18.09.2017

Dankbarkeit als Öl im Getriebe

Von Anne Burgmer

Seit 1999 gibt es in Baden am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag das Gebet der Religionen. Mit dem diesjährigen Schwerpunkt beginnen die Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften eine thematische Reihe entlang dem offiziellen Feiertagstitel.

Das Muschelhorn, so erklärte Josef Stübi, Pfarrer der Katholischen Stadtpfarrei Baden, bei der Begrüssung der Gemeinde am 17. September 2017, werde leider nicht erklingen. Die Vertreterin der Hinduistischen Gemeinde lasse sich wegen Krankheit entschuldigen.

Dann ging alles seinen gewohnten Gang: die Glocken der Kirche läuteten, Kantor Alexander Hoffmann sang das jüdische Schma Jisrael, der Muezzin Ali H. intonierte im Anschluss den muslimischen Adhan. Gen hundert Menschen lauschten hochkonzentriert den verschiedenen Klängen. Es hat Tradition, dass die verschiedenen Gebetsrufe jeweils zu Beginn des Anlass erklingen. Später bereicherte der Organist Hans Zumstein die einzelnen inhaltlichen Abschnitte mit seinen musikalischen Interpretationen der verschiedenen Religionen.

Auftakt zu thematischer Reihe

«Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag sei in der politisch und konfessionell stark unterteilten Schweiz ein staatspolitisch begründeter gemeinsamer Feiertag, der den Respekt vor den Andersdenkenden in den Fokus stelle», erinnerte Josef Stübi an die Geschichte des Gedenktages. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil werde er ökumenisch begangen und in der jüngeren Geschichte an verschiedenen Orten wie zum Beispiel Baden auch interreligiös. Der offizielle Titel des Feiertages, so Josef Stübi weiter, sei in diesem und den folgenden zwei Jahren der thematische Leitfaden für das Gebet der Religionen. Es gehe also diese Jahr um den Dank und Dankbarkeit könne man als Öl im Getriebe des menschlichen Zusammenlebens bezeichnen.

Verschiedene Facetten

Eindrucksvoll beleuchten anschliessend die verschiedenen Vertreterinnen und Vertreter der christlichen, muslimischen, jüdischen und Baha’i Gemeinschaft ausgehend von Zitaten aus den jeweiligen heiligen Texten das Thema Dankbarkeit.

Malik Allawala, Verteter des Verbandes Aargauer Muslime (VAM), rezitierte Verse aus den Suren 14, 2 und 16. Dankbarkeit gegenüber Gott heisse, Gottes Existenz anzuerkennen und Wertschätzung für seine Schöpfung zu zeigen. «Gott braucht diesen Dank nicht, aber durch unseren Dank teilen wir ihm mit, dass sein Einsatz für uns nicht selbstverständlich ist», legte Malik Allawala dar.

Die reformierte Pfarrerin Christina Huppenbauer brachte den Epheserbrief ins Spiel, der dazu auffordert, «allezeit für alle Dinge zu danken». Ob das, so Christina Huppenbauer, auch für den ausgerenkten Arm, die lauten Nachbarn oder den verpassten Zug gelte? «Warum eigentlich nicht? Danken ist die Brücke des Lebens. Die Brücke von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Gott. Und wer weiss, welche neuen Wege sich öffnen, wenn etwas anders läuft als geplant», zog Christina Huppenbauer ihr Fazit.

Kevin De-Carli von der Israelitischen Kultusgemeinde Baden näherte sich dem Thema über das Wort. Das hebräische Hodah in der Tora bedeute, seine eigenen Schwächen zuzugeben und Leistungen der Anderen anzuerkennen. «Danken will ich dir, Gott, der du die Seele in mir erneuert hast», zitierte Kevin De-Carli das jüdische Morgengebet. Im Talmud werde dargelegt, dass Dankbarkeit den Menschen öffne für den Anderen.

«Sei freigebig im Glück und dankbar im Unglück», las Béatrice Menzi von der Baha’i-Gemeinde Aarau aus dem «Brief an den Sohn des Wolfes» einer Baha’i-Schrift vor. Zufriedenheit und Dankbarkeit seien das riesige Dankeschön an den Schöpfer aller Welten, formulierte Béatrice Menzi in der Auslegung.

Einheit in der Verschiedenheit

Es folgten Fürbitten und ein Schlusssegen und das gemeinsam gesungene «Grosser Gott wir loben dich». Dann setzte sich die Gemeinschaft im Pfarreisaal im Roten Turm Baden fort. Mitglieder der Muslimischen Gemeinde warteten mit einem reichhaltigen Buffet auf, an den Tischen wurde rege diskutiert.

«Ich finde es toll, dass im Gebet der Religionen die Gemeinsamkeiten gezeigt werden», so ein Teilnehmer muslimischen Glaubens. Er ist – wie seine Frau – Konvertit und ursprünglich reformiert aufgewachsen. Es sei schade, dass immer die Unterschiede herausgestellt würden, die seien letztlich in der Zahl geringer als die Gemeinsamkeiten in den grundlegenden Inhalten.

Seine Ehefrau nickte. «Von mir aus könnte das Gebet der Religionen öfter stattfinden. Toll wäre es, wenn die Kinder und Jugendlichen der verschiedenen Gemeinschaften mal ein Gebet gestalten würden.» Der reformierte Kollege ihres Sohnes sei einfach mitgekommen. «Mit meiner Mutter, die katholisch ist, besuche ich immer mal wieder die Kirche. Sie kommt im Gegenzug ab und zu mit in die Moschee», ergänzte die Frau.

Die Unterschiede respektieren und sich gegenseitig «sein lassen können», die Gemeinsamkeiten feiern – so liess sich die Meinung am Tisch zusammenfassen.

Religion soll dem Leben dienen

Gemeinsam waren den vertretenen Religionen nicht nur theologische Kernaussagen, sondern auch ein gewisser Pragmatismus. Das zeigte sich zum Beispiel an der Ausführung der Gebetsrufe. Muezzin Ali H. (Name von der Redaktion auf Wunsch geändert) erklärte, dass der Ruf zum Gebet morgens oft etwas länger gezogen werde, damit die Gläubigen Zeit hätten, wach zu werden. Kantor Alexander Hoffmann sagte, dass das Schma-Jisrael eigentlich viel länger sei und er es für die Feier gekürzt und auf den Kern konzentriert habe.

Die interreligiöse Zusammenarbeit fordere auf jeden Fall Fingerspitzengefühl, meinte Kevin De-Carli, der als Vertreter des Rabbiners von Baden anwesend ist. So stelle sich beispielsweise die Frage, ob es für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angenehmer wäre, das Gebet der Religionen in einem religiös neutralen Ort durchzuführen.

Was den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Gemeinschaften, die am Gebet der Religionen teilnehmen, auf jeden Fall Jahr für Jahr gelingt: Eine respektvolle gemeinsame Feier, die Gott ehrt und dem interreligiösen Zusammenleben dient.

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