27.01.2021

Hans Niggeli, Spitalseelsorger an der psychiatrischen Klinik in Königsfelden über die Belastungen der Corona-Pandemie für die Menschen
«Eine persönliche Insel zum Auftanken war noch nie wichtiger als jetzt»

Von Cornelia Suter

  • Seit knapp einem Jahr hält das Virus, Covid-19, die ganze Welt in Atem.
  • Die psychische Belastung der Menschen ist gross und wird täglich noch grösser. Es ist eine allgemeine, grosse Gereiztheit spürbar.
  • Horizonte hat mit Hans Niggeli, dem Leiter der ökumenischen Spitalseelsorge im Kanton Aargau, über die aktuell düstere Situation gesprochen.
     

Herr Niggeli, seit knapp einem Jahr kursiert das Virus Covid-19 in unserer Bevölkerung. Inwieweit ist dies bei Ihrer Arbeit in den Psychiatrischen Diensten Aargau (PDAG) in Königsfelden spürbar? 
Hans Niggeli:
Die notwendigen, sich auch immer wieder ändernden Schutzmassnahmen, machen die Seelsorge noch anspruchsvoller und komplizierter. Dies sowohl in Bezug auf die Durchführung von gottesdienstlichen Feiern und Ritualen, als auch auf die eigentlichen seelsorgerlichen Gespräche. Feiern werden in kleinen Gruppen mehrmals durchgeführt oder auf Video aufgenommen und einzelnen Stationen auf einem USB-Stick zugeschickt. Die Verständigung mit Masken und der notwendigen Distanz ist nicht nur bei älteren Menschen meist erschwert. Menschen mit dementiellen Erkrankungen ist es öfters nicht möglich, die notwendige Distanz einzuhalten oder die Maske korrekt zu tragen. Der Umgang mit Nähe und Distanz ist akzentuiert. Gerade ältere Menschen sehnen sich nach Nähe, nach Berührung, und doch braucht es von unserer Seite verständnis- und liebevolle, aber auch klare Grenzen.

Es gibt momentan mehr Personen, welche aufgrund der aktuellen Situation psychisch angeschlagen sind, doch wollen deshalb auch mehr Personen seelsorgerische Unterstützung?
Da der Kontakt der Patienten durch die Schutzmassnahmen bisweilen sowohl untereinander als auch nach aussen geringer ist, wächst der Bedarf nach seelsorgerlicher Begleitung. Auch wenn eher selten die Coronakrise der Auslöser für ein Gespräch ist, so stehen die Themen doch öfters in unmittelbarer Verbindung dazu: Beziehungsthemen, Zukunftsängste, das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit,  des Selbstwirksamkeitsverlustes, Isolation, Einsamkeit und so weiter. Die Seelsorge ist ausgelastet, und immer wieder bleibt das Gefühl, nicht genügend Zeit und Raum zu haben, um den Anfragen und Bedürfnissen gerecht zu werden. Dies tritt zwar auch unter «normalen» Umständen auf, hat mit den Herausforderungen durch Covid-19 jedoch deutlich zugenommen. 

Wie geht die Seelsorge mit dieser speziellen Situation um? 
Wir sind auch und gerade in unruhigen Zeiten für die Patienten da, versuchen, mit ihnen so oft wie möglich nach draussen zu gehen, einen Spaziergang auf dem Gelände zu machen oder im Begegnungszentrum einen Kaffee zu trinken. Solche Angebote verschärfen aber auch das Zeitproblem. Zudem haben wir das religiöse Angebot angepasst, indem wir zum Beispiel Feiern mehr auf der Station selber als stationsübergreifend anbieten. 

Sie werden also auch persönlich mehr gefordert. Wie werden Sie dieser Situation Herr? 
Es sind immer wieder Einfallsreichtum, Kreativität und Anpassungsfähigkeit gefordert: Zum Beispiel Feiern auf Video aufnehmen, eine Weihnachtsfeier nur mit drei Patienten und dafür mehrmals durchführen et cetera. Um mit den Schutzmassnahmen, den anforderungsreichen Gesprächen und Situationen gut und einheitlich umgehen zu können und selber gut in der Kraft zu bleiben, sind für uns der intensive Austausch und die gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung im Team äusserst wichtig und tragend. Ebenso auch die hilfreiche Einbindung in die PDAG, der gute Kontakt  mit den Infektiologen und mit dem Personal.  

Was beschäftigt die Menschen in Bezug auf das Virus Covid-19? 
Bei den Gottesdiensten und auf den Stationen darf nicht mehr gesungen werden. Dies vermissen die Menschen sehr. Singen ist für sie eine Quelle der Freude, der Ablenkung von Sorgen wie auch der Erinnerungen an wertvolle Zeiten, wenn es etwa heisst: «Damals im Chor haben wir dieses Lied gesungen.» Bei einer solchen Aussage erfüllt ein Lachen das Gesicht. Das Abspielen der Musik per Handy ist zwar ein hilfreiches Mittel, aber es ersetzt nicht das Singen mit Herz und Seele. Durch das Singen können Menschen wieder etwas selber tun. Diese Quelle der Inspiration ist derzeit stark eingeschränkt.

Wie hat sich Ihre Arbeit durch Corona allgemein verändert?
Sie ist nochmals intensiver geworden, unter anderem durch die Schutzmassnahmen. Auf manchen Stationen müssen Schutzkittel getragen werden, vergleichbar mit der Berufsbekleidung von Ärzten, auf anderen eine umfassende Schutzbekleidung. Ebenso sind wir selber herausgefordert, Wege zu finden, um mit der aktuellen Covid-19 Situation umzugehen, uns permanent zu informieren und körperlich und seelisch stabil zu bleiben. Ganz bewusst für uns Inseln der Ruhe und Entspannung zu suchen und zu finden, ist noch wichtiger als zuvor.

 

 

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