25.06.2015

Damit der Auszug nicht zum Absturz führt

Von Andreas C. Müller

Mit Erreichen der Volljährigkeit lockt die grosse Freiheit: Das eigene Auto und der Auszug von daheim. Die Schritte in die Unabhängigkeit sind jedoch teuer und setzen in manchen Fällen eine gefährliche Verschuldung in Gang. Die Schuldenberatung Aargau-Solothurn hat zu diesem Thema mit www.heschnocash.ch ein Kampagne lanciert.

Frau Zobrist, Sie sind Mutter von drei Töchtern. Wie schauen Sie, dass Ihre Kinder keine finanziellen Probleme bekommen?
Barbara Zobrist:
Ich habe mit meinen Kindern immer wieder über Geld, Wünsche und Realitäten geredet und in diesem Zusammenhang auch Auseinandersetzungen ausgefochten. Meine Kinder haben schon bei mir für mehr Sackgeld demonstriert.

Haben die Eltern die Erziehung im Griff, dann schafft der Nachwuchs es auch mit den Finanzen. Stimmt das?
Andrea Fuchs:
Es ist wichtig, dass Geld schon für Eltern mit Kindern im Primarschulalter ein Thema ist. Die Ausrüstung für Kinder ist im Vergleich zu früher anspruchsvoller und teurer geworden. Hinzu kommt der Druck, was Kinder alles haben müssen und wollen. Es ist unglaublich, wie viel Geld Eltern für Ihre Kinder ausgeben.
Barbara Zobrist: Es ist hart, immer wieder nein zu sagen und das auszuhalten.
Andrea Fuchs: Die Einstellung der Eltern zum Thema Geld ist aber ganz entscheidend für das Verhalten des Nachwuchses. Das steht ausser Frage.

Erziehung in Sachen Finanzen: Worauf muss ich achten? Gerade, wenn ich Kinder habe, die ständig irgendetwas haben wollen?
Andrea Fuchs:
Es ist wichtig, zu diskutieren, was notwendige Anschaffungen und was Wünsche sind. Wünsche sollten nicht ständig erfüllt werden, dafür gibt es den Geburtstag und Weihnachten. . Und darüber sprechena, was Dinge kosten. Wohnen, Essen etc. sind wichtiger als Spielzeuge oder ein neues Handy.
Barbara Zobrist: Kinder sollen auch lernen, auf etwas zu warten. Mit ihrem Taschengeld auf etwas sparen, einen Ferienjob annehmen, selber Geld erwirtschaften.
Andrea Fuchs: Und ab dem 12. Lebensjahr dann der Jugendlohn. Die Jugendlichen bekommen einen monatlichen Betrag für klar definierte Bereiche wie Freizeit, Bekleidung, Kommunikation und andere Belange. Auf www.jugendlohn.ch wird erklärt, wie das funktioniert. Die Jugendlichen können so Erfahrungen machen und lernen, mit einem beschränkten Budget auszukommen. Insbesondere, dass das Geld rasch weg ist, wenn man nicht aufpasst.

Und was können Lehrmeister und Lehrpersonen tun?
Andrea Fuchs:
Sehr viel. Die Sensibilisierung dieser wichtigen Bezugspersonen gehört zu den Kernaufgaben unserer Fachstelle. Beispielsweise schlagen wir den Ausbildern vor, die Eltern und angehenden Lernenden schon beim Unterschreiben des Lehrvertrags zu informieren, dass der Lehrlingslohn für notwendige Ausgaben und nicht nur für den Ausgang vorgesehen ist. Das hilft Eltern sehr, mit den Jugendlichen realistische Vereinbarungen zu treffen. Und die Lernenden und frisch Ausgelernten zu motivieren, vom Lohn monatlich direkt Zahlungen für die Steuern und die Krankenkassen zu machen.
Barbara Zobrist: Aus gutem Grund, denn 77 Prozent der Leute, die später zu uns in die Beratung kommen, haben Steuerschulden, 44 Prozent zahlen Ihre Krankenkassenprämien nicht. Letzteres hat mitunter gravierende Folgen bei einer Erkrankung, wenn sich die Versicherer weigern, gewisse Leistungen zu übernehmen.

Die Leute, die später bei Ihnen in der Schuldenberatung landen. Das Vorurteil liegt nahe, es handle sich um Menschen mit niedrigem Bildungsstand.
Barbara Zobrist:
62 Prozent unserer Klientinnen und Klienten haben einen Lehrabschluss oder eine Matur, 5 Prozent sogar einen Fachhochulabschluss.

Also nicht unbedingt vererbte Armut. Was sind denn die Gründe? Immerhin leben gemäss einer neuen Statistik des Bundes 40 Prozent der Bevölkerung in einem Haushalt mit Schulden.
Barbara Zobrist: Der Schritt in die Unabhängigkeit ist eine Herausforderung. Wohnt man daheim, hat man auch als Lehrling relativ viel Geld zur Verfügung. Wer volljährig wird und auszieht, ist sich oft zu wenig bewusst, was man an Verpflichtungen eingeht. Die Steuerrechnung kommt erst lange im Nachhinein. Er werden keine oder zu wenig Rückstellungen gemacht.
Andrea Fuchs: Der erste Lohn nach der Lehre sieht nach viel Geld aus, doch es ist auch schnell ausgegeben. Lebenskosten sind selten ein Thema und werden unterschätzt. . Hinzu kommt, dass Ausgelernte in diversen Berufen zu Beginn auch einfach zu wenig verdienen. Als Dentalassistentin, Floristin oder Coiffeuse hast du kaum Luft im Budget. Gleichwohl willst du dazugehören, kaufst dir ein Smartphone, least dir ein Auto. Da spielt der soziale Druck. Wenn dann aber etwas Unvorhergesehenes passiert, beispielweise Arbeitslosigkeit oder Schwangerschaft, dann wird’s problematisch.

Und dann kommen die Leute zu Ihnen in die Beratung.
Andrea Fuchs.
Leider kommen viele Menschen erst nach jahre- und jahrzehntelanger Verschuldung in die Beratung. Oftmals versuchen sich die Betroffenen zunächst mit der Aufnahme von Krediten abzuhelfen. Konsumkredite kosten mehrere Tausend Franken. Das ist alles andere als hilfreich für ein angespanntes Budget. Gerade in der Anfangsphase der Verschuldung kann Beratung mit wenig Aufwand sehr viel bringen.

Und wie kann die kantonale Schuldenberatung den Betroffenen helfen?
Barbara Zobrist:
Wir schauen als Erstes, dass sich die Betroffenen nicht weiter verschulden. Dann machen wir uns an die Sanierung, wenn dies möglich ist. Das dauert mehrere Jahre und bedeutet eine harte Zeit. Mit den Gläubigern müssen Übereinkünfte getroffen werden, das geht jedoch häufig über die gerichtlichen Instanzen.

Und wie erfolgreich ist das? Immerhin wird die kantonale Schuldenberatung ja mit Steuergeldern finanziert. Im Minimum bürgerliche Kreise dürften sich für den «Return on Investment» interessieren.
Barbara Zobrist:
Allein im Aargau haben wir für das Jahr 2014 eine halbe Million Franken an Steuergeldern gesichert. Zudem hat eine Berner Studie belegen können, dass jeder Franken in eine kantonale Schuldenberatung mindestens doppelt wieder zurückkommt.

Finanziert sich das Angebot einzig über die Kantone?
Barbara Zobrist:
Die Finanzierung der Stelle erfolgt über Leistungsvereinbarungen mit den Kantonen Aargau, Solothurn und der Caritas Schweiz. Weiter gibt es Betriebsbeiträge der Reformierten und Römisch-Katholischen Landeskirchen Aargau, Mitgliederbeiträge, Honorare, Projektbeiträge sowie Spenden.

Und wo ist das Angebot erreichbar?
Barbara Zobrist:
Unser Hauptsitz ist in Aarau, mit einer Aussenstelle in Grenchen und der Budgetberatung in Solothurn. Derzeit arbeiten in der Schuldenberatung 7 Personen mit insgesamt 415 Stellenprozenten sowie eine Auszubildende mit 60 Stellenprozenten. Für die Budgetberatung Solothurn sind zwei Mitarbeiterinnen im Stundenlohn angestellt.

Wir haben mit Jugendlichen an der Aarauer Berufsschule über das Thema gesprochen. Die meisten Befragten schienen uns sehr abgeklärt im Umgang mit dem Thema.
Barbara Zobrist:
Der grösste Teil der Jugendlichen, das darf ich getrost sagen, kann gut mit Geld umgehen.
Andrea Fuchs: Und die, die nicht mit Geld umgehen können, sagen es nicht. Jeder 25-Jährige mit Schulden ist einer zu viel! Wir wollen möglichst viele mit unserer Präventionsarbeit erreichen, damit sie gar nicht erst in der Schuldenberatung landen. Das heisst, dass  die jungen Leute von selber auf die Idee kommen, vor dem Auszug von daheim ein Budget zu erstellen, sich via unsere Webpage www.heschnocash.ch Anregungen holen. Natürlich können sie auch zu uns in die Beratung kommen.

 

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