06.11.2016

Was Flüchtlinge erleben und sich wünschen

Von Andreas C. Müller

Rund 250 Flüchtlinge trafen sich diesen Samstag, 5. November 2016, auf Einladung der Caritas in der Aarauer Schachenhalle. Auf dem Programm standen moderierte Gruppengespräche über Integrationserfahrungen, die zusammen mit individuellen Fragebögen an der Fachhochschule ausgewertet werden.

Tibeter, Afghanen, Somalier, Kurden, Eritreer, Pakistani – in Sprachgruppen zusammengefasst sitzen Menschen unterschiedlicher Herkunft an etwa zwanzig grossen Tischen und berichten von ihren Erfahrungen in der Schweiz. Die Gruppen umfassen etwa zehn bis zwanzig Personen. Je eine dreiköpfige Gesprächsleitung moderiert, übersetzt und protokolliert.

Flüchtlinge zu Wort kommen lassen

Gekommen sind sie aus allen Regionen des Kantons, erklärt Projektleiter Beat John von Caritas Aargau. Am meisten aus der Region Aarau/Suhr, gefolgt von Brugg/Baden. Es seien aber auch Leute aus Rekingen, Kaiserstuhl oder Oftringen anwesend – also aus Peripherie-Regionen.

Das Ziel des Anlasses? Man wolle gezielt etwas über die Erfahrungen im Zusammenhang mit Integration von Flüchtlingen in der Schweiz erfahren, so Projektleiter Beat John. «Welche positiven und negativen Erfahrungen gibt es? Wie stellen sich Flüchtlinge Partizipation vor?» Man rede hierzulande viel über Flüchtlinge, so Kurt Brand, Co-Geschäftsführer bei Caritas Aargau. Doch hätten Flüchtlinge keine Möglichkeit, ihre Erfahrungen auszutauschen. Aus diesem Grund sei die Idee entstanden, einen solchen Anlass auf die Beine zu stellen.

Schweizerinnen und Schweizer nicht immer hilfsbereit

«Die Atmosphäre bei meinem Arbeitseinsatz war nicht gut. Es war kalt, Lohn gab es keinen», übersetzt Eden zuhanden der Protokollführerin Karin von Arx die Rückmeldung eines Eritreers an einem der «Tigrinya-Tische». Ob es denn gleichwohl etwas gegeben habe, was er positiv erlebt habe, fragt Moderator Michael Egli zurück. Den Kontakt mit anderen Menschen, so die Antwort des Eritreers an die Übersetzerin. Arbeiten wolle er, aber respektvoll behandelt und entlöhnt werden.

Die Teilnehmenden am Tisch beteiligen sich rege am knapp zweistündigen Austausch. Auch Mütter können sich einbringen, für die Kinder gibt es ein Betreuungsangebot. Am Eritreertisch von Michael Egli zeigt sich: Die meisten Hürden bei der Integration ergeben sich aufgrund von Verständigungsproblemen. Darüber hinaus beklagen Anwesende, dass Schweizerinnen und Schweizer nicht immer nur hilfsbereit seien und es schwierig sei, in einem Verein Fuss zu fassen.

Zu wenig Deutschkurse für Flüchtlinge

An einem anderen Tisch tauscht sich Caritas Aargau Co-Geschäftsführerin Regula Kuhn mit syrischen Flüchtlingen aus. «Die meisten waren in Syrien Anwälte, Ärzte und Lehrer. Sie wollen jetzt so rasch und so gut als möglich Deutsch lernen», resümiert Regula Kuhn gegenüber Horizonte. «Und um dieses Ziel erreichen zu können« so Regula Kuhn weiter, gibt es für die Flüchtlinge zu wenig Angebote, das wurde auch entsprechend beklagt.»

Auf die Frage, welchen Stellenwert für die Anwesenden denn Partizipation habe und wie das zum Ausdruck gekommen sei, entgegnet die Caritas Co-Geschäftsführerin: «Diese Frage war für die meisten Anwesenden eine Überforderung.» Klar, die Teilnahme mit Kindern an einem Räbeliächtli-Umzug oder das Mitmachen in einem Verein seien schon Thema gewesen, aber für die meisten sei noch nicht einmal klar, was denn überhaupt ein Verein sei und wie dieser funktioniere.

 Wenn alle sich eine Stunde Zeit nehmen würden…

Der Anlass wurde massgeblich mitgetragen von Freiwilligen, die Getränke und Essen bereitstellten oder sich in verschiedenen Gesprächsgruppen beim Protokollieren engagierten. So auch Paula Blöchlinger, die am Syrien-Tisch von Regula Kuhn protokollierte. «Wenn sich nur jeder, der Zeit hat, mal eine Stunde nähme, um sich mit einem Flüchtling zu unterhalten, würde das enorm viel bringen», glaubt sie.

Olivia Conrad und Joëlle Senn werden bis Januar 2017 die Gesprächsprotokolle zusammen mit individuellen Fragebogen auswerten. Es handelt sich hierbei um ein Projekt, das die beiden Studierenden der Fachrichtung Soziale Arbeit im Rahmen ihres obligatorischen Forschungsschwerpunkts an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Zusammenarbeit mit Caritas Aargau aufgegleist haben.

Auswertung durch Fachhochschulstudierende bis im Januar

«Ich bin gespannt, wie wichtig den Flüchtlingen Partizipation ist», erklärt Olivia Conrad mit Blick auf die bevorstehende Auswertungsarbeit. Auf erste Eindrücke angesprochen erklärt die Studentin: «Es wird bestimmt ganz Verschiedenes zusammenkommen – genauso, wie sich die Diskussionen an den Tischen unterschiedlich entwickelt haben, teils mit Verständigungsproblemen zu kämpfen hatten oder bei einzelnen Punkten länger verblieben sind.» «Flüchtlingsgruppen wie beispielsweise die Tibeter, die bereits länger in der Schweiz sind», so glaubt Caritas Aargau Co-Geschäftsführer Kurt Brand, «werden bestimmt differenziertere Rückmeldungen geben können als Kontingentsflüchtlinge.»

Nach Abschluss der Gesprächsrunden präsentieren verschiedene Formationen kulturelle Darbietungen. Tamilische, eritreische, persische und kurdische Klänge erfüllten die Halle, verschiedene Tanzformationen zeigen ihr Können und das Publikum lässt sich rasch von der Begeisterung der Kulturschaffenden anstecken. Alle Anwesenden werden zudem auf Kosten von Caritas Aargau verköstigt. Auf den tanzenden Reigen durch die Halle folgt bald eine lange Schlange vor den leckeren Hähnchen mit Gemüseburgern, Salat und Brot. Die Hindernisse aus dem Alltag sind weit weg, das Leben ist schön. Dass den Flüchtlingen zugehört wird, man sie in ihren Bedürfnissen ernst nimmt, ist Balsam auf so manche Seele.

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