04.01.2017

Über Migration diskutieren, nicht nur reden

Von Andreas C. Müller

Der kantonale Beauftragte der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau an der Kanti Baden holt vom 30. Januar bis 3. Februar 2017 ein Ethik-Atelier zum Thema Migration nach Baden. Das Ganze funktioniert als Workshop und steht auch ausserschulischen Gruppen zur Verfügung. Im Interview mit Horizonte erklären Benjamin Ruch und Atelier-Erfinder Johan Rochel, wie das Atelier funktioniert, was es der Stadt Baden bringt, und warum auch der Badener Stadtrat samt seinem Stadtammann Geri Müller das Atelier besucht.

Herr Rochel, Sie haben ein Ethik-Atelier zum Thema Migration konzipiert. Wie kam es dazu?
Johan Rochel: Der Ausgangspunkt war ein Wissenschaftskommunikationsprojekt. Innerhalb desselben habe ich zur Ethik in der Migrationspolitik doktoriert und fand’s schade, die daraus resultierenden Ergebnisse einfach in der Schublade verschwinden zu lassen. Es entstand die Idee, für die Öffentlichkeit ein Debatierformat zu schaffen. Unterstützt wurde ich bei diesem Vorhaben von «foraus«, dem Schweizer Think-Tank zur Aussenpolitik, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und verschiedenen Stiftungen.

Herr Ruch, Sie holen nun dieses Atelier nach Baden. Warum?
Benjamin Ruch:
Spannend dünkt mich, dass es von der Ethik und von der Philosophie her kommt. Das bietet die Möglichkeit, sich auf einer neuen Ebene mit dem Phänomen Migration auseinanderzusetzen.
Johan Rochel: Mein Anliegen ist es, Raum zu schaffen für eine ethische Debatte, die in dieser Form zum Thema Migration so nicht stattfindet. Über Migration wird viel geredet, aber eine Auseinandersetzung basierend auf persönlichen, ethischen Überzeugungen, findet meines Erachtens viel zu wenig statt.

Was heisst das konkret?
Johan Rochel: Es gibt keinen Gast, der referiert. Alle müssen sich beteiligen. Das Atelier funktioniert wie ein Workshop. Ausgangslage ist jeweils eine ethische Frage. Zum Beispiel: Wer soll überhaupt als Flüchtling gelten? Oder: Inwieweit sollen Migrantinnen und Migranten bei politischen Entscheiden in unserem Land mitbestimmen dürfen?
Benjamin Ruch: Das Atelier funktioniert partizipativ und bietet Möglichkeiten, sich in verschiedene Rollen und Haltungen hineinzuversetzen.

Und das funktioniert?
Johan Rochel: Auf unserer erste Tournee gastieren wir an acht Orten in allen Schweizer Sprachregionen. Vor Baden haben wir verschiedene Städte in der Romandie besucht: Monthey, Neuchâtel, La Chaux-de Fonds. Die Rückmeldungen waren positiv und wir haben bereits Interessantes feststellen können.

Zum Beispiel?
Johan Rochel: In Neuchâtel beispielsweise gibt’s bereits das Ausländerstimmrecht. Die Frage, ob Ausländer mitbestimmen dürfen, wurde nicht kontrovers diskutiert. Andernorts hingegen schon. In La Chaux-de-Fonds wiederum spielte die Grenzproblematik eine Rolle. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch in Kreuzlingen und Mendrisio, wo wir ebenfalls hingehen werden, ein Thema sein wird. Insofern glaube ich, dass weniger Sprachregionen, als vielmehr lokale und regionale Gegebenheiten ausschlaggebend für vorhandene ethische Überzeugungen sind.

Was erwarten Sie für Baden?
Johan Rochel: Ein grosses Interesse. Immerhin haben sich bereits der Stadtrat samt Stadtamman Geri Müller angemeldet.
Benjamin Ruch: Und an der Kanti Baden, wo das Atelier gastiert, haben sich bereits zwölf Klassen angemeldet. Es werden mit Sicherheit noch weitere hinzukommen.

Was hat der Badener Stadtrat davon, wenn er dieses Atelier besucht?
Johan Rochel: Unser Ziel ist auch ein Input für die politische Diskussion vor Ort. Die Stadt, in der wir sind, ist immer wieder Bezugspunkt für die Diskussion. Zum Abschluss erstellen wir ein Fazit zuhanden der politischen Behörden. Vor diesem Hintergrund dürfte sich der Badener Stadtrat bestimmt ein Bild machen wollen.

Das Atelier richtet sich also nicht primär an Jugendliche und junge Erwachsene?
Johan Rochel: Dass wir in Baden an einer Schule gastieren, ist Zufall. Bis anhin waren wir zu gast in Kulturinstitutionen – in Theatern und Museen. Gewiss: Die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist uns wichtig. Wir wollen aber auch darüber hinaus verschiedene Bevölkerungsgruppen ansprechen.
Benjamin Ruch: So soll der Diskurs am jeweiligen Standort für eine breite Öffentlichkeit offen stehen, beispielsweise für lokale Parteien, Vereine, kirchliche Gruppierungen…

Herr Ruch, wo sehen Sie für sich als Theologe und für Ihre Schule Anknüpfungspunkte?
Benjamin Ruch: Mich interessiert beispielsweise, ob die von der Kirche vertretenen Positionen eine Rolle spielen, ob es Bezugspunkte zur biblischen Tradition im Umgang mit dem Fremden gibt. In der Bibel gibt es immer weder Migrationsgeschichten… Und für unsere Schule dünkt mich wichtig, dass wir an der Migrationsthematik dranbleiben und in diesem Zusammenhang einmal etwas Neues versuchen. Von der Form her ist das Ethik-Atelier bestimmt ein Experiment. Mal sehen, wie es ankommt, und ob sich das vielleicht auch für andere Themen an unserer Schule eignet.

Infos:
Das Ethik-Atelier gastiert vom 30.Januar bis 4. Februar 2017 an der Kantonsschule Baden (Seminarstrasse 3) und empfängt jeweils von 17 bis 22 Uhr angemeldete Gruppen. Gruppen bis 25 Personen können sich für eine geführte Teilnahme per Mail anmelden: rochel@ethiqueenaction.com

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