28.02.2018

Dankbarkeit statt Drohung

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • An der Kirchenpflegetagung vom 23./24. Februar stellte Frank Worbs den katholischen Kirchenpflegern des Kantons das Modell «Lebenslang Mitglied bleiben» vor.
  • Der Referent ist Leiter des Informationsdienstes der Reformierten Landeskirche Aargau, das Modell wurde von mehreren reformierten Landeskirchen erarbeitet, um auch distanzierte und kontaktlose Mitglieder an Bord zu halten.
  • Zum zweiten Mal in Folge hält ein Vertreter der Reformierten das Hauptreferat an den Kirchenpflegetagungen, die von der katholischen Kirche im Aargau organisiert werden. Für den katholischen Kirchenratspräsidenten Luc Humbel ist das Ausdruck der selbstverständlichen Ökumene und zeigt, dass man voneinander nur profitieren kann.
  • Die Kirchenpflegetagungen finden nochmals am 9./10. März sowie am 23./24. März 2018 statt. Sie sind ausgebucht, insgesamt nehmen 220 Kirchenpflegerinnen und Kirchenpfleger daran teil.

 

Frank Worbs holt Luft: «Sie können mich esoterisch nennen. Aber ich behaupte, dass der Adressat spürt, wenn ich einen Brief mit lustloser Verachtung verfasst habe. Ganz unabhängig vom Inhalt.» Der Referent stellt an den Kirchenpflegetagungen 2018 in Wislikofen das Modell «Lebenslang Mitglied bleiben» der Reformierten Landeskirchen vor. Dieses wurde entwickelt, um die Beziehung zu distanzierten Mitgliedern zu pflegen und Austritten vorzubeugen. Der Leiter des Informationsdienstes der Reformierten Landeskirche Aargau machte deutlich, dass es eine Haltungsänderung braucht, um kontaktlose Kirchenmitglieder neu wertzuschätzen.

70 Prozent ohne Kontakt

Frank Worbs zeigte, dass die distanzierten Kirchenmitglieder, die zwar Steuern zahlen, jedoch nicht aktiv in Erscheinung treten, in der Mehrzahl sind. Bis zu 70 Prozent der Mitglieder haben in den letzten fünf Jahren weder einen Gottesdienst noch eine Taufe, Beerdigung oder Hochzeit besucht und auch sonst keinen Kontakt zur Kirche gehabt. Im Verhältnis zu ihrer Anzahl wenden die Kirchgemeinden einen sehr kleinen Betrag für diese «kontaktlosen» Mitglieder auf.

«Sagen Sie doch mal Danke»

Frank Worbs erklärte, dass es eine Änderung der Tonalität brauche, um solche distanzierten Mitglieder lebenslang zu halten. Weg vom drohenden oder missionarischen Unterton, hin zu Interesse und Dankbarkeit. «Sagen Sie den Leuten doch einfach mal Danke. Denn ohne die finanziellen Beiträge der Distanzierten könnte die Kirche ihr Angebot nicht aufrecht erhalten.» Was ein Danke bewirken kann, illustrierte Frank Worbs anhand eines Beispiels: Als Antwort auf ihren Austritt erhielt eine Frau einen Brief, in dem ihr die Kirchenpflege für die vielen Jahre Mitgliedschaft dankte und ihr alles Gute wünschte. Für die frisch Ausgetretene eine so positive Überraschung, dass sie der Kirche sogleich wieder beitrat.

Praktische Tipps vom Referenten

Bei ihren Mitgliedern bedanken könnten sich Kirchenpflege und Gemeindeleitung beispielsweise in der Einladung zur Kirchgemeindeversammlung. Neben den Traktanden könnte die Beschreibung von ein, zwei aktuellen Projekten den Leuten zeigen, wofür ihre Kirchensteuern gut sind. Gedruckte Medien spielen erwiesenermassen die Hauptrolle, wenn es darum geht, den Kontakt zu distanzierten Mitgliedern zu suchen. Zum Verfassen von Briefen oder Karten gab Frank Worbs praktische Tipps: «Schreiben Sie möglichst persönlich! Behandeln Sie nur ein einziges Thema. Und: sprechen Sie keine Einladung aus!» Denn eine Einladung könne eine Abwehrhaltung auslösen und dieses Negativgefühl bleibe bei den Leuten dann hängen.

Räume grosszügig zur Verfügung stellen

Tagungsleiter Jürgen Heinze von der Fachstelle Bildung und Propstei erläuterte im Anschluss den enormen Wandel der Mitgliedereinstellung. Von Mitgliedern, die sich in hohem Mass mit der Kirche identifizieren, über solche, die noch lose mit ihr verbunden sind, bis hin zu den ganz Distanzierten sind in unserer Kirche alle Einstellungen nebeneinander vorhanden. Niederschwellige Kontaktmöglichkeiten seien deshalb wichtig, erklärte Jürgen Heinze. Dazu gehöre zum Beispiel, kirchliche Räume grosszügig zur Verfügung zu stellen. Oder die Präsenz der Kirche an unerwarteten Orten. Als gutes Beispiel dafür nannte er die Bahnhofaktion «Gute Reise – gute Heimkehr» der Kirchgemeinde Aarau.

Lokale Mitgliederverwaltung reicht nicht mehr

In der darauf folgenden «Murmelrunde» an den Tischen besprachen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kirchenpflegetagung, welche Angebote es in ihrer Kirchgemeinde schon gibt, und welche möglich wären. Dabei stellte sich die Mitgliederverwaltung als Knackpunkt heraus. Jede Pfarrei verwaltet ihre eigenen Mitglieder. Aber lokale Lösungen reichen in der heutigen Zeit nicht mehr. Mit jedem Umzug geht «Historie» verloren. Eine Kirchenpflegerin bedauerte: «Einem Paar, das nicht kirchlich getraut ist, können wir nicht zum Hochzeitstag gratulieren, weil wir diese Daten von der Gemeinde nicht bekommen.» Genauso wenig kann eine Kirchgemeinde jemandem zu zwanzig Jahren Firmung gratulieren, der erst seit fünf Jahren im Ort wohnt.

Turmbesteigung am 1. August

Die Diskussion im Plenum, geleitet von der Kommunikationsverantwortlichen der Landeskirche, Esther Kuster, brachte einige gute Beispiele für die Beziehungspflege zu Distanzierten zur Sprache. Eine Pfarrei bot anlässlich der 1. August-Feier eine Kirchenführung für die Bevölkerung an. Die zugehörige Turmbesteigung zeigte den Einwohnern ihre Gemeinde aus einer anderen Perspektive – und zog auch viele Familien mit Kindern an. Eine zweite Kirchgemeinde beteiligt sich am Ferienpassangebot der Gemeinde, mit einer Orgelführung in der Kirche. Jedoch orteten einige Teilnehmende Verbesserungspotenzial bei ihren Angeboten: «Unsere Einladung zur Kirchgemeindeversammlung werden wir nach diesem Vortrag persönlicher gestalten.», sagte ein Kirchenpfleger. Und Bischofsvikar Christoph Sterkman, der die Bistumsregionalleitung St. Urs vertrat, stellte in Aussicht, den Brief für Ausgetretene zu überarbeiten. Eine «Danke» von Seiten der Kirche kann nämlich Wunder wirken.

Frohe Ostern für den ganzen Aargau

Eine Idee aus dem Referat von Frank Worbs nahm Kirchenratspräsident Luc Humbel gleich auf. Eine kantonsweite, ökumenische Osterkarte, die von den Landeskirchen gestaltet und von den Kirchgemeinden an alle Mitglieder verschickt wird. «Stimmen wir doch gleich ab – wenn Sie mehrheitlich dafür sind, bekommen Esther Kuster und Frank Worbs einen Auftrag von uns», versprach er. Die Zustimmung war gross, so dass man gespannt sein darf auf die Osterpost 2019. Letztes Jahr sprach der reformierte Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg an den Kirchenpflegetagungen. Dass auch dieses Jahr wieder ein Reformierter referiere, sei Ausdruck des ökumenischen Selbstverständnisses der Aargauer Landeskirche und bestätige, dass man voneinander nur profitieren könne, hielt Luc Humbel fest.

 

 

 

 

Themen Aargau
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