02.06.2014

Brückenbauerin, Fährifrau und ein Hut

Von Horizonte Aargau

In Basel-Stadt und Basel-Land gibt es 470 verschiedene Kirchgemeinden und Religionsgemeinschaften. In dieser Vielfalt ist das Brückenbauen eine Herausforderung, sagt Lilo Roost Vischer. Sie ist Leiterin des Runden Tischs der Religionen beider Basel und Dozentin für angewandte Ethnologie mit Schwerpunkt soziale und religiöse Vielfalt.

Statt vom Brückenbau spricht die Koordinatorin lieber von einem Netzwerk, in welches auch jene 45 Prozent der Bevölkerung in der Stadt Basel einbezogen werden, die sich nicht zu einer Konfession bekennen. In das Netzwerk gehört auch der Kontakt zur staatlichen Verwaltung. Roost Vischer bezeichnet ihre Aufgabe als Schnittstelle. Es sei wichtig, dass neue religiöse Phänomene verstanden und eingeordnet werden. Zu Glaubensinhalten habe sich der Staat aber gemäss Bundesverfassung nicht zu äussern. Lilo Roost Vischer nimmt in ihrer Funktion als Expertin und Koordinatorin für Religionsfragen eine sehr starke Brückenfunktion wahr.

Gross und geschmeidig
Brücken muss die Stelleninhaberin immer wieder schlagen, besonders wenn es zwischen Bevölkerung und Religionsgemeinschaften zu Konflikten kommt. Ein wichtiges Instrument dazu bildet der «Runde Tisch der Religionen beider Basel», an dem die öffentlich-rechtlich und die kantonal anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften beteiligt sind, aber auch die beiden Dachverbände Evangelische Allianz und Basler Muslim Kommission und einige kleine Gemeinschaften. Filigrane Brücken, die bereits bestehen, aber noch nicht ganz auf stabilem Fundament fussen und von den Religionsgruppen nicht weitergebaut werden, werden von Roost Vischer gestärkt und zusammengehalten. Durch diese diffizile und sorgsam austarierte Arbeit werde der Zusammenhalt in der Bevölkerung gestärkt und ein friedliches, multireligiöses Zusammenleben ermöglicht. «Das kann man als Brückenbau verstehen. Aber manchmal denke ich lieber an einen Hut, unter welchem alle Interessen zusammengeführt werden. Dieser muss sehr gross und geschmeidig sein.» So auch die Brücke zwischen den verschiedenen Gemeinschaften in Basel. Auch sie muss gross und breit, aber eher dynamisch als statisch sein.

Hängebrücken überwinden
Vor schmalen Hängebrücken haben viele Menschen Angst. Sie trauen sich nicht, diese zu betreten. Das gilt auch für fragile Beziehungen zu Gemeinschaften. Dann sieht Lilo Roost Vischer ihre Aufgabe darin, den Leute diese Angst, ihren Schwindel vor dem Hindernis des Unbekannten zu nehmen, indem sie aufklärt: «Die Schlucht ist nicht halb so tief, wie sie scheint. Die Brücke wackelt zwar, sie ist aber dynamisch und stark. Sie hält jeden, der darüber geht. An ihrer Stabilität arbeiten wir gemeinsam. Wir müssen an alle Winde denken, die auf diese Brücke einwirken. Wir dürfen aber keine Windfahne sein.»

Zusammenarbeit stärkt
Der Bau von Brücken wird von verschiedenen «Glaubensintensitäten» beeinflusst. An der Stabilität arbeiten sehr fromme, strenggläubige Menschen und solche, für welche ihr Glaube eine kleine Rolle spielt oder die sehr kritisch gegenüber Religion eingestellt sind. Die Brücken müssen sowohl zwischen Gruppen geschlagen werden, die bereit sind, eine solche zu benützen, und jenen Gruppierungen, die nichts von einem Brückenschlag wissen wollen. Der «Runde Tisch», interreligiöse Veranstaltungen und Workshops dienen als Plattform für alle, die bereit sind zusammenzuarbeiten. «Diese Zusammenarbeit stärkt uns», sagt die Baslerin. Schwieriger ist es hingegen, Menschen und Gruppen zusammenzubringen, die auf eine starke Trennung bedacht sind.

Auch Engstirnigkeit überwinden
«Sorge bereitet mir, dass es immer salonfähiger wird, Islamismus und sogar Jihadismus mit Islam gleichzusetzen», sagte die Basler Koordinatorin für Religionsfragen. “ Gerade bei diesem Thema brauche es gute Ingenieure für den Bau einer soliden und doch nicht zu wuchtigen Brücke. Bei diesem Thema sei es enorm wichtig, auch die Ängste zu berücksichtigen. Dies erreichen wir nur durch Transparenz und Aufklärung.» Wenig nützlich ist es auch, wenn Gläubige den Standpunkt vertreten, den Koran oder die Bibel müsse man auf eine ganz bestimmte Art und Weise lesen, und auf dieser Position beharren. «Das ist eine Art von Generalisierung und Umgang mit einer Heiligen Schrift, die unserer Gesellschaft nicht würdig ist.» Einzelpersonen bereiteten in diesem Zusammenhang am meisten Probleme.

Mit der Fähre übersetzen
Die Rhein-Stadt Basel ist bekannt für ihre Fähren. Zuweilen sieht sich Lilo Roost Vischer als «Fährifrau», die zu den Leuten hinfährt. «Dann schaue ich, inwieweit diese gewillt sind, mit mir über den Fluss zu setzen.» Dazu zwingen kann man niemanden, und nicht jeder, der den Fuss auf die Fähre setzt, wird auch auf dieser bleiben. Es braucht zum Teil viel Überwindungwillen, aber auch viel Überzeugungskraft. Eine Brücke zu betreten ist einfacher und vermittelt eher das Gefühl der Gemeinschaft als die Fahrt mit der Fähre. Auf der Brücke kann sich jeder bewegen wie er will, und das ist angenehm. Die Fähre ist anstrengender, aber wenn das Übersetzen gelingt, dann ist das ein «starkes Signal». Es sind noch nicht alle Brücken über den Rhein geschlagen. Die Leiterin des Runden Tischs sieht sich manchmal auch als Mahnerin, vor allem in Bezug auf die Religionsfreiheit, zu der man Sorge tragen müsse. Als «Fährifrau» müsse sie jeweils «auf Kurs bleiben», sagt sie. «Doch eine gute Seglerin muss auch gegen den Wind kreuzen können, um vorwärts zu kommen», erklärt Lilo Roost Vischer.

Georges Scherrer, kipa

 

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