19.12.2018

Bildung ist das wertvollste Weihnachtsgeschenk

Von Andreas C. Müller

  • Im Kosovo befindet sich das öffentliche Schulwesen in einem desolaten Zustand. In Prizren findet sich eine Ausnahme: Die mit Hilfe des Jesuitenordens aufgebaute Schule würde auch hiesigen Ansprüchen gerecht werden.
  • Das neuste Projekt der Loyola-Schule in Prizren gibt auch Roma-Kindern eine Perspektive.

 

Schon die renovierte Fassade der beiden Schulhäuser bei der Kirche hebt sich auffallend von anderen Gebäuden in der Umgebung des Ortskerns von Prizren ab. Auf dem Vorplatz begrüsst uns Schulleiter Axel Bödefeld mit Schwester Lindita Spaqi. Letztere trägt weisse Ordenskluft, der Jesuitenpater hingegen könnte auch durchaus als säkularer Schuldirektor durchgehen: Nichts erinnert an einen katholischen Priestern.

«Vermitteln, das Bildung etwas Wertvolles ist»

Es regnet in den Schnee, der über Nacht gefallen ist. Der Himmel ist tiefgrau und scheint an jenem Morgen im Dämmerungsmodus verharren zu wollen. Feuchte Kälte bahnt sich gefühlt ihren Weg durch die Kleidung. Umso herzerwärmender erscheinen die liebevollen Dekorationen die in den Fenstern der Schulgebäude zu sehen sind: Weisse Flocken, Schneemänner und allerlei Weihnachtsdekoration.

Wir betreten eines der beiden Häuser der Loyola-Grundschule in Prizren. Nachdem bereits 2005 ausserhalb der Stadt ein Gymnasium aufgebaut wurde, folgte 2012 die Eröffnung der Grundschule und 2016 ihr Umzug in umgebaute historische Gebäude bei der Kirche. Gelände und Gebäude der Grundschule wurden von der Diözese per Erbpacht für 99 Jahre unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Die Renovierung des ersten Hauses erfolgte dank EU-Geldern, die des zweiten Hauses mit Erträgen aus eigenem Fundraising.

Auch Flure und Klassenzimmer haben die Lehrkräfte mit ihren Schützlingen der Grundstufe (1. bis 5. Klasse) sorgfältig geschmückt. Und im Entrée steht ein Weihnachtbaum mit Kugeln, Lametta und Lichterkette. «Unser Schulhaus ist sauber und geheizt, alles funktioniert und ist liebevoll gestaltet. So lernen unsere Schülerinnen und Schüler, dass Bildung etwas Wertvolles ist, für das es sich lohnt, sich anzustrengen», erklärt Schulleiter Bödefeld, während er uns die Treppe hinauf in den ersten Stock führt. Und wirklich: Im Vergleich zu den meisten öffentlichen Schulen würden die Räumlichkeiten hier locker auch die Anforderungen an ein Schweizer Schulgebäude erfüllen.

Kosovarische Schule mit deutschem Management

Wir betreten das Zimmer einer dritten Klasse: Die knapp 25 Kinder erheben sich freudig und begrüssen uns im Chor. Alle tragen Uniformen mit blauen Kitteln. Uniform ist landesüblich, Eltern lassen sie für ihre Kinder in eigens darauf spezialisierten Geschäften anfertigen. Auf Anweisung des Lehrers stimmen die Schülerinnen und Schüler ein Weihnachtslied an: Jingle Bells auf Albanisch. Schulleiter Bödefeld wechselt ein paar Worte mit den Kindern auf Albanisch. In Intensivkursen hat der gebürtige Deutsche die Sprache gelernt. «In unserem Kollegium arbeiten zur Hauptsache Kosovarinnen und Kosovaren, alle Konferenzen und Weiterbildungen werden auf Albanisch abgehalten», erklärt er. Die Landessprache ist Plicht. Nicht zuletzt sei die Loyola-Schule keine Deutsche Auslandsschule, sondern eine öffentliche kosovarische Schule – einfach mit deutschem Management, bringt es Schulleiter Bödefeld auf den Punkt. Einzig die Deutschlehrkräfte sowie Freiwillige, welche die Schule bei Erziehungsaufgaben und im Unterricht unterstützen, sind deutschsprachig.

Die Nachfrage übersteigt das Angebot: Alle 15 Klassen der Grundschule sind voll besetzt, auf einer Wartelisten finden sich zahlreiche weitere Familien. Eine Erfolgsgeschichte, für die zu Beginn viel Vertrauensarbeit geleistet werden musste. «Für viele kosovarische Eltern ist schlicht unverständlich, dass ihre Kinder an einer Schule, für die bezahlt wird, schlechtere Noten erhalten als vorher», führt Axel Bödefeld weiter aus.

Aber auch die christliche Trägerschaft des Jesuitenordens sei für die Eltern zunächst eine Hürde gewesen», erinnert sich Schulleiter Bödefeld. Und dies, obschon das kosovarische Bildungsministerium vorgibt, dass Religion an der Schule nichts zu suchen hat. Religiöse Symbole oder auch Religionsunterricht sucht man daher an der Loyola-Schule vergeblich.

Bildungsministerium manipulierte Vergleichstests

Die Loyola-Schule vermochte alsbald ihren hohen Qualitätsanspruch durchzusetzen. In Ergänzung zum Lehrplan des kosovarischen Bildungsministeriums lernen die Kinder schon ab der dritten Klasse Deutsch und werden intensiv in Musik gefördert. «Alle Kinder lernen Noten lesen und ein Instrument spielen», erklärt Schulleiter Bödefeld. Das sei eine grosse Hilfe beim Sprachen lernen – und das Vorspielen auf der Bühne fördere Selbstvertrauen und Persönlichkeitsentwicklung. In Vergleichstest zum Ende der neunten Klasse mit anderen öffentlichen Schulen schnitt die Loyola-Schule derart gut ab, dass das Bildungsministerium die Ergebnisse verfälschte. «Es darf offenbar nicht sein, dass die deutsche Schule bessere als anderen ist», erklärt Schulleiter Bödefeld.

Schuleiter Bödefeld macht keinen Hehl daraus, dass man zu Beginn die Schule als Brückenkopf nach Deutschland verkauft habe. «Das hat viele Eltern angesprochen. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan in den 1990er-Jahren sind viele Albaner nach Deutschland geflohen. Überhaupt geniesst Deutschland seit Jahrzehnten hohes Ansehen, auch weil dieses die Albaner in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegen den serbischen Nationalismus unterstützte. In jüngster Zeit vermochten die nach den Nato-Eingriffen von 1999 stationierten Bundeswehrsoldaten das gute Image von Deutschland weiter zu festigen. Gleichwohl werde an den kosovarischen Schulen, so Axel Bödefeld, als erste Fremdsprache Englisch unterrichtet.»

Wer kann, studiert in Deutschland

«Viele junge Kosovaren träumen davon, sich im deutschsprachigen Raum eine Existenz aufzubauen», weiss Schulleiter Bödefeld. Am Gymnasium vor der Stadt wollen rund 40 Prozent der Abiturabgänger für ihr Studium nach Deutschland. «Auch wenn das kosovarische Abitur mit seinem Multiple-Choice-Charakter weit hinter den Ansprüchen des deutschen Abschlusses zurückbleibt, wird es in Deutschland anerkannt. Für alle nicht zugangsbeschränkten Studiengänge können sich die Schülerinnen und Schüler des Loyola-Gymnasiums einschreiben. Die Schule unterstützt die Jugendlichen bei Visa-Anträgen, dem Beantragen von Bildungsstipendien und anderen Formalitäten. Im Rahmen der sogenannten Ausbildungsinitiative lädt die Schule zudem deutsche Firmen ein, sich in Prizren zu präsentieren. «Die haben bis anhin direkt Lehrlinge rekrutieren können», so der Jesuitenpater.

Schulleiter Bödefeld ist klar, dass dieser Exodus an gut qualifiziertem Nachwuchs letztlich nicht zum Erstarken der noch jungen Volkswirtschaft beiträgt. Kosovo ist seit 2008 ein unabhängiger Staat, doch dieser hängt am Tropf der finanziellen Zuwendungen der Diaspora im Ausland. Um wenigstens ein Stück weit Gegensteuer zu geben, will die Loyola-Schule im kommenden Jahr eine Berufsschule eröffnen. Mit dieser soll die duale Ausbildung von Berufskräften innerhalb des Landes gestärkt werden.

Altes Schweizer Postauto holt und bringt die Schüler

Gegen 400 Schülerinnen und Schüler besuchen in Prizren die Grundschule. Am Gymnasium, das die 6.-12. Klasse umfasst, sind es über 700. Die meisten stammen aus der Umgebung von Prizren. In Bussen – darunter auch ein ausgemustertes Postauto-Fahrzeug aus der Schweiz – werden die Kinder aber auch aus den Städten im Umkreis einer Dreiviertelstunde abgeholt. Etwa hundert Jugendliche stammen aus der Hauptstadt Pristina, dem Norden sowie auch aus Albanien. Sie übernachten im hauseigenen Internat.

Auch für den 2005 errichteten Neubau vor der Stadt stellte die Stadt kostenlos Land zur Verfügung. Das Deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe finanzierte den Bau der Schulgebäude. «Etwas zur Miete kam nicht in Frage, nach dem Kosovo-Krieg war ja alles zerstört», erklärt Schulleiter Bödefeld. «Unsere Donatoren sind dabei sicherlich ein finanzielles Risiko eingegangen, aber es hat sich gelohnt», freut sich der Geistliche.

Mittlerweile fliessen der Schule nicht nur Gelder von Stiftungen, Ämtern und der Kirche in Deutschland, der Schweiz und Österreich zu. Immer wieder, wenn auch unregelmäßig, deckt das kosovarische Bildungsministerium auch einen Teil der Personalkosten. Letzteres sei keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenke, dass der kosovarische Staat immer auch wieder mit Schikanen aufwarte.

«Es gibt keine qualifizierte Lehrerausbildung im Kosovo»

Immer wieder müsse er sich mit bürokratischen Schikanen auseinandersetzen, bedauert Jesuitenpater Bödefeld. Spontan würden besondere Einfuhrzölle für dringend benötigtes Material verlangt, oder dann wiederum werde die Anerkennung als nicht gewinnorientierte Vereinigung nicht verlängert. Oftmals bleibe dem Schulleiter nichts anderes übrig, als mit Hilfe der deutschen Botschaft oder Anwälten Druck aufzubauen. Das eigentlich Schlimme sei, dass der kosovarische Staat offenbar kein Interesse daran habe, ein gutes Bildungswesen aufzubauen: «Es gibt nach wie vor keine mit Deutschland und der Schweiz vergleichbare qualifizierte Lehrerausbildung – für das Gymnasium werden nur Fächer studiert und auch das Grundschullehramt ist lediglich ein theorielastiger Studienlehrgang. Es gibt nicht wenige öffentliche Schulen, die haben noch nicht einmal fliessend Wasser, geschweige denn eine Heizung.»

Die kosovarischen Lehrpläne basierten auf den finnischen und wären an und für sich nicht schlecht, doch die damit verbundenen Ziele könnten im Rahmen der geschilderten Situation nicht umgesetzt werden. Aus diesem Grund floriert das Geschäft mit den Privatschulen im Land. «Allein im Raum Pristina gibt es etwa 20 verschiedene Privatschulen», erklärt Bauunternehmer Xhavit Gashi, der seinen Sohn an amerikanischen Schulen ausbilden liess. Unter diesen Schulen gebe es viele türkische, die der Güllen-Bewegung nahe stünden, aber nichts taugten.

Die Loyola-Schule ist als gemeinnütziger, nicht gewinnorientierter Verein organisiert. Mit Hilfe von Spendengeldern können die Schulgebühren für kosovarische Eltern erschwinglich gehalten werden. Auf Disziplin wird – ganz im Sinne des Jesuiten-Ordens – viel Wert gelegt. Zu spät kommen oder Fehlen wird nicht toleriert. «Kommt das wiederholt vor, künden wir den Vertrag mit den Eltern», stellt der Schulleiter klar.

Perspektive für Roma-Kinder

Damit die Schülerinnen und Schüler aber auch mit Freude lernen, setzt die Schule um einen wertschätzenden Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. ,Wir leben das im Umgang mit unserem Lehrpersonal vor und hoffen, dass dieses das dann an die Kinder weitergibt», erklärt Axel Bödefeld. «Wir kümmern uns um unsere Angestellten. Diese und ihre Familien sind krankenversichert. Auch zahle man überdurchschnittlich gut. «Ein Gymnasiallehrer im Kosovo verdient um die 500 Euro im Monat. Wir bezahlen deutlich mehr», so Schulleiter Bödefeld, der aber nicht möchte, dass der genaue Betrag veröffentlicht wird. «So haben wir Gewähr, dass wir die besten Leute für unsere Schule auswählen können». Und diese werden intensiv an der Schule aus- und weitergebildet, erklärt der Jesuitenpater Weiter biete man Unterstützung, wo wir können.» Der Schulleiter hofft, dass sich diese Kultur auch auf den Umgang mit den Schülerinnen und Schülern überträgt.

Besonders stolz ist Axel Bödefeld auf das «Tranzit-Projekt», das Roma-Kinder dabei unterstützt, wieder regelmässig die öffentliche Schule zu besuchen. «Angefangen hat es damit, dass Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums die Familien im Quartier besuchten und den Kindern bei den Hausaufgaben halfen. Dabei habe sich gezeigt, dass die meisten Kinder gar nicht zur Schule gehen, weil die Eltern aus unterschiedlichen Gründen ihren erzieherischen Pflichten nicht nachkommen könnten. «Viele Roma-Familien leben in existenzieller Armut, sind von Arbeitslosigkeit betroffen und kämpfen mit psychischen Problemen oder Suchterkrankungen», so Axel Bödefeld.

Demokratie-Erziehung für Gymnasiasten

Mit Hilfe von Spendengeldern konnte im Sommer 2018 ein zusätzliches Gebäude errichtet werden, in welchem die Kinder aus dem Quartier von Erziehern und Freiwilligen aus Deutschland betreut werden. «Die Kindern kommen am Morgen zu uns, erhalten ein Frühstück und gehen von hier aus an die öffentliche Schule. Die kleinen Kinder können hier den Kindergarten besuchen.» Wenn am Mittag der Unterricht endet, kommen die Schülerinnen und Schüler zurück ins «Tranzit» und erhalten zunächst einmal ein Mittagessen. Am Nachmittag helfen ihnen dann Erzieher und Schüler des Gymnasiums bei den Hausaufgaben. Aber auch Musikunterricht erhalten sie, Instrumente stellt die Schule zur Verfügung.

Das Ganze sei eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Die Roma-Kinder und die Jugendlichen am Loyola-Gymnasium. Für letztere ist das Tranzit-Projekt eine Möglichkeit, die kosovarische Gesellschaft besser zu verstehen und Vorurteile zu überwinden. «Erziehung zur Demokratie», nennt es Schulleiter Bödefeld. In diesem Sinne finden auch die gemeinsamen Sommercamps von Gymnasiasten und Roma-Kindern statt. Im vergangenen Jahr beispielsweise wurde so eine grosse Theaterproduktion für Prizren realisiert.

Im Foyer des «Tranzit» haben sich Roma-Kinder mit ihren Erziehern um einen Tischfussball-Kasten versammelt. Es wird mit Leidenschaft und Freude gespielt. Wir verabschieden uns und treten ins Freie. Ein letztes Händeschütteln, ein Abschiedsfoto. Noch immer regnet es, der Himmel ist neblig grau. Die gewonnen Eindrücke begleiten uns, heben sich angenehm ab vom tristen Dezembergrau.

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