22.12.2013

Alle Jahre wieder

Von Anne Burgmer

Weihnachten ist eines der höchsten Feste im Kirchenjahr. Ein zwiespältiges Fest, denn es pendelt zwischen Sehnsüchten und Erwartungen einerseits, Konsum und Stress andererseits. Während es in den Stuben der meisten Menschen an Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag besinnlich zu und her geht, bedeutet Weihnachten für andere grossen Einsatz. Gerade für Priester und Pastoralassistenten, also für diejenigen, die in den Weihnachtsgottesdiensten für einen Teil der Weihnachtsstimmung sorgen, ist das Fest Arbeit und Glaubensausübung gleichzeitig.

Ein Zündholz ratscht über die Schachtelseite, es faucht kurz und schon brennt eine Kerze am Adventskranz. «Das möchte ich nicht missen», sagt Franz Xaver Amrein. Der 68-jährige Priester macht es sich bequem. Seit vierzig Jahren arbeitet er für die Kirche, zuletzt sechzehn Jahre in Windisch. Seit zwei Jahren versieht er den Dienst als Pfarrer in Zufikon, hilft in Hermetschwil und Bremgarten aus. Gefragt, ob sich sein Blick auf Weihnachten in vierzig Jahren Dienst verändert habe, überlegt er einen Moment. «Das hat er sicher. Spontan würde ich sagen, dass er sich vertieft hat. Es ist ein Prozess, die Grösse und Bedeutung dessen zu ermessen, was wir da feiern. Und ich spüre von Jahr zu Jahr mehr, dass es unauslotbar ist», erklärt er. Er habe, so meint Franz Xaver Amrein lächelnd, nie den Eindruck, jetzt sei er bei einem Lied oder einem Text am Ende angekommen, obwohl sie ihn schon sein ganzes Leben begleiten.

Differenzieren zwischen früher und heute
Die Weihnachtserlebnisse seiner Kindheit haben ihn geprägt. Aufgewachsen in der Pfarrei Sursee ist ihm besonders das Ritual des Laufens zur Mitternachtsmesse in der Kapelle Mariazell in Sursee geblieben. Dreissig bis vierzig Minuten war die Familie unterwegs. «Es war nie das Gefühl des Müssens, sondern des gemeinsamen Wollens. Es war ein besonderes Ankommen, wenn unsere Familie in die ‚grössere Familie‘ in der Kapelle kam», erinnert er sich. Ihm ist bewusst, dass gerade das Aufbrechen zur Kirche in vielen Familien heute ein Stressfaktor sein kann. Wenn die Eltern gehen wollen, den Kindern der Gottesdienstbesuch hingegen nichts mehr sagt. Der Tatsache, dass die Kirchen an Weihnachten im Normalfall sehr viel voller sind als unter dem Jahr, begegnet er mit Wachsamkeit gegen sich selbst. «Es ist eine ständige Herausforderung, weder zu urteilen, noch die Tatsache der grossen Menschenmenge zu missbrauchen. Die Menschen heute sind punktuell da. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen. Ich bin einfach anders grossgeworden», differenziert er.

Kein «seichtes» Kaufhausgedudel
Auch Marcus Hüttner, seit 2011 Pastoralassistent im Pfarreienverband Zurzach und Studenland ist sich bewusst, dass viele Leute, die an Heiligabend den Weg in die Kirche finden, anders geprägt sind, als er selber. «Die Menschen, die an Weihnachten in die Kirche kommen, wollen abgedunkeltes Licht, sie wollen ‚Stille Nacht, Heilige Nacht‘, und das sollen und dürfen sie hier auch finden. Bei vielen Gottesdienstbesuchern kommen an diesem Abend Erinnerungen an Heimat, Kindheit und Tradition hoch. Das möchte ich respektieren und ernst nehmen», verdeutlicht Marcus Hüttner. Dennoch betont der 40-jährige aus dem fränkischen Bamberg, dass er kein «seichtes» Kaufhausgedudel fabrizieren möchte. «Ich habe den Anspruch, akzentuiert und verständlich die christliche Botschaft zu vermitteln.»

Traditionen aufbauen
Drei Kinder im Alter von knapp eins bis dreieinhalb Jahren hat Marcus Hüttner, der 2004 in die Schweiz kam und 2009 seine Frau Christine heiratete. «Als junge Familie fangen wir erst an, eigene Familientraditionen aufzubauen. Letztes Jahr haben wir sehr bewusst den ersten Advent gefeiert. Dieses Jahr lesen wir jeden Tag eine Geschichte vor und dazu gibt es ein passendes Fensterbild», beschreibt Marcus Hüttner den adventlichen Weg.

Spital statt Kirche
Etwas Besonderes ist der Heilige Abend in der Familie Hüttner, denn letztes Jahr wurde die jüngste Tochter zur besten «Christmettenzeit» geboren. Statt den Gottesdienst mitzugestalten, fuhr Marcus Hüttner seine Frau nach Leuggern ins Spital, um das persönliche Christkind in Empfang zu nehmen. Dieses Jahr ist auch nicht typisch, denn er ist Gemeindeleiter ad interim und hat aufgrund der Vakanz einen Priester zur Aushilfe. So ist es möglich, dass beide, Marcus Hüttner und seine Frau mit den Kindern, den Gottesdienst am Heiligabend um 17 Uhr besuchen können. Er als Begleiter des Kindergottesdienstes, der Aushilfspriester als Vorsteher der parallel laufenden Eucharistiefeier, und Frau Hüttner als Besucherin. «Meine Frau steckt mehr zurück in diesem Bereich. Sie ist diejenige, die wegen der Kinder auf Kirchbesuche verzichtet», wertschätzt Marcus Hüttner die Haltung seiner Frau.

Körperlich und intellektuell anstrengend
Es stellt sich die Frage, ob es jemals ein Weihnachten gab, an dem Franz Xaver Amrein und Marcus Hüttner «genug» hatten von all den Terminen und Gottesdiensten. «Ich hatte schon am Abend des 25. Dezember manchmal das Gefühl: Gut, ist es vorbei. Das hatte jedoch nie mit der Sache zu tun, sondern war physische Erschöpfung», erinnert sich Franz Xaver Amrein. Marcus Hüttner sieht es ähnlich: «Es ist eine körperlich und intellektuell anstrengende Zeit. Einerseits beenden wir auf einer administrativen Ebene das Kalenderjahr, andererseits feiern wir den dichten Kirchenjahresbeginn.» Grundsätzlich fällt es mir jedoch schwer, meinen Beruf als Arbeit zu bezeichnen, denn ich habe meinen Glauben zum Beruf gemacht», legt Marcus Hüttner dar. Neben allem Ritual, gutem Essen und dem Wunsch nach weihnachtlicher Ruhe ist für beide Seelsorger zentral, dass Weihnachten ein Fest der Gemeinschaft ist. Ob der familiären oder der wohngemeinschaftlichen – alleine feiern kommt weder für Franz Xaver Amrein, noch für Marcus Hüttner in Frage.

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