die Statistik: Unter den Beerdigten in der Pfarrei Wohlen gab es 2015 keine einzige konfessionslose, beziehungsweise ausgetretene Person, die von einem katholischen Seelsorgenden bestattet wurde. «Wir wollen die Ausgetretenen ernst nehmen, denn sie wollen mit der Kirche nichts mehr zu tun haben», präzisiert Kurt Grüter seine Haltung. «Wir sind als Kirche kein Dienstleistungsbetrieb. Wer von der Kirche etwas erwartet, soll auch solidarisch dabei sein.» Auf das Solidaritätsprinzip, so der Pfarrer, verweise er jeweils auch im Gespräch mit denjenigen, die austreten wollten. «Wer ausgetreten ist, hat im Grunde kein Anrecht mehr auf ein katholisches Begräbnis oder das Sakrament der Krankensalbung.» Und gleichwohl: «Je nach Situation wägen wir auch in solchen Fällen nochmals sorgfältig ab.»

Ähnlich die Haltung in Bad Zurzach. «Wir taufen keine Kinder, deren Eltern beide aus der Kirche ausgetreten sind», erklärt Pfarrer Raimund Obrist. Man halte sich an die allgemein gültige Regelung der Römisch-Katholischen Kirche gemäss Kirchenrecht. Bei der Beerdigung von Konfessionslosen wird im Einzelfall aufgrund eines Gesprächs mit den Angehörigen entschieden. «Einerseits gilt es, den Entscheid eines Menschen ernst zu nehmen, nicht (mehr) Mitglied der Kirche zu sein, andererseits sind da manchmal Angehörige, welche mit der Kirche verbunden sind, und denen eine kirchliche Feier etwas bedeutet.»

Anders die Situation in Bremgarten bei Ueli Hess: Von 30 Beerdigten im Pastoralraumgebiet Bremgarten-Reusstal  waren 2015 etwa fünf nicht mehr Kirchenmitglied. Hinzu kämen, so Ueli Hess, nochmals ungefähr zehn weitere Begräbnisfeiern von Ausgetretenen ausserhalb des Pastoralraumgebiets. Bei Hochzeiten, so Ueli Hess, erfüllten im Grunde ein Drittel die Voraussetzungen nicht. Entweder sei jemand geschieden oder nicht mehr Kirchenmitglied.

Zum Seelsorger anstatt zum Therapeuten

Erstaunlich: Sogar diejenigen, welche den Bremgarter Diakon in seelsorgerischen Belangen anfragten, seien in der Regel Distanzierte und Nichtmitglieder. «Im Jahr 2015 etwa ein Drittel Ausgetretene», erklärt Ueli Hess. Diese Menschen hätten ihn in Krisensituationen aufgesucht. Der Diakon vermutet vielfältige Gründe, warum Rat bei ihm und nicht bei einem Therapeuten gesucht wurde. «Möglicherweise geniesse ich besonderes Vertrauen», erklärt Ueli Hess schmunzelnd. Manche hätten wohl aber auch Angst, dass sie beim Therapeuten krankgeschrieben würden. «Und dann sind da noch jene, die sich den Therapeuten schlichtweg nicht leisten können. Die kommen zu mir oder ich gehe zu ihnen, weil ich gratis bin.»

Ueli Hess macht in diesen Begegnungen keinen Hehl aus seiner Stellung als katholischer Seelsorger: «Ich gehe auf die Anfragen ein, schlage aber sogleich für die Erstbegegnung das Treffen in der Kirche vor, wo ich dann oft eine Kerze anzünde und ein Gebet anbiete. Einige staunen dann, aber akzeptieren es.»

Kein Einzelfall: Getaufte Kinder von Ausgetretenen

Dass Ausgetretene Ueli Hess darum bitten, ihr Kind zu taufen, komme eher selten vor. Umso beeindruckender die jeweiligen Umstände. Der Bremgarter Diakon berichtet von einem Paar (beide ausgetreten), das bald ihr Kind in der Pfarr- und Klosterkirche Hermetschwil taufen lassen wird. «Im Grunde tief religiöse Menschen», erklärt Ueli Hess. Beide hätten aus Enttäuschung angesichts der vielen Missbrauchsfälle den Austritt gegeben. Ein Exempel habe man statuieren wollen, so der Vater, erinnert sich Ueli Hess. «Ich habe mir Zeit genommen, dieses Paar in ihren Beweggründen und Bedürfnissen zu verstehen und konnte beiden Elternteilen das Versprechen abringen, dass ihr Kind später den kirchlichen Religionsunterricht besucht und die Erstkommunion machen darf – und einen Paten bringt, der katholisch ist.»

Auch Beat Niederberger, Leiter des Pastoralraums Region Aarau, hat im vergangenen Jahr in der Pfarrei Schöftland ein Kind getauft, «bei dem beide Elternteile ausgetreten sind». Wenn eine ausgetretene Person mitbetroffen sei, spreche er das in der Vorbereitung bewusst an, erklärt Beat Niederberger. «Auch, um zu klären, ob die ausgetretene Person zu dem stehen kann, was da gefeiert wird. Das gibt immer wieder sehr intensive, spannende Gespräche.» Er pflege sehr bewusst die Haltung der Offenheit und Barmherzigkeit, so der für Schöftland zuständige Gemeindeleiter unter Verweis auf die Botschaft von Papst Franziskus: «Es ist eine Chance, mit den Leuten wieder in Kontakt zu kommen, neue Beziehungen zu knüpfen. – Ich habe das bisher immer als sehr wertvoll erfahren und mich noch nie missbraucht gefühlt.»

«Für Leistungen nicht zahlen, ist nicht katholisch»

Wie beurteilt man seitens der staatskirchenrechtlichen Körperschaften, wenn Seelsorgende keinen Unterschied zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern machen? Immerhin wird das Seelsorgepersonal ja aus Kirchensteuern an Kirchengemeinden und Landeskirchen bezahlt. «Wenn ein Seelsorger die Chance sieht, den Bezug wiederherzustellen oder im Einzelfall den Menschen über alles stellt, dann ist das kein Problem», erklärt Luc Humbel, Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau und Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz RKZ. Wenn Seelsorgende allerdings aus Überzeugung Leistungen gegenüber Nichtmitgliedern anböten, dann müsse das Gespräch gesucht werden, so Luc Humbel.

Luc Humbel räumt allerdings ein: «Man kann einen partiellen Austritt machen.» Das heisst, man tritt aus der Landeskirche aus, verpflichtet sich dann aber zu einem Solidaritätsbeitrag an das Bistum. Das sei mit dem Bistum so vereinbart, erklärt Luc Humbel. Grundsätzlich gelte: «Man kann nicht Mitglied der Römisch-Katholischen Kirche sein und nicht an der Solidarität partizipieren. Das geht nicht, das ist nicht katholisch.»

Glaubensgemeinschaft und Landeskirche «nicht identisch»

Bei den Bistümern verweist man gern auf ein Bundesgerichtsurteil, das zum Thema «partieller Kirchenaustritt» im Jahre 2012 von sich reden gemacht hatte. «Wir halten uns an dieses Bundesgerichtsurteil», erklärt Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter beim Bistum Chur, auf Anfrage. «Darin heisst es: Die Mitgliedschaft zu staatskirchenrechtlichen Körperschaften ist nicht identisch mit der Zugehörigkeit zur Römisch-Katholischen Kirche als Glaubensgemeinschaft. Das Bundesgericht unterscheidet diese beiden Ebenen.» Das Kirchenrecht kenne keine Steuerpflicht, sondern lasse offen, wie jemand Solidarität übe, etwa durch freiwillige Spenden. Seelsorgende sollten an die Solidaritätspflicht erinnern, aber nicht das Steuersystem dogmatisieren, so Giuseppe Gracia.

«Kirchensteuern oder Solidaritätsbeiträge sind nicht Teil eines Geschäftsmodells», meint auch Hansruedi Huber, Mediensprecher beim Bistum Basel, fügt dann aber an: «Es geht um die Solidarität innerhalb der katholischen Glaubensgemeinschaft. Jemand, der nicht bereit ist, an diesem christlichen Grundprinzip teilzuhaben, muss vermutlich seine Glaubensüberzeugung hinterfragen.»

Unterschiedliche Haltungen sorgen für Verstimmung

«Klar ist die seelsorgerische Praxis auch im Kirchenrecht geregelt», erklärt Diakon Ueli Hess. «Wir müssen uns aber als Seelsorger immer überlegen, wie wir mit dem Gesetz umgehen. Das Gesetz ist für den Menschen da. Mir ist wichtig, dass Menschen zu ihren religiösen Wurzeln zurückkehren.» Und nach einer kurzen Denkpause ergänzt Ueli Hess: «Es stimmt, dass ich mich gegenüber den Kirchgemeinden und gegenüber der Landeskirche mit meiner pastoralen Haltung nicht solidarisch verhalte.»

Seelsorger wie Ueli Hess ecken an. Raimund Obrist, Pfarrer in Bad Zurzach bekundet explizit Mühe «mit Kollegen und Kolleginnen, die ohne Rücksprache mit dem zuständigen Ortsseelsorger eine Taufe in ihrer Pfarrei vornehmen, bei der die Eltern beide aus der Kirche ausgetreten sind.» So geschehen bei einem Paar (beide aus der Kirche ausgetreten), das nach Bad Zurzach gezogen sei und dort wegen der Taufe ihres Kindes angefragt habe. Nach abschlägigem Bescheid, so Raimund Obrist, hätten die Eltern die Taufe in ihrer vormaligen Wohnpfarrei realisieren können.

Recherchen von Horizonte ergaben, dass sich die meisten Seelsorger gegenüber Ausgetretenen oder Konfessionslosen nicht grundsätzlich verweigern. Wichtig sind aber zwei Aspekte: Zunächst einmal, so Daniel Kyburz, Gemeindeleiter in Döttingen, «sollte mindestens ein Elternteil bei Taufen, beziehungsweise ein Partner bei Eheschliessungen, katholisch sein». Darüber hinaus, so Christoph Cohen, Diakon und Gemeindeleiter in Rohrdorf, sollten Ausgetretene und Konfessionslose «glaubhaft darlegen, dass sie sich der sakramentalen Handlungen positiv gegenüberstellen».

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