01.01.2014

Das Patenamt im Wandel der Zeit

Von Horizonte Aargau

Viele Kinder erzählen mit Begeisterung von ihren Paten. Gotte und Götti sind ihnen wichtig als spezielle Bezugspersonen in ihrem Leben. Stimmt die Chemie, so überdauert eine Patenschaft das «Verfalldatum» der Volljährigkeit.

Adrian Meyer war zwanzig, als ihn die Sängerin in seiner Band anfragte, ob er sich denn vorstellen könne, der Götti ihres Kindes zu sein. Nach einiger Bedenkfrist sagte der junge Mann ab. Kinder interessierten ihn nicht, zugesagt hätte er der Bandkollegin zuliebe. Noch heute bereut der mittlerweile 35-Jährige diesen Schritt nicht. Der Gymnasiallehrer hat mittlerweile zwei Kinder, doch nach wie vor keine Patenkinder. «Das will ich auch nicht», meint der gebürtige Basler. Ich hadere schon immer damit, dass ich nicht genug Zeit für meine eigenen Kinder habe. Da will ich mir nicht noch mehr aufhalsen.»

Eingemischt
Zeit ist für Karl Andermatt das Wichtigste fürs Patenamt. «Da geben dir Eltern das Vertrauen und wollen, dass du dich einmischst, das Kind begleitest», so der fünffache Götti. Schon mehr als einmal hat Karl Andermatt erlebt, dass ihn die Eltern seiner Patenkinder angegangen und gemeint haben: «Kannst du nicht mal mit unserem Kind sprechen, wir kommen da grad nicht weiter.»

Gegenseitigkeit der Beziehung
Beat Urech, Bereichsleiter Pädagogik und Animation bei der Reformierten Landeskirche Aargau, ist quasi Experte für das Thema «Pate und Patin sein». In seinem Sabbatjahr hat der gebürtige Seetaler sich intensiv in die Thematik vertieft und eine Arbeit darüber geschrieben. Es folgte eine kleine Broschüre in Ergänzung zu den Ratgebern der Reformierten Landeskirche Aargau zu den kirchlich begleiteten Lebensstationen. Selbst dreifacher Götti, meint Beat Urech: «Zeit und Fantasie, das sind die beiden wesentlichen Aufgaben, die es braucht, um die Beziehung zu seinem Patenkind so zu gestalten, damit eine besondere, nachhaltige Beziehung entsteht. Klar beruht dies auf Gegenseitigkeit. Ab einem gewissen Alter gestaltet das Patenkind die Beziehung mit.»

Viele Fragen
Zumal er zum Patenthema schon in diversen Magazinen und Wochenschriften publiziert hat, wird Beat Urech oft angefragt. Wer eignet sich für eine Patenschaft? Gibt es Ratgeber fürs Patenamt? Wie lange dauert eine Patenschaft? Ist es möglich, eine Gotte oder einen Götti auszuwechseln, wenn sich die Erwartungen zwischen den Eltern und der angefragten Person nicht erfüllt haben? So jedenfalls lauten die häufigsten Fragen, mit denen Beat Urech immer wieder konfrontiert wird. Im Grossen und Ganzen kann der 59-Jährige stets Perspektiven aufzeigen, weil sich in den vergangenen Jahrzehnten die Möglichkeiten zur Gestaltung des Patenamts aus den starren kirchlichen Traditionen gelöst haben.

Prüfung nicht notwendig
In früheren Zeiten als «Gevatter» bekannt, wurden Paten stets mit Blick auf Absicherung der finanziellen Situation aus dem Kreis der Familie gewählt. Es ging hierbei um existenzielle Verantwortung für den Fall, dass die Eltern ihre Aufgabe nicht mehr würden wahrnehmen können. Gerade in früheren Jahrhunderten kam es häufiger vor, dass Kinder zu Waisen wurden oder die Eltern verarmten. Die Paten übernahmen dann die Vormundschaft. Ebenso spielten die Paten früher eine wichtige Rolle bei der Einführung des Kindes in den Glauben. Dahingehend hat sich jedoch in den vergangenen Jahrzehnten vieles verändert. «Die volkstümliche Tradition des Patenamts hat sich verselbstständigt», so Beat Urech. Dies hat damit zu tun, dass immer weniger Menschen noch eine starke Kirchenbindung aufweisen. «Entsprechend verstehen viele nicht, warum die Landeskirchen noch darauf beharren, dass für die Taufe wenigstens ein Patenteil Mitglied einer christlichen Kirche sein muss. Dabei ist dies die letzte Anforderung, die es gibt.» Früher, so Beat Urech, seien Patinnen und Paten regelrechten Glaubensprüfungen unterzogen worden. Eine für heutige Verhältnisse kaum noch vorstellbare Situation.

Doppelter Aufsteller
Die katholische Kirche kennt in ihrer Tradition das Amt des Firmpaten. «Für mich jeweils ein doppelter Aufsteller», meint dazu Karl Andermatt, «weil du im Gegensatz zum Taufpatenamt nicht von den Eltern, sondern von den Jugendlichen direkt angefragt wirst.» Bereits vier Mal hat der 55-Jährige diese Aufgabe übernommen. Überhaupt ist das Patenamt in der katholischen Tradition stärker verankert, da die Taufe zum Zeichen der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft kurz nach der Geburt erfolgt und bereits zu diesem Zeitpunkt die Paten ins Spiel kommen. «In diesem Sinne hast du als Pate eine doppelte Funktion », meint Karl Andermatt. «Zum einen bist du Zeuge für das Sakrament der Taufe, zum anderen vermittelst du den Eltern: Wenn es mal Probleme gibt, ist jemand da.» Er habe sich nie als jemanden verstanden, der seinen Patenkindern die christliche Lehre beibringen soll, meint der erfahrene Götti lachend.

Erwartungen ans Ehrenamt
«Es lohnt sich, die Anfrage für eine Patenschaft gut zu überdenken», empfiehlt Beat Urech. Insofern sei es auch keine Schande abzulehnen. Ebenso empfiehlt der Götti-Experte, mit den Eltern die gegenseitigen Erwartungen an die Gestaltung der Patenschaft zu klären. Dies kann Enttäuschungen vorbeugen. Immer wieder werde er von Eltern gefragt, ob es auch möglich sei, einen neuen Paten zu wählen. Dies sei grundsätzlich machbar, genauso wie die Möglichkeit, dass sich das Kind einen zusätzlichen Götti oder eine zusätzliche Gotte wählt. Dass jemand eine Anfrage für eine Patenschaft abgelehnt hat, so wie das beispielsweise Adrian Meyer getan hat, erachtet Beat Urech ebenfalls als typisch für die heutige Zeit. «Die Leute machen sich heute deutlich mehr Gedanken zur Patenschaft als früher. Und ihnen ist bewusst, dass dieses Ehrenamt mit Erwartungen verbunden ist.» Das bestätigt auch Karl Andermatt. Er habe jeweils zurückgefragt, warum man genau ihn als Götti wolle.

Unverkrampfte Beziehung
Ein Verfalldatum hat eine Patenschaft ebenfalls nicht, auch wenn in den Köpfen aus althergebrachter Zeit noch die Ideeverankert ist, dass diese Beziehung mit Erreichen der Volljährigkeit zu einem Abschluss kommen muss. «Sachlich gibt es keine stichhaltige Begründung dafür, dass eine Patenschaft mit Erreichen der Mündigkeit der Kinder zu Ende gehen muss», meint Beat Urech. Wo die Beziehung stimmt, hält der Kontakt oft über die Volljährigkeit der Patenkinder hinaus. Er habe heute noch Kontakt mit seinen drei Patenkindern, meint Beat Urech. Diese sind mittlerweile 24, 28 und 40 Jahre alt. «Die Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit.»

Andreas C. Müller

 

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