22.04.2021

Serie «Musik und Kirche» – Teil 3/3
Aus lauter Angst totgeschwiegen

Von Christian Breitschmid

  • Seit mehr als zehn Jahren forscht Thomas Aurelius Belz an den christlichen Grundlagen der abendländischen Tonkunst. Seine Erkenntnisse publiziert er schriftlich und in Vorträgen.
  • Im Interview mit Horizonte erzählt der Instrumentenbauer und Doktor der Kunstwissenschaft warum er bei Verlagen und selbst bei der Kirche mit seinen Schriften auf Ablehnung stösst.
  • Dieser letzte Teil der Serie «Musik und Kirche» bedeutet nicht das Ende der Berichterstattung über den unermüdlichen Kulturentdecker aus Reinach.


Im ersten Teil der Serie «Musik und Kirche» berichtete Horizonte über das immense Forschungsgebiet, das Thomas Belz seit nunmehr weit über zehn Jahren beackert. Selbst der reformierte Johann Sebastian Bach schöpfte in seinem Schaffen aus dem Quell einer im eigentlichen Sinne katholischen Welt- und Kulturbetrachtung, die seit dem Frühchristentum direkten Einfluss auf die Entwicklung der abendländischen Musik ausübte. Nachzulesen im zweiten Teil unserer Serie. Im Video zum selben Thema zeigt Thomas Belz, was er beim Nachbau des mutmasslich ältesten Klavizitheriums der Welt entdeckt hat. Und im abschliessenden Interview erzählt er hier, warum die Ergebnisse seiner Forschung bei Verlagen, Bildungsverantwortlichen und der Kirche selbst auf taube Ohren stossen.

Herr Belz, Sie sind Wissenschaftler, das heisst, Sie können Ihre Entdeckungen wiederholbar belegen. Auf welchen Wegen haben Sie Ihre Forschungsergebnisse schon publiziert?
Veröffentlichungen erfolgten in wissenschaftlichen Fachmagazinen, zum Beispiel in der Rivista Internazionale di Musica Sacra, in Ausstellungskatalogen, aber auch in Vorträgen wie etwa an der Katholischen Hochschule Heiligenkreuz bei Wien oder an Volkshochschulen. Ich habe auch in eigenen Büchern publiziert sowie in zahlreichen Blogbeiträgen und Videopräsentationen auf meiner Homepage. Letztere haben den Vorteil, mit reichlich Bildmaterial aufwarten zu können. Die visuellen Belege sind neben den Schriftquellen unverzichtbar. 

Sie haben im Eigenverlag mehrere Bücher herausgegeben. Wie war das Echo auf diese Werke?
Ein Echo würde voraussetzen, dass sich jemand mit den Inhalten detailliert auseinandergesetzt hat. Das ist bis auf den heutigen Tag nicht geschehen, unter anderem wohl auch deshalb, weil dazu sehr viel fachübergreifendes Wissen erarbeitet werden muss. Anlässlich von Vorträgen war das Echo staunendes Entsetzen darüber, dass Kulturgüter solcher Grössenordnung in unserer Bildungslandschaft untergehen können. Dabei wurden sogar Vergleiche mit der brennenden Kathedrale Notre-Dame de Paris gezogen. 

Kann man diese Bücher und andere Schriften noch bei Ihnen beziehen? Wenn ja, auf welchem Weg und zu welchen Konditionen?
Die Bücher sind nicht mehr beziehbar, doch hat sich meine Homepage zu einem brauchbaren Äquivalent entwickelt, das ich zugleich zur Dokumentation der Ereignisse nutze. Nur wer speziell Literaturverzeichnisse sucht, findet sie vornehmlich in den gedruckten Werken.

Warum konnten Ihre Schriften nicht über einen anerkannten Verlag mit theologischer, musikwissenschaftlicher oder kunsthistorischer Ausrichtung verlegt werden?
Verlage sind thematisch spezialisiert, entweder auf Musik, Theologie oder Kunstgeschichte. Damit fällt ein katholisches, das heisst allumfassendes Thema durch das Raster. In den Redaktionen namhafter Musikverlage haben lange Diskussionen stattgefunden, das weiss ich, aber warum nun gerade die Libreria Editrice Vaticana nach erfolgter, freudiger Zusage einen Rückzieher machte, das wollten mir die Entscheidungsträger in Rom nicht verraten.

Sie waren kurz davor, vom emeritierten Papst Benedikt XVI. ein Geleitwort für Ihr Buch «Die christliche Symbolik der abendländischen Harmonielehre» zu erhalten. Was ist schiefgelaufen?
Benedikt XVI. schrieb eine wertschätzende Absage, verbunden mit einer Weiterempfehlung in der Woche vor seinem Amtsverzicht. Offenbar erreichte ihn die Anfrage zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Das Geleitwort verfasste daraufhin der Preside des Pontificio Istituto di Musica Sacra, Monsignore Vincenzo de Gregorio.

Ihre Vorschläge zur Anpassung der Lehrmittel in Schweizer Schulen, unter Berücksichtigung Ihrer Forschungsergebnisse, stiessen bisher auf taube Ohren. Wie erklären Sie sich dieses Desinteresse der Bildungsverantwortlichen am kulturhistorischen Erbe, das uns die christliche Kirche in der Musiklehre hinterlassen hat?
Das erklären die Bildungsverantwortlichen gleich selbst, und inzwischen liegt ein ganzer Ordner mit höchst unterschiedlichen Stellungnahmen vor. Dabei betonen sie gerne, dass eine wichtige zivilisatorische Errungenschaft die Trennung von Kirche und Staat sei. Man stelle sich vor, wie es einem Musiklehrer ergeht, der vor einigen Migrantenkindern das Intervall Oktav mit den acht Seligkeiten in Verbindung bringt und dann auch noch auf die Anfangssilben des Johannes-Hymnus zu sprechen kommt: Ut, Re, Mi, Fa, So, La und Si. Überspielte Angst ist trauriger Bestandteil unseres Zeitgeistes. «Die Zeit», eine namhafte Wochenzeitung, wies einen Artikel zum Thema zurück «aufgrund der religionspolitisch aufgeheizten Zeiten.» Für die Ehrlichkeit dieser Auskunft bin ich ausgesprochen dankbar.

Was wäre für Sie der schönste Lohn für all die Arbeit, die Sie in den vergangenen Jahren in Ihre Forschung und die Rekonstruktion alter Tasteninstrumente gesteckt haben?
Die Wertigkeit der Fundstücke ist mit keinem Lohn bezahlbar. Die abendländische Harmonielehre ist das überkonfessionelle, interreligiöse Herzstück des Christentums, ein um viele Jahrhunderte vorweggenommenes Weltethos. «Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden», so steht es in der Präambel der Verfassung der UNESCO. Es wäre mir eine grosse Erleichterung, dieses akut gefährdete Kulturgut als Weltkulturerbe gesichert zu wissen.

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