13.03.2020

Darf das Gewissen dem Recht was husten?

Von Christian Breitschmid

  • Corona-bedingt fanden nur wenige Menschen den Weg ins Kulturhaus Odeon in Brugg, wo am Donnerstagabend die vierte Podiumsdiskussion mit der Frage «Gewissen über Recht?» zum rechtsphilosophischen und sozialethischen Disput lockte.
  • Corona-bedingt fehlte ein wichtiger Teilnehmer und «Gewissenstäter» auf dem Podium, und aus demselben Grund musste auch für die Gesprächsleitung ein Ersatzspieler einspringen.
  • Aber die 18 Podiumsbesucher waren sich nach der Diskussion und dem Apéro einig, dass an diesem Abend viele überzeugende Ansichten und ansteckende Einstellungen präsentiert wurden.

 

Die bisherigen drei Podiumsdiskussionen, die die Römisch-Katholische Kirche Pastoralraum Region Brugg-Windisch im Kulturhaus Odeon in Brugg veranstaltet hat, waren sehr gut besuchte Publikumsmagnete. Auch dieser Abend hätte ein volles Haus verdient gehabt, aber aufgrund der aktuellen Bedrohung durch das Coronavirus blieben viele Besucher doch lieber zu Hause. Die 18 Unentwegten, die sich dennoch trauten, wurden dafür mit einer spannenden Lehrstunde in Sachen Rechtsphilosophie und Sozialethik belohnt, die zwar keine definitiven Lösungen bot, dafür aber zur Selbstbetrachtung anregte.

Gesetz der Liebe über allem

Durch den Abend führte Jürgen Heinze, Spitalseelsorger, Kursleiter in der Ausbildung von Freiwilligen, Supervisor und Coach. Er musste kurzfristig für Markus Wentink einspringen, der erst am Donnerstag aus der Corona-Quarantäne entlassen worden war. Auch Pfarrer Josef Karber musste seine Teilnahme absagen, weil er aufgrund seines Alters zur Corona-Risikogruppe gehört und sein Arzt ihm darum den Auftritt in Brugg verboten hatte. So teilten sich das Podium die Aargauer Grossrätin Susanne Marclay-Merz, die Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz, Iris Menn, und der Leiter des Projekts Reformierte im Dialog und Oberassistent am Institut für Sozialethik der Universität Zürich, Michael Braunschweig.

«Josef Karber kann zwar heute Abend nicht hier sein», sagte Jürgen Heinze gleich nach der Vorstellung der Podiumsteilnehmer, «aber er kann trotzdem ein Statement hier abgeben.» Dann spielte der Gesprächsleiter auf seinem Handy einen Ausschnitt aus einem Interview ab, das der Pfarrer aus Zürich dem «Beobachter» gegeben hat. Darin erzählte er, dass er vom Zürcher Bezirksgericht zu einer Geldstrafe von 9’000 Franken, bei einer Bewährung von zwei Jahren, verurteilt wurde, weil er einer an Krebs erkrankten, papierlosen Frau Kirchenasyl gewährt hatte. «Es gibt ein Gesetz, das höher steht als alle Gesetze, das Gesetz der Liebe», so Pfarrer Karber.

Richter bat um Verständnis

Sozialethiker Michael Braunschweig betonte, dass zwar niemand eine moralische Absolution erwarten könne, der wissentlich das Gesetz breche, aber dass die Möglichkeit von zivilem Ungehorsam auch ein Ausdruck sei für eine reife politische Kultur. «Man darf aber nie vergessen, dass es legale Wege gibt, um Gesetze zu ändern. Man kann Initiativen ergreifen oder Politiker kaufen…» Die Politikerin zu seiner Rechten, Susanne Marclay, nahm diese Pointe gerne auf, um gleich darauf hinzuweisen, dass sie auf diesem Podium aber verschiedene Hüte aufhabe. Sie sei wohl Politikerin, aber auch Juristin, Richterin und Mutter. «Das Gewissen ist etwas sehr Subjektives», hielt sie fest. «Ein Richter muss sich an das Gesetz halten. Er kann es nicht biegen und beugen wie es Andere gern hätten.» Das habe man gut gesehen, als der Richter nach der Urteilsverkündung Josef Karber um Verständnis gebeten habe. Er müsse ihn zwar nach dem Gesetz verurteilen, aber er habe absolutes Verständnis für sein Handeln und fände es gut.

«Keine Gewaltanwendung!»

Viel Verständnis hatten die Zuhörer auch für die Haltung von Iris Menn, die als Greenpeace-Aktivistin die Grenzen des Legalen auch schon viele Male überschritten hat, beim Versuch, bedrohte Tiere und die Umwelt zu retten. «Wobei wir aber immer unserer Maxime treu sind: keine Gewaltanwendung.» Auf die Frage Jürgen Heinzes, woher sie ihren Antrieb nehme für den selbstlosen Einsatz zugunsten der Natur, antwortete die promovierte Biologin: «Das habe ich in meiner Familie gelernt. Meine Eltern haben mir gezeigt, wie man auf das Kleine achtet. Dann hatte ich einen Biologielehrer, der Greenpeace-Aktivist war. Ich wollte mich einfach einsetzen für Fische, Bäume und alle diese Wesen, die keine Rechtsvertreter haben.»

Was alle Podiumsteilnehmer vereinte, war die Übereinstimmung, dass man zwar aus Gewissensgründen eine Gesetzesübertretung begehen könne, aber dass dazu auch gehöre, die daraus resultierende Strafe anzunehmen. Susanne Marclay gestand: «Als Mutter will ich, dass meine Kinder sicher sind. Darum sage ich ihnen ganz bewusst, sie sollen auf einem gefährlichen Strassenabschnitt ihres Schulweges lieber mit dem Velo auf dem Trottoir fahren. Wenn sie dann halt dafür gebüsst werden, dann bezahle ich diese Busse.»

Flüchtlinge als Spielball der Politik

In der anschliessenden Publikumsrunde wurde deutlich, bei welchen Themen im Zusammenhang mit Gewissen und Recht der Schuh am meisten drückte. Vor allem der gesetzliche Umgang mit Asylsuchenden wurde heftig hinterfragt, aber auch das aktuelle Thema der Konzernverantwortungsinitiative erregte die Gemüter. Vor allem, wenn Flüchtlinge zum Spielball der Politik würden, wie gerade an der türkisch-griechischen Grenze, und wenn dabei alle einfach wegschauten, da müsse man doch einfach handeln, warf eine Besucherin in die Runde.

Zum Schluss wollte Jürgen Heinze wissen, was denn nun die Antwort sei auf die Frage des Abends «Gewissen über Recht?». Iris Menn sagte: «Gewissen und Recht!», Michael Braunschweig meinte: «Gewissen oder Recht» und Susanne Marclay führte aus: «Es kommt immer auf den einzelnen Fall an. Aber der Idealfall wäre sicher Gewissen gleich Recht.»

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