14.10.2013

Arbeit für ein friedliches Miteinander

Von Horizonte Aargau

In Tunesien begann 2011 der arabischen Frühling, mit Zine el-Abidine Ben Ali musste sich der erste Potentat verabschieden. Es folgten wirtschaftliche Schwierigkeiten, religiöse Spannungen und Gewalt. Die aus Schaffhausen stämmige Salesianerschwester Maria Rohrer kam kurz vor dem Umsturz ins Bistum Tunis und teilt mit der Bevölkerung die Gewissheit, dass da etwas in die falsche Richtung lief. Aber auch die Hoffnung, dass ein Weg gefunden werden wird.

Schwester Maria mag die Tunesier. Kurz vor der Jasminrevolution kam sie mit zwei weiteren Salesianerinnen in die Hauptstadt Tunis. Eine zweite Gemeinschaft desselben Ordens betreibt seit vielen Jahren eine Privatschule in einer anderen Stadt – eine von neun katholischen Einrichtungen im Land. «Das ist eine grosse Ausnahme in diesen Ländern. Bischöfe aus den Nachbarstaaten staunen immer wieder, was bei uns möglich ist», meint Schwester Maria stolz. «Aber natürlich arbeiten wir diskret.»

Religion für Ausländer
Mit dem Erbe des antiken Bistums Karthago hat das heutige Christentum in Tunesien indes nicht mehr viel gemein – die Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956 beendete dessen privilegierte Position. Damals zogen regelmässig französisch-katholische Prozessionen durch die Strassen und die Einheimischen sahen am Rande zu. Das Christentum blieb allerdings eine Religion der Ausländer. Der überwiegende Teil der Tunesier ist islamisch. Dennoch: «Einen religiösen Graben wie in Ägypten kennt man hier nicht», so Schwester Maria. «Unsicher gefühlt haben wir uns nie.»

Unter Polizeischutz
Unter dem vormaligen, 1987 an die Macht gekommenen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Alis war das Christentum toleriert, die grossen Kirchen standen unter Polizeischutz. Als Tourismusland am Meer wollte man sich keine Imageschäden leisten, aber alles musste sich hinter verschlossenen Türen abspielen. Keine Glocken, keine Kreuze, keine Prozessionen. «Tunesische Christen gibt es fast keine, wenn man bedenkt, dass in Ägypten sechs Millionen Kopten leben», weiss Schwester Maria. «Unser Bistum ist eines der wenigen ohne Einheimische. Bei uns sind die Gläubigen Schwarzafrikaner, Europäer, Südamerikaner, und Asiaten.» Die Ersteren arbeiten bei der Afrikanischen Entwicklungsbank (BAD) oder studieren, die anderen arbeiten in internationalen Unternehmen.

Unterstützung in der Fremde
Tausende von Studenten aus Schwarzafrika leben in Tunesien, zahlreiche am Rande der Gesellschaft. «Unsere Gemeinschaft in Tunis ist als Mission für Studenten aus Schwarzafrika gegründet worden», so Schwester Maria. «Diese jungen Menschen sind das erste Mal von daheim weg, in einem fremden Land, wo die Leute eine andere Sprache sprechen. Die meisten sind Christen, dazu oft in finanziellen Schwierigkeiten.» Bevor Schwester Maria nach Tunesien kam, arbeitete sie 33 Jahre in Schwarzafrika. So hofft sie, zum Zusammenleben zwischen Schwarzafrikanern und Tunesiern beitragen zu können.

Auf der Suche nach einer Antwort
In den Schulklassen aller neun Bistumsschulen sitzen tunesische Schüler. Der islamische Religionsunterricht gehört zum Programm. Daneben gibt es Platz für anderes. Schwester Maria unterrichtet Lebenskunde an sechzig junge Tunesier in der letzten Sekundarklasse. Diese Menschen, welche die Revolution erlebten, vielfach auch Gewalt und Kriminalität, suchen eine Antwort für ihr Leben, die ihnen die Gesellschaft nicht gibt. «Nach der Revolution kamen Leute und wollten sich taufen lassen», erinnert sich Schwester Maria. «Aber wir sind da vorsichtig und prüfen die Beweggründe gut. Andere kommen und suchen jemanden, der ihnen zuhört. Missionieren tun wir nicht.»

Neue Regierung forcierte Islamisierung
Seit den ersten freien Wahlen im Herbst 2011 regiert die islamistische Ennahda-Partei, welche unter Präsident Ben Ali verboten war. Wie die Muslimbrüder in Ägypten verspielte aber auch diese Regierung ihren Ruf bei den Menschen. Statt sich um die Wirtschaft zu kümmern, positionierte sie ihre Leute in den Schaltstellen und liess radikale Prediger ins Land. «Für uns hat sich seit der Revolution aber nicht viel geändert», meint Schwester Maria. «Die Ennahda machte unserem neuen Bischof deutlich, dass auch sie an der Präsenz der Kirche in Tunesien weiterhin interessiert sei.» Für die Tunesier hingegen änderte sich einiges. Das Land kannte im Gegensatz zu Ägypten weniger islamische Tradition. Unter den vormaligen Machthabern waren sogar Frauenrechte eingeführt worden. In den öffentlichen Ämtern arbeiteten diese ohne Schleier.

Spannung zwischen Laizisten und Islamisten
Nach der Revolution bekämpften sich zwei Lager: Die Laizisten verbündeten sich mit den Gewerkschaften gegen die Islamisten. Demokratie gegen Gottesstaat also? Schwester Maria sieht das differenzierter: «Alle gingen an die ersten freien Wahlen, wählten die Islamisten, und am nächsten Tag stand in den Zeitungen, die Demokratie habe gesiegt.» Dazu gehöre aber mehr als ein blosser Urnengang, glaubt die gebürtige Schweizerin. «Kommt es zur Demokratie, wird diese anders aussehen als jene bei uns», meint Schwester Maria in Anlehnung an die Erwartungen der westlichen Staaten. Den Weg in Richtung Demokratie beurteilt sie als schwierig, aber nicht unmöglich. Der Kollaps der umliegenden Staaten schwemmte Flüchtlinge und radikale Kämpfer ins Land. «Die Leute sind vorsichtiger», meint die Salesianerin. «Seit sich Meldungen von verhafteten Bombenbastlern häufen, merkt man auch hier, dass sich was tut. Die Verantwortung geben die Menschen der Regierung. Sie sind der Meinung, dass ihnen die Islamisten die Revolution gestohlen haben.» Für Schwester Maria bleibt die Zukunft offen. Die Salesianerinnen führen ihre Arbeit fort. «In Demut, als Zeichen für ein friedliches Miteinander der Religionen», bringt es Schwester Maria auf den Punkt.

Oliver Schneitter

 

Die Salesianerinnen
Schwester Maria gehört dem Orden der Salesianerinnen von Don Bosco an. Don Bosco, der Jugendapostel von Turin, wollte für die Mädchen, was er schon für die Jungen unternommen hatte. Zusammen mit Maria Domenica Mazzarello gründete er 1872 in Mornese Italien einen Orden. Heute wirken über 13 000 Salesianerinnen in 93 Ländern. Ihr Leben besteht aus Gebet, Gemeinschaft und Erziehungsarbeit. Dies vor allem für jene Jugendlichen mit besonderen Herausforderungen.

 

 

Themen Impulse
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.