08.04.2021

Serie «Musik und Kirche» – Teil 2/3
Bachs versteckte Botschaften

Von Christian Breitschmid

  • Thomas Belz kann in Johann Sebastian Bachs Kompositionen, Notizen und Zeichnungen das christliche Fundament der Musik aufzeigen.
  • Nicht nur kompositorisch, auch zeichnerisch hat Bach die Botschaften seiner Musik verdeutlicht.
  • Seit mehr als zehn Jahren schon erforscht Thomas Belz den Einfluss des Christentums auf die abendländische Musik. Im zweiten Teil unserer Serie «Musik und Kirche» liegt der Fokus ganz auf dem Werk des Musikgiganten Johann Sebastian Bach.

Ohne das Christentum, explizit die katholische Kirche, sähen die theoretischen Grundlagen der abendländischen Musik heute anders aus. Das hat Thomas Aurelius Belz, Doktor der Kunstwissenschaft, Volkskunde und Bauforschung, Cembalo- und Klavierbaumeister, in jahrelanger Forschungsarbeit nachgewiesen. Im ersten Teil der Serie «Musik und Kirche» haben wir gezeigt, wie alles angefangen hat. In diesem zweiten Teil geht es um den Nachweis christlicher Zeugnisse im Werk von Johann Sebastian Bach.

Passionsblume als Zeichen

Bach (1685-1750) ist ein Gigant der abendländischen Musik- und Kulturgeschichte. Seine mehr als 1100 bekannten Werke sind vermutlich nur die Spitze seines Schaffenseisbergs. Viele seiner Kompositionen sind verschollen. Doch aus dem Material, das nachweislich des Meisters Handschrift trägt, lässt sich eindeutig belegen, wie sehr Bach im christlichen Glauben, dessen Sprach- und Denkweise beheimatet war.

Thomas Belz nennt drei Anhaltspunkte: «Seine zahlreichen sakralen Kompositionen sprechen für sich. Dazu kommt die symbolische Durchdringung seiner Werke, die man nur selten in einer solchen Dichte findet. Und drittens hat er seine Partituren mit Zeichnungen ergänzt, die den Symbolgehalt der Kompositionen noch unterstützen, zum Beispiel mit Pflanzenbildern wie etwa der Passionsblume.» (siehe Bild oben)

Absichtlich unvollendet

«Im Zyklus ‹Die Kunst der Fuge› liefert Bach sein Glaubensbekenntnis ab», erklärt Thomas Belz, der auch Mitglied der Internationalen Sozietät zur musikalisch-theologischen Bachforschung ist. Die 14. Fuge wird in der Literatur als «unvollendet» bezeichnet. Thomas Belz sieht das, gerade aus Bachs Verwurzelung im christlichen Glauben, differenzierter: «Es ist die 14. Fuge, weil 14 die Bachzahl ist. Man addiert die Stellen der Buchstaben B, A, C und H im Alphabet, 2 plus 1 plus 3 plus 8, und kommt so auf 14. Bach wiederholt die Tonfolge B-A-C-H mehrfach, bevor die Fuge plötzlich abbricht. Damit bezieht er sich auf das Lukasevangelium, wo es heisst: ‹Freut euch darüber, dass Eure Namen im Himmel verzeichnet sind.› Nur wenn man glaubt, dass die Musik tatsächlich von Gott kommt, ist auch vorstellbar, dass Gott jemanden wie Johann Sebastian Bach mittels Musik zu sich ruft. Carl Philipp Emanuel Bach fand das unfertige Werk und schrieb die Anmerkung darunter, dass sein Vater über diesem unvollendeten Werk verstorben sei. Er hatte nicht erkannt, dass das Unvollendete Teil der kompositorischen Absicht war.»

Zahlreiche Anspielungen

Bach war ein profunder Bibelkenner. Das lässt sich allein schon an den Randnotizen ablesen, die Bach in seiner Calov-Bibel hinterlassen hat. Da sind viele Zahlen notiert, die ihn besonders fasziniert haben. Als Mitglied der «Correspondierenden Societät der musicalischen Wissenschaften» verfolgte er das statutarische Ziel der Gesellschaft, «die Majestät der alten Musik wiederherzustellen». Dazu Thomas Belz: «Bachs Werk enthält zahlreiche Anspielungen und versteckte Zitate. So stiess Professor Christoph Bossert, Kirchenmusikdirektor in Würzburg, auf die wiederholte und gespiegelte Zahlenfolge 118/22. Liest man dann den 118. Psalm, Vers 22, geht einem ein Licht auf: ‹Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden.›»

«Das Evangelium der Tonkunst»

Zur Zeit Bachs war der Wechsel von den sogenannten Modi, den Kirchentonarten, zu den heute gebräuchlichen Dur- und Molltonarten in vollem Gange. Durch sein epochales Werk «Das Wohltemperierte Klavier» wird bis heute jeder Pianist schon von Jugend an mit dem Phänomen dieser neuen Tonartensprache konfrontiert. Ein Werk für jeweils jeden der zwölf Töne der chromatischen Skala des Tasteninstrumentes zu schreiben, ist eine einmalige Erscheinung in jener Zeit. Auch Bach meinte, dass Kreuztonarten, je höher sie im Quintenzirkel stehen, immer heller wirken, ebenso behandelte er die B-Tonarten als die eher abgedunkelten Sphäre.

Auch wenn die Kirchentonarten durch die neue, sogenannt wohltemperierte Stimmung in den Hintergrund rückten, blieb doch die Verwurzelung des Tonsystems in der christlichen Symbolik erhalten. Thomas Belz erklärt das so: «Die weissen Tasten des Klaviers zeigen den ältesten Teil der Klaviatur. Auf jeder weissen Taste startet eine neue Jakobsleiter zur Seligkeit – eine Kirchentonart eben. Die mit den schwarzen Tasten ergänzte Version behält die Symbolik bei, denn obwohl wir nun 13 Tasten vorfinden, endet das Ganze auf der Oktav, das heisst auf der Acht, als ob es gar keine Ergänzung gegeben hätte.»

Aus der wohltemperierten Stimmung lässt sich noch mehr christliche Symbolik herauslesen: «Die 13 minus 1 – wir haben zwar 13 Tasten aber nur zwölf Tonbezeichnungen – erinnern an die Teilnehmer beim letzten Abendmahl minus Judas, den Verräter. Die fünf schwarzen Tasten erinnern an die fünf Wunden und somit an den Tod. Die acht weissen Tasten an die Auferstehung am achten Tage. Verrat, Tod und Auferstehung: Das Evangelium der Tonkunst. Die temperierte Stimmung ist eine Folge des Festhaltens an der Symbolik. Doppelbenennungen derselben Taste wie Dis und Es belegen, dass mehr Töne wünschenswert waren, aber hätte man dies umgesetzt, hätte die Stimmung nie entdeckt werden können.»

Doppelt und Dreifach

Was Bach an christlicher Symbolik in seinen Kompositionen verarbeitet hat, das betonte er zusätzlich noch in den meist floralen Zeichnungen, mit denen er seine Notenblätter verzierte. Thomas Belz: «Bach sagt gewissermassen alles doppelt und dreifach. Jedes Thema wiederholt und spiegelt sich – nicht nur in den Fugen. Die Lektüre der Predigten Valerius Herbergers war für mich eine entscheidende Verständnishilfe für Bach. So heisst es dort: ‹Was nothwendig und nützlich ist, das muss man einem gar offt und fleissig fürsagen und durch vielfältige Wiederholung ins Herz drücken.› Die Zeichnungen Bachs bestätigen visuell, was er akustisch zum Ausdruck brachte.» Das Video zum Thema «Bach-Blüten» und vieles mehr hat Thomas Belz auf seiner Website publiziert. Wie und warum Thomas Belz‘ Forschung bei Kirche und Bildungsverantwortlichen auf Ablehnung stösst, lesen Sie im 3. Teil unserer Serie.

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