30.07.2020

Corona macht die Armen noch ärmer

Von Christian Breitschmid

  • Die Lockerung der Coronamassnahmen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die finanziellen Folgen der Virenbedrohung besonders die trifft, die eh schon nichts haben.
  • Caritas Schweiz verteilt in ihren Märkten Gratismasken und wirbt in Bundesbern für eine direkte Unterstützung, respektive finanzielle Entlastung von Bedürftigen.
  • Die Fallzahlen von Caritas Aargau lassen aufhorchen, und auch ein Blick in die Asylunterkünfte des Kantons bestätigt die düstere Langzeitwirkung des Virus‘.

 

Das erleichterte Aufatmen in der Schweiz wich schnell einer nationalen Schnappatmung, nach der (zu?) frühen Lockerung der Coronamassnahmen durch den Bundesrat. Die Zahl der Covid-19-Fälle stieg wieder an und der Bundesrat musste die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr verordnen. Kein Problem für Normalverdiener, aber eine Herausforderung für alle, die schon vor Corona am Rande des Existenzminimums lebten. Die Maskenpflicht allein ist es allerdings nicht, welche finanzielle Nöte fördert. Es ist die prekäre Situation, in der Beschäftigte in Tieflohnbranchen, in Stundenlohnverträgen oder «auf Abruf» leben. Die wirtschaftlichen Einbussen durch die Coronakrise treffen sie zuerst.

Fallzahlen steigen

Caritas Schweiz zögerte nicht lange. Anfang Juli verkündete das Katholische Hilfswerk, dass es in seinen Caritas-Märkten Hygienemasken gratis an Armutsbetroffene abgebe. Ausserdem verlangte Caritas vom Bund eine direkte Unterstützung der Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter. Für sie fordert Caritas: Kostenlose Krippenplätze für Familien mit kleinem Einkommen, dazu eine um 50 Prozent erhöhte Verbilligung von Krankenkassenprämien während zweier Jahre, Kurzarbeitsentschädigungen für tiefe Einkommen, die 100 Prozent des Monatslohnes decken, und eine einmalige Direktzahlung in der Höhe von 1000 Franken für Menschen mit Kleineinkommen und Marginalisierte.

Hilfe, die unbedingt nötig ist, wie Emil Inauen, stellvertretender Geschäftsleiter von Caritas Aargau und Co-Bereichsleiter der Kirchlichen Regionalen Sozialdienste (KRSD), mit aktuellen Zahlen belegt. Im ersten Halbjahr 2020 eröffneten die KRSD bereits 788 Klientendossiers. Im ganzen Vorjahr waren es 1258. Dazu kommen 1303 Kurzberatungen. «Es zeigt sich, dass wir voraussichtlich bereits im September die Gesamtzahlen des Vorjahres erreichen werden», sagt Emil Inauen. Mehr Informationen zum Thema «Nothilfe für Betroffene» findet man auch in der neusten Ausgabe des Magazins «Da + Dort» von Caritas Aargau, das man auf dieser Website als PDF runterladen kann.

Finanzielle Nothilfe

Sieben KRSD gibt es im Aargau. Die 22 Mitarbeiter können den gegenwärtigen Ansturm von Rat- und Hilfesuchenden gerade noch meistern. «Aber immer mehr schaut auch unsere reguläre Klientel wieder vorbei», erklärt Emil Inauen, «das führt dann zu einer enorm hohen Auslastung, weshalb wir die Beratung temporär ausbauen.» Neben den Beratungen bieten die KRSD auch finanzielle Nothilfe an. Die Gelder fliessen – zweckgebunden – aus der Coronasammlung der Glückskette. Aber auch direkte Spenden von Privaten und die Beiträge der Kirchen machen es möglich, Notleidenden unter die Arme zu greifen. Zudem gehört es zu den Aufgaben der KRSD-Mitarbeiter, ihre Klienten zu unterstützen bei der Formulierung und Einreichung von Sozialhilfe- und anderen Gesuchen.

«Schafft mehr Platz!»

Ebenfalls am Rande unserer Gesellschaft und darum auch oft nicht im Fokus des öffentlichen Interesses, bemühen sich die Asylsuchenden und deren Betreuer, den Vorgaben von Bund und Kanton gerecht zu werden. Schon zu Beginn der Coronakrise hat der Verein Netzwerk Asyl Aargau (VNAA) darauf hingewiesen, dass die Schutzmassnahmen des Bundesamtes für Gesundheit in den Asylunterkünften nicht ausreichend umgesetzt würden. «Unsere Forderung lautet nach wie vor: Schafft mehr Platz in den Unterkünften!», sagt die Präsidentin des VNAA, Patrizia Bertschi.

Auf Nachfrage von Horizonte, teilt die Kommunikationsstelle des Kantonalen Sozialdienstes (KSD) zur Raumsituation in den Asylunterkünften mit: «Nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat der KSD entschieden, dass eine merkliche und wirksame Ausdünnung der Unterkünfte, durch Schaffung von bis zu 800 zusätzlichen Betten, unrealistisch ist. Vielmehr wurde die umfassende Information der Asylsuchenden und Betreuenden zu den Hygiene- und Verhaltensregeln ins Zentrum der Bemühungen gestellt. In allen Unterkünften wurden Isolationszimmer oder -stockwerke geschaffen sowie weitergehende bauliche und hygienische Massnahmen umgesetzt. Mit der Schaffung der Isolierstation im Werkhof Frick hatte der KSD früh ein effizientes Instrument zur Verfügung, wenn vermehrte Corona-Fälle auftreten würden. Dass die Informationspolitik erfolgreich war, zeigt sich am Verhalten der Bewohner, das von Anfang an grossmehrheitlich vorbildlich war und ist.»

«WLAN muss in allen Zimmern funktionieren»

Dass man in allen Unterkünften mittlerweile WLAN eingerichtet habe, sei zwar zu begrüssen, sagt Patrizia Bertschi, «aber es nützt nichts, wenn das Internet nicht im ganzen Haus zur Verfügung steht. So kann man weder in Ruhe telephonieren, noch für die Schule lernen. Das WLAN muss in allen Zimmern der Unterkunft funktionieren.»

Auch zu dieser Forderung nimmt der KSD Stellung: «Mit der Qualität der während der Covid-19-Pandemie installierten WLAN-Einrichtungen in den kantonalen Asylstrukturen macht der KSD gute Erfahrungen. Die Rückmeldungen sind mehrheitlich positiv. Es ist richtig, dass vereinzelt in grösseren, verwinkelten Unterkünften das Netz nicht flächendeckend in allen Zimmern ausreichend ist. Der KSD sammelt aktuell Erfahrungen mit den neuen Systemen. Sollte sich herausstellen, dass in einzelnen Unterkünften Handlungsbedarf besteht, werden weitere Massnahmen für eine Verbesserung der Situation geprüft.»

Freiwillige gesucht

Den Asylsuchenden stellt der kantonale Sozialdienst Hygienemasken zur Verfügung, wenn sie den öffentlichen Verkehr benutzen müssen. Die Medienstelle des KSD führt aus: «Das Betreuungspersonal des KSD wurde seit Beginn der Corona-Pandemie regelmässig instruiert, wie die Maskenabgabe zu erfolgen hat. Seitdem für den ÖV die Maskentragpflicht gilt, erhält jede Person des Asylbereiches eine genügend hohe Anzahl an Masken, die sie für den Alltag braucht. Die Einhaltung der Massnahmen des BAG und des Kantons werden durch das gesamte Betreuungspersonal des KSD mitgetragen und konsequent umgesetzt.»

Der VNAA will sich darauf allein nicht verlassen und will darum nach den Sommerferien im Drehpunkt Baden damit beginnen, selber Masken zu nähen. «Zwei Näherinnen haben wir schon», freut sich Patrizia Bertschi, «aber ich hoffe, dass sich noch weitere Freiwillige für diese Aktion melden.» Die Vereinsmitglieder setzen alles daran, die Asylsuchenden aus ihrer Isolation in den Unterkünften herauszulocken. Die Angst vor dem Virus habe dazu geführt, dass viele, auch Kinder, kaum mehr ihre Zimmer verliessen. «So waren sie noch mehr abgeschnitten von der Gesellschaft», erklärt Patrizia Bertschi. Die Wiederaufnahme der diversen VNAA-Angebote soll nach den Sommerferien, mit aller gebotenen Vorsicht, den sozialen Zugang wieder öffnen.

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