29.11.2016

«Wir sind k.o., aber glücklich»

Von Andreas C. Müller

Nach vier Jahren Renovation und Leben im Provisorium konnten die Fahrer Schwestern am 9. November 2016 wieder in ihre angestammten Räume zurückkehren. Mit Priorin Irene Gassmann und der verantwortlichen Denkmalpflegerin Isabel Haupt nahm Horizonte das Ergebnis in Augenschein und staunte: Für Umbauten in historischen Gebäuden sind unkonventionelle Lösungen gefragt, derweil die Schwesterngemeinschaft mit neuen Formen des Klosterlebens experimentieren will.

Sichtlich freudig werde ich im Kloster Fahr empfangen. Schwester Petra, mit 84 Jahren die Seniorin der 20köpfigen Frauengemeinschaft, begrüsst mich aus dem Fenster oberhalb der Pforte lehnend und lässt verlauten, dass sie gleich öffnen werde. Kurz darauf schüttle ich sowohl ihr als auch einer offensichtlich strahlenden Priorin Irene Gassmann die Hand zur Begrüssung. Seit der Rückkehr in die angestammten Räumlichkeiten am 9. November 2016 sind erst zwei Wochen vergangen. Zwei Jahre haben die Schwestern zuvor in der ehemaligen Bäuerinnenschule gelebt.

Der Trick mit dem Kamin

«Ich staune, wie wir das geschafft haben», sinniert Irene Gassmann. «Die Jahre auf doch sehr engem Raum, der Umzug.» Und dann meint sie lachend: «Wir sind k.o., aber glücklich.» Die Heiterkeit bei der Begrüssung widerspiegelt die grosse Erleichterung der Schwesterngemeinschaft, endlich wieder im angestammten Zuhause leben zu können. «Nach der Rückkehr ist uns noch einmal so richtig bewusst geworden, wie die Klosterräumlichkeiten für ein monastisches Leben gemacht sind» erklärt die Priorin. «Die weiten Gänge für unsere Prozessionen, die grossen Räume, in denen das Schweigen leichter fällt…. Unser Leben ist überdies wieder ruhiger und langsamer geworden.»

Unmittelbar vom Einsturz bedroht waren die Gebäude nicht. Es ging, wie die zuständige Denkmalpflegerin Isabel Haupt erklärt, bei den Sanierungsarbeiten einerseits um sicherheitstechnische Aspekte, andererseits um Unterhalts- und Restaurierungsarbeiten bei den barocken Räumen. Weiter wurde aber auch in altersgerechtes Wohnen investiert. «Den eigentlichen Anstoss gaben die veralteten Elektrokabel», erinnert sich Isabel Haupt. Die studierte Architektin erklärt, dass bei historischen Bauten eine fehlende Brandschutzanlage oder zu ersetzende Elektrokabel nicht so einfach zu installieren sind wie bei Neubauten. «Man muss extrem darauf schauen, dass an der historischen Bausubstanz nichts kaputt geht, man also beispielsweise nicht aus Versehen durch Malereien fräst.» Stolz zeigt die Denkmalpflegerin, wie der verantwortliche Architekt Castor Huser, der Elektrofachplaner und die Denkmalpflege nach langem Hin und Her eine ausgefuchste Lösung für die vielen Kabelbündel fanden – im alten, nicht mehr in Betrieb stehenden Kamin. Von dort aus verschwindet der Kabelsalat im Boden, respektive in der Decke.

Auf dem Weg zu einer neuen Offenheit

Umsichtig vorgegangen werden musste auch bei der Realisierung rollstuhlgängiger Nasszellen und Toiletten sowie bei der Entschärfung von Türschwellen, also den Massnahmen für altersgerechtes Wohnen. Sie sei gespannt, wie sich die nächsten Jahre entwickelten, erklärt Priorin Irene Gassmann. Die 20 Frauen, die im Kloster leben, sind zwischen 51 und 84 Jahren alt. «Die meisten sind bereits über 70, allerdings immer noch sehr vital», betont die Priorin und ergänzt: «Ich habe die Vision, dass das Fahr auch künftig ein Ort ist, wo benediktinische Spiritualität gelebt wird. Wie das aber genau aussieht, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Da sind wir am experimentieren. Vielleicht sind wir die Generation, die den Weg bereitet für eine neue Offenheit, für neue Formen von Verbindlichkeit im Klosterleben», so Irene Gassmann vielsagend. Sie vertraut darauf, dass sich alles schon irgendwie fügen werde, so wie das schon oft der Fall gewesen sei: «Wir müssen loslassen können, damit es einen Weg in die Zukunft gibt.»

Anlass zur Freude gibt auch der neu geschaffene Torricelli-Raum – geschaffen aus fünf kleinen Abstellkammern. Einerseits wurde bei der Gestaltung dieses neuen Raumes ein Fresco der Gebrüder Torricelli entdeckt, jener Künstler aus dem 18. Jahrhundert, die auch die Malereien in der Kirche und an der Aussenfassade gestaltet haben; andererseits ist zu sehen, wie aus fünf einstigen Abstellräumen ein funktionaler Mehrzweckraum entstanden ist – «eine Verbindung von historischen und modernen Elementen», freut sich Priorin Irene Gassmann. «Dieses Konzept hat sich wie ein roter Faden durch die Renovation gezogen.»

Noch bis 2030 wird im Fahr renoviert

11 Millionen Franken wurden bisher investiert. Bis zum Abschluss der gesamten Renovationsarbeiten im Jahre 2030 sind 23 Millionen Franken vorgesehen. Nach punktuellen Eingriffen im 20. Jahrhundert habe man jetzt Gelegenheit für eine sorgfältige, intensive Arbeit, erklärt die Denkmalpflegerin Isabel Haupt. Der weit abgesteckte Zeithorizont habe sich bereits bezahlt gemacht. Beispielsweise wurden in einem Raum längst verschollen geglaubte Deckenbilder wiederentdeckt. Positiv sei auch die breit abgestützte finanzielle Unterstützung, ergänzt Priorin Irene Gassmann: «Als Kloster könnten wir das gar nicht allein stemmen. Wir sind froh, dass uns sowohl die Eidgenossenschaft, die Kantone Aargau und Zürich, die Denkmalpflege, aber auch politische Gemeinden, Kirchgemeinden sowie Pfarreien, Stiftungen und Private unterstützen.»

Rund 6 200 Stunden, also 688 Arbeitstage, kamen für die Handwerker zusammen. Allein 1 157 Quadratmeter Bodenfläche wurden aufbereitet, ausgebaut, restauriert, wieder eingebaut, geschliffen und geölt. Eine zweite Renovations-Etappe wird in den Jahren 2017 bis 2018 im Aussenbereich behindertengerechte Wege sowie eine dazu passende Aussenbeleuchtung schaffen, während in einer dritten Etappe von 2017 bis 2022 die Gebäude rund ums Kloster – also das Restaurant oder die Mühle saniert werden sollen. Abschliessend folgen in einer vierten Etappe bis 2030 die Dächer und Fassaden des Klosters. «Wir können nun aber bis zum Abschluss all dieser Arbeiten in unseren Räumlichkeiten bleiben», erklärt Irene Gassmann zufrieden.

Über 200 denkmalgeschützte Sakralbauten im Aargau

Wie rechtfertigt sich ein derartiger Aufwand? «Das Kloster Fahr ist historisch und baukünstlerisch extrem wertvoll und wichtig – es hat nicht nur mittelalterliche Teile, die Gebäude wurden nach der Reformation im Barockstil aufwendig und von guten Handwerkern ausgebaut», so die Denkmalpflegerin aus. «Zudem ist es seit seiner Gründung im Jahre 1130 das weltweit einzige noch bestehende Doppelkloster (Anmerkung der Redaktion: mit Einsiedeln).»

Von insgesamt 226 929 Gebäuden im Aargau stehen – so Isabel Haupt – rund 1 500 Objekte unter kantonalem Schutz. Unter diesen befinden sich insgesamt 224 christliche Sakralbauten. Kirchliche Bauten hätten einen grossen Anteil an den schützenswerten Bauten im Kanton. «Die Menschen haben sich für Kirchenbauten immer grosse Mühe gegeben, weil sie für einen höheren Zweck gedacht waren und sind», erklärt Isabel Haupt. Entsprechend beeindruckend seien die entstandenen Gebäude. Und das gelte bis in die jüngste Zeit. So habe man im Kanton Aargau nahezu aus jeder Epoche verschiedene Highlights. Isabel Haupt erwähnt die ehemalige Klosterkirche Königsfelden aus dem Mittelalter, das Verenamünster in Bad Zurzach, die barock umgeformte Klosterkirche Muri und die Klosterkirche Wettingen, die Pfarrkirche Bünzen aus dem 19. Jahrhundert, deren Kirchgemeinde für die gelungene Innenrestaurierung 2015 den Schweizer Denkmalpreis erhielt, aber auch die katholischen Kirchen von Möhlin, Ennetbaden und Möriken-Wildegg als Kunstzeugen des 20. Jahrhunderts.

Das «Flair fürs Schöne» ist durchaus benediktinisch

Die Schwestern im Fahr erfüllt es mit Freude und Stolz, in einer derartigen Umgebung spirituell wirken zu können. «Das ist ein Erbe, das wir gerne pflegen», bekennt Priorin Irene Gassmann. «Und zum Benediktinischen gehört auch das Flair fürs Schöne. Mit der umfassenden Renovation wird das wieder zum Leuchten gebracht.»

 

 

 

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