18.04.2019

Das Knattern ersetzt den Glockenschlag

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Am Karfreitag werden die Kirchenglocken nicht geläutet, sie schweigen vom Abend des Hohen Donnerstags bis zur Osternacht.
  • Deshalb rufen «Rätschen» zum Gottesdienst. Das laute Rattern ersetzt die Glocken und erinnert an das Beben der Erde beim Tod Jesu.
  • Im Aargau haben zahlreiche Pfarreien ein solches Holzinstrument, das «Raffel», «Rätsche», «Klapper» oder ähnlich genannt wird.

 

Mit dem Palmsonntag hat die Karwoche begonnen. Viele Bräuche begleiten uns durch diese Woche und die anschliessenden Ostertage. Einer dieser Bräuche ist das «Rätschen» oder «Raffeln» am Karfreitag.

Die Glocken verstummen

Nach dem Abendgottesdienst am Hohen Donnerstag werden die Glocken nicht mehr geläutet. Auch die Orgel schweigt, denn mit dem Leiden und Sterben von Jesus wird die Liturgie zum Zeichen des Verzichts und der Trauer reduziert. Am Nachmittag des Karfreitags gegen 15 Uhr, zur Todesstunde Jesu, rufen vielerorts hölzerne Klapperinstrumente zum Gottesdienst. «Sie sind Zeichen der Trauer und sollen das Beben der Erde beim Tod Jesu symbolisieren, von dem in der Bibel zum Todeszeitpunkt am Kreuz gesprochen wird», erklärt das katholische Medienzentrum kath.ch in einem Artikel.

Geklapper auf Knopfdruck

Im Turm der Kirche St. Sebastian Wettingen steht eines dieser besonderen Instrumente, welche je nach Region als Rätschen, Raffeln, Rären, Klappern, Rappeln oder Schnarren bezeichnet werden. Versteckt hinter den Glocken und bedeckt von grauem Staub wartet der längliche Holzkasten auf seinen Einsatz. Unter dem Staub ist dunkles Holz erkennbar. Der Kasten ist bespannt mit schmalen Latten. Am linken oberen Ende ist ein oranges Stromkabel angeschlossen. Unten im Eingang des Turms deutet Hauswart Thomas Knecht auf den Schalter der mit «Raffel» beschriftet ist. Auf Knopfdruck ertönt vom Kirchturm ein Klappern, das weit über die Rebberge zu hören ist. Ein unangenehmes Geräusch: es tschättert und rumpelt ohrenbetäubend laut.

Nur mit Ohrschutz

Wenn die Ministranten der Pfarrei St. Anton in Wettingen am Karfreitag auf dem Kirchplatz stehen, tragen sie einen Ohrschutz. Abwechslungsweise drehen sie an der Metallkurbel des Instruments, das an einen Drehorgelkasten erinnert. Eine Handrätsche unbekannten Alters, die seit Jahrzehnten in Gebrauch ist. Ein etwas grösseres Modell ist in der Kirche St. Martin in Oberrohrdorf zu bewundern. Dort steht die Rätsche das Jahr über im Seitenschiff der Kirche. Pastoralraumleiter Christoph Cohen vermutet, dass das Instrument ungefähr um 1940 herum von einem lokalen Schreiner gebaut worden ist. Auch hier wird die Rätsche am Karfreitag auf den Vorplatz der Kirche gebracht und von den Ministrantinnen und Ministranten betrieben.

Brauch aus dem Mittelalter

In Deutschland wird der Brauch erstmals 1482 erwähnt, in der Schweiz stammt der erste Hinweis aus dem Jahr 1738 und findet sich in derGeläutordnung des Klosters Engelberg. Der Brauch ist im ganzen deutschsprachigen Raum verbreitet, wobei in Deutschland und Österreich neben dem eigentlichen Klappern noch weitere Elemente wie Umzüge oder das Umherziehen von Haus zu Haus dazukommen.

Revival der Rätschen

Wie alt die beiden Wettinger Rätschen sind, liess sich nicht genau eruieren. In der Pfarrei St. Sebastian wurde bis in die 1950er-Jahre noch von Hand geraffelt, dann ging der Brauch in Vergessenheit. Erst im Lauf der 1980er-Jahre wurde die Raffel wieder entdeckt und in Gebrauch genommen. Später schloss man sie wie die Kirchenglocken an den Strom an. Ähnlich hat es sich in weiteren Aargauer Pfarreien zugetragen. Auch in Bad Zurzach wurde die Rätsche vor einigen Jahren restauriert und klappert seither am Karfreitagnachmittag auf dem Platz vor dem Verenamünster. Zahlreiche Pfarreien in der Schweiz und auch im Aargau pflegen den alten Brauch heute wieder.

 

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