17.08.2020

Co-Piloten flogen nach Zofingen

Von Christian Breitschmid

  • Am Montag wurde in Zofingen das Projekt Co-Pilot der Caritas Aargau vorgestellt. Damit wird Zofingen auch gleich als neuer Projektstandort eröffnet.
  • Seit dem Start dieses Mentoringprojektes vor zwei Jahren in Aarau und Baden hat sich diese Art der freiwilligen Integrationshilfe für Flüchtlinge erfolgreich im Kanton etabliert.
  • Ein Co-Pilot und eine Pilotin haben Horizonte einen Blick in ihr Cockpit ermöglicht und dadurch das Ziel bestätigt, das die Erfinder des Projektes ansteuern: eine gelingende Integration.

 

 

Ulrich Schütz hat einen beeindruckenden beruflichen Werdegang vorzuweisen. Nach der kaufmännischen Lehre hat er sich über den Verkauf in die Welt der Werbung und Public Relations begeben, wo er unter anderem als Marketing- und Werbefachmann für die Crédit Suisse gearbeitet hat. Er hat seine eigene Kommunikationsfirma gegründet und sich als Verwaltungsrat und Spezialist für Marketing und Kommunikation für diverse Raiffeisenniederlassungen eingesetzt.

Heute geniesst der 69-Jährige zusammen mit seiner Frau den Ruhestand. Allerdings nicht, ohne etwas von dem weiterzugeben, was er in seinem aktiven und erfolgreichen Leben gelernt und gewonnen hat. «Ich will mein Wissen und mein Know-how weitergeben», sagt Ulrich Schütz, «denn ich muss jetzt ja nicht mehr für mich schauen, sondern kann mehr für andere da sein.»

«Ich bin als Co-Pilot noch ein Greenhorn»

Er sei in armen Verhältnissen aufgewachsen, erzählt Ulrich Schütz beim Treffen mit Horizonte im Bahnhofbuffet Olten. «Ich habe gelernt, zu kämpfen. Obwohl ich in eine gute Zeit reinkam und sehr gute Jahre hatte, musste ich mich immer ranhalten. Ich glaube, es geht um den Willen. Man muss den Willen haben, etwas zu tun, dann erreicht man auch etwas.»

Als er vor ein paar Wochen in der Regionalzeitung einen Beitrag über Isabelle Odermatt und ihr Projekt Co-Pilot bei der Caritas Aargau gelesen hatte, rief er sofort da an und hat sich als Co-Pilot gemeldet. «Nach meiner Pensionierung wollte ich nicht mehr auf meinem Beruf arbeiten, sondern etwas für andere Menschen tun. Die Idee, Flüchtlinge zu begleiten, die sich in unserem Land integrieren wollen, hat mich begeistert. Mein Pilot ist ein junger Mann aus Libyen, der seit neun Jahren in der Schweiz ist, aber seinen Weg noch nicht recht gefunden hat. Wir haben uns erst dreimal getroffen. Für mich geht es zuerst einmal darum, herauszufinden, wo seine Stärken und Schwächen sind. So kann er erkennen, was realistische Ziele für ihn sind. Es wird auch für mich ein spannender Weg, denn ich bin als Co-Pilot ja noch ein Greenhorn.»

Co-Piloten machen keine Blindflüge

Isabelle Odermatt, die Co-Pilot-Projektleiterin, hat in den vergangenen zwei Jahren viele gute Erfahrungen gesammelt mit ihrem Mentoringangebot. Nach je vier Projektstarts in Aarau und Baden, geht es heute Abend in Zofingen los und bald auch in Wohlen. Schon mehr als 80 Tandems hat das Projekt auf die gemeinsame Integrationsreise geschickt. Dabei werden Piloten und Co-Piloten, also Flüchtlinge und deren Begleiter, aber nicht auf einen Blindflug geschickt, sondern mit Bedacht zusammengebracht und betreut.

Das Ausbildungsprogramm für die Co-Piloten ist standardisiert. Nach dem Infoabend, so wie heute in Zofingen, folgen zwei Einführungsabende, wo es zuerst um Kommunikation und rechtliche Grundlagen, dann um praktische Fallbeispiele geht, die in Kleingruppen besprochen werden. Erst nach diesem Abend entscheiden sich die Co-Piloten definitiv, ob sie weitermachen wollen oder nicht. Der nächste Anlass ist dann der sogenannte Matching Day, wo sich Piloten und zugewiesene Co-Piloten erstmals treffen. Ab dann treffen sich diese Tandems in eigener Planung zwei- bis viermal pro Monat. Nach rund zwei Monaten gibt es einen dritten Weiterbildungsabend für die Co-Piloten, der vor allem dem Erfahrungsaustausch dient. Das Projekt endet offiziell nach einem Jahr und wird mit einem Schlussfest gefeiert. Wenn Pilot und Co-Pilot es wünschen, kann die Zusammenarbeit um ein weiteres Jahr verlängert werden.

«Wir sind Freunde geworden»

Hiryti Mekonen strahlt übers ganze Gesicht, als sie von Horizonte zu ihren Erfahrungen als Pilotin im Caritas-Projekt befragt wird: «Ich wollte unbedingt gut Deutsch lernen und Kontakte knüpfen hier in der Schweiz», sagt die junge Frau, die vor zwölf Jahren aus Eritrea geflüchtet ist und nun alles daransetzt, als alleinerziehende Mutter sich und ihre beiden Kinder aus eigener Kraft ernähren zu können. Als sie 2018 vom Projekt Co-Pilot erfuhr, hat sie sich gleich angemeldet und fand in ihrer Co-Pilotin und deren Mann nicht nur engagierte Mentoren, sondern echte Freunde.

Maria und René Hasler begannen damit, Hiryti Mekonen und ihren Kindern den Aargau zu zeigen und sie mit Schweizer Gebräuchen und Traditionen bekannt zu machen. «Wir haben viele Ausflüge zusammen gemacht», erzählt die stolze Mutter. «Wir haben drei Schlösser im Aargau besucht, wir waren am Hallwilersee und vor kurzem auch im Riesenwald in Elm. Das war so schön, und meine Kinder waren glücklich.» Auch wenn es darum geht, Behördengänge zu absolvieren, offizielle Schreiben zu erklären oder Bewerbungen zu verfassen, stehen Haslers Hiryti Mekonen mit Rat und Tat zur Seite. «Wir haben das Projekt noch um ein Jahr verlängert. Nun ist es offiziell zwar zu Ende, aber wir treffen uns weiterhin regelmässig», berichtet Hiryti Mekonen in gutem Deutsch. «Ich kann Maria und René nicht genug danken für alles, was sie für mich und meine Kinder getan haben.»

Ziel des Projekts: Beziehungen aufbauen

Was Hiryti Mekonen mit Familie Hasler erlebt hat, und was Ulrich Schütz mit seinem Piloten zu erreichen versucht, ist genau das, was Isabelle Odermatt als Ziel des Projekts Co-Pilot anstrebt: den Aufbau einer Beziehung. «Es geht nicht darum, in diesem einen Jahr genau dieses oder jenes zu erreichen», erklärt die Projektleiterin, «sondern es geht darum, Zeit zu schenken und eine Beziehung aufzubauen. Unser Projekt ist in diesem Sinne sehr nachhaltig, denn es entstehen dabei immer wieder Freundschaften. Es ist wichtig, dass ein Flüchtling sagen kann: ‹Ich kenne jemanden…› Das ist nicht etwas, das einfach so schnell-schnell passiert. Es braucht Zeit. Das ist auch eine gute Erfahrung für die Co-Piloten.»

Wer sich für einen Einsatz als Co-Pilot interessiert, findet hier weitere Auskünfte. Man kann sich auch jederzeit ausserhalb eines laufenden Projekts direkt bei Isabelle Odermatt melden, unter der Telephonnummer 062 837 06 10 oder der E-Mail io@caritas-aargau.ch.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.