21.01.2016

Café «Fohlenweid»

Von Andreas C. Müller

Marie-Eve Morf und Jamie Armas begleiten im Auftrag der Aargauer Landeskirchen Flüchtlinge im Bundesasylzentrum Bremgarten. Mit Café-Betrieb jeden Mittwoch bieten die beiden Seelsorgenden den Flüchtlingen einen Tapetenwechsel und der einheimischen Bevölkerung eine Kontaktmöglichkeit.

Das Durcheinander im Saal könnte die Orientierungslosigkeit nicht besser zum Ausdruck bringen, zu der die Flüchtlingssituation in den vergangenen Monaten geführt hat. Das Bundesasylzentrum von Bremgarten platzt aus allen Nähten, das merkt man auch in einem Gebäude unweit der Asylunterkunft, wo jeden Mittwochnachmittag für Flüchtlinge und Interessierte aus der Bevölkerung ein Café unterhalten wird. Man findet das Haus mit dem spitzen Dach nicht auf Anhieb – es trägt kein Schild. Und die Beschilderung «Fohlenweid» führt zu einem Reiterhof in der Nähe und somit ins Leere.

Flucht vor den Taliban
«Eigentlich war dieses Café dazu gedacht, den Kontakt zwischen Flüchtlingen und der einheimischen Bevölkerung zu fördern», erklärt mir die Seelsorgerin Marie-Eve Morf. Doch es zeigt sich, dass mit Einkehr der kalten Jahreszeit der Nachmittag vor allem den Asylbewerbern als willkommener Tapetenwechsel dient. Jafari N. zum Beispiel. Zusammen mit ihren drei Schwestern und deren Kindern war die junge Frau drei Monate unterwegs. Aktuell sind in der Unterkunft vor allem Afghanen untergebracht. Der neu aufflammende Terror der Taliban hat viele Menschen in Afghanistan in die Flucht geschlagen. Auch Familien mit Kleinkindern sind gekommen und haben für die Reise in die Schweiz viel Geld bezahlt. Wer arm ist, kann sich eine Flucht gar nicht leisten und bleibt vor Ort seinem Schicksal überlassen.

Auftrag der Kirche
Der katholische Seelsorger Jaime Armas unterstützt seine reformierte Kollegin Marie-Eve Morf. Die beiden haben von den drei Aargauer Landeskirchen 90 Stellenprozente erhalten, um Asylbewerbende so gut es geht in ihrer Situation zu begleiten und in essentiellen Belangen zu unterstützen. «Wir erklären den Menschen, was mit ihnen hier passiert, versuchen herauszufinden, was ihnen helfen könnte und mobilisieren Menschen aus der Umgebung für Sachspenden wie Spielzeug oder Kleidung», erklärt Jaime Armas.

Respektvoll behandelt
Etwa fünftausend Franken hat Sardar I. für die Reise in die Schweiz gebraucht. Seine Eltern haben das Geld organisiert, um Sardar ein anderes Leben zu ermöglichen. Ein Leben ohne Taliban, «die willkürlich foltern und töten», wie der 18-Jährige erklärt. Was aus seinen Eltern geworden sei, weiss Sardar nicht. Der junge Mann spricht gebrochen Englisch. Auf seine Flucht angesprochen, verfällt Sardar in hektisches Erzählen. Seit gut zwei Monaten sei er in der Schweiz. Wie er es genau hierher schaffte, vermag der Afghane nicht mehr genau zu rekonstruieren. «Teils wurden wir von Schleppern in Boxen eingeschlossen, so dass wir uns nicht mehr orientieren konnten.» Neun Wochen etwa sei er unterwegs gewesen. Eine gefahrvolle Reise über Pakistan, Iran und Griechenland. In Wäldern ohne Orientierung und Essen. Immer wieder aufgegriffen von Militär und bewaffneter Polizei. Immer wieder habe er alle Hoffnung verloren. Im Zug auf dem Weg in die Schweiz, habe er sich – als man ihn aufgriff – zunächst auch gefürchtet. Dann aber habe er nach und nach realisiert, dass hier ein sicherer Ort sei, wo Flüchtlinge respektvoll behandelt werden.

Erschreckende Schicksale
Geschichten wie jene von Sardar I. kommen Marie-Eve Morf und Jaime Armas immer wieder zu Ohren. Die beiden berichten von somalischen Frauen, die auf sich allein gestellt mit ihren Kleinkindern geflüchtet sind. Von Jugendlichen im Alter von 12, 13 Jahren, die es ohne erwachsene Begleitung schafften. Die beiden Seelsorgenden wissen aus Erzählungen von Banden, die in der lybischen Wüste Flüchtlingen auflauern, sie töten und für den Organhandel ausweiden. Andere Geflohene wiederum beklagen Verluste: Angehörige und Freunde. Oder sie hadern – so wie jener junge Mann, der auf der Flucht in Italien strandete und plötzlich keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich zu prostituieren, um über die Runden zu kommen.

Gute Gründe mit Kindern
Manfred Streich und Silvia Gasser gehören zu den wenigen Einheimischen, die den Weg ins Café gefunden haben. Er ist Präsident der reformierten Kirchgemeinde Bremgarten, sie ehrenamtliche Kirchenpflegerin. «Es ist schwierig abzuschätzen, wer wirklich an Leib und Leben bedroht war, und wer einfach mit der Aussicht auf ein besseres Leben hierher kam», meint Silvia Gasser. Ihr tun aber die Kinder leid. «Diejenigen, die mit kleinen Kindern gekommen sind, die machen das nicht einfach so. Die haben gute Gründe», ist die Kirchenpflegerin überzeugt. Wir blicken in die Runde, beobachten die vielen Kinder, die miteinander spielen. Gemäss Angaben von Maire-Eve Morf und Jaime Armas leben aktuell etwa 20 Familien mit je mehreren Kindern im Asylzentrum –alleinerziehende Mütter nicht eingerechnet. Den meisten Kindern sieht man nicht an, was sie durchgemacht haben, anderen schon. Jaime Armas und Marie-Eve Morf stehen in ihrem Bemühen, stets aus dem Moment heraus zu spüren, was jetzt wichtig ist, nicht allein da. Etwa fünf Freiwillige unterstützen die beiden. «Weiter kommen fast jeden Mittwoch jüngere und ältere Menschen aus der Bevölkerung zu Besuch und bringen Kuchen und was sonst noch gebraucht werden kann. Zum Beispiel Wolle, Reisetaschen oder Koffer», erklärt Marie-Eve Morf.

Überfordert bei Abweisung
Unterstützung in der Bevölkerung mobilisieren, Kontakt halten zu den Einheimischen und den Flüchtlingen. Das ist der Arbeitsalltag von Marie-Eve Morf und Jaime Armas. Eine harte Arbeit, die immer wieder Hoffnungen zerstört. «Wir müssen den Menschen erklären, dass ihr Asylgesuch unter Umständen abgewiesen wird. Und jenen, die einen negativen Entscheid erhalten haben, müssen wir auf ihren weiteren Weg vorbereiten», erklärt Jaime Armas. «Was, machst du, wenn du wieder in Italien bist? Wovon willst du leben, wenn du hier untertauchen willst?» Die Menschen, so beschreiben es die beiden Seelsorger, sind mit ihrer Situation meist überfordert. «Eine Zukunft planen, das können diese Leute nicht», meint Marie-Eve Morf. «Wir halten die Betroffenen an, die Träume klein zu halten, doch die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Frieden nie zu verlieren.»

 

Offen für alle
Jeden Mittwochnachmittag von 14 bis 16 Uhr: Kaffee, Tee und Gebäck für Flüchtlinge, Einheimische und auswärtige Interessierte im Café «Fohlenweid» direkt neben dem Bundesasylzentrum.

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