29.06.2017

Das verflixte zwölfte Jahr

Von Remo Wiegand

Laut einer Richtlinie des Bistums Basel sollen Pfarrer und Gemeindeleiter nach spätestens zwölf Jahren die Stelle wechseln. Dies soll Aufbruch und Bewegung in den Pfarreien fördern. Doch die gut gemeinte Regel stösst oft auf Menschen, die sich Beständigkeit wünschen. Eine Recherche zwischen Ideal und Wirklichkeit im Freiamt.

Seit der Amtszeit von Bischof Anton Hänggi (1968-1982) kennt das Bistum Basel eine Quasi-Amtszeitbeschränkung für Pfarrer und Gemeindeleiter. Nach 8 bis 12 Jahren, so die Richtlinie, sollen Pfarreiverantwortliche eine neue Stelle suchen. «Erfahrungsgemäss sinkt die Motivation nach spätestens zwölf Jahren in derselben Leitungsaufgabe merklich», erklärt Fabian Berz, Personalverantwortlicher im Bistum Basel. Die Folgen: «Bei vielen kehrt nach dieser Zeitspanne eine Routine ein. Für Gläubige wie für die Leitenden fehlen die nötigen Herausforderungen.» Um der drohenden Komfortzone zu entgehen, appelliert das Bistum an die Wechselbereitschaft seiner rund 250 Kaderangestellten. Die Blutauffrischung soll zudem kleine Dorfkönigtümer verhindern, wo Kirchenvertreter und ihre Fangemeinde eine exklusive, potenziell selbstgerechte Einheit bilden.

Kirchenpflegen wollen Stabilität

Ein Blick ins Personalverzeichnis des Bistums Basel zeigt: Im Durchschnitt wird die Richtlinie im Aargau eingehalten. Gerade angesichts der Pastoralraumbildung ist die Personalfluktuation relativ hoch; bisweilen kommt es mit den sich wandelnden Strukturen und Aufgabenbereichen zu vorschnellen Abgängen. Auf der anderen Seite gibt es nicht wenige Pfarreien, in denen seit mehr als zwölf Jahren die gleiche Person die Geschicke lenkt. Trotz der bistümlichen Richtlinie? Die Regel sei nur als Empfehlung zu verstehen, erklärt Fabian Berz, man berücksichtige stets auch die Sichtweise der Leitungspersonen und der Gemeinde. Man versuche zu überzeugen, «Sanktionsmöglichkeiten haben wir kaum». Tatsache ist: Letztlich stellen in der Schweiz die staatskirchenrechtlichen Behörden das Personal ein. Und diese würden, so Berz, oft für bestehendes Personal eintreten.

So auch in Lenzburg: Dort amtet Roland Häfliger (50) seit 16 Jahren als Pfarrer – zur Zufriedenheit der Gemeinde. «Unser Pfarrer ist ein guter Prediger und gestaltet gepflegte Liturgien. Die Kirche ist auch verhältnismässig gut besucht», freut sich Brigitte Eyholzer, Personalverantwortliche der Kirchenpflege. Einen Wechsel hält sie für Lenzburg nicht für angezeigt. Warum? Die Suche nach kirchlichem Personal sei immer «herausfordernd», so Brigitte Eyholzer. Vakanzen und Unruhe in den benachbarten Gemeinden Wildegg und Seon, wo Pfarrer Häfliger in der Folge ebenfalls die Verantwortung übernahm, weckten ein Bedürfnis nach Stabilität. Die Kirchenpflegerin findet denn auch, dass die bistümliche Zwölf-Jahre-Regel nicht in Stein gemeisselt werden soll. «Es ist wie in einer Beziehung: Wenn es beidseits passt, soll man zusammenbleiben.» Auf der Bettmeralp in ihrer Walliser Heimat hat Brigitte Eyholzer einen Pfarrer erlebt, der dreissig Jahre im Amt geblieben ist. «Er war so verwurzelt dort. Eine solch tiefe Verbindung zu lösen, kann sehr schmerzhaft sein.»

«Kirche fällt nicht auseinander, wenn ich nicht mehr da bin»

16 Kilometer östlich von Lenzburg wohnt und wirkt Ueli Hess (69). Der verheiratete Diakon leitet noch bis 2018 den Pastoralraum «Bremgarten-Reusstal». Zuvor war auch Ueli Hess in Lenzburg tätig, davor in Fischbach-Göslikon. «Ich war nie länger als zehn Jahre auf einer Stelle», erzählt Hess mit ansteckender Fröhlichkeit. Regelmässige Neuanfänge sind Teil seiner Spiritualität: «Ich sehe einen tieferen Sinn im Wechsel. Es ist wahnsinnig gesund, immer wieder das Loslassen zu üben.» Er negiert nicht, dass Abschiede schmerzhaft seien, insbesondere wenn es gut laufe, der Leiter beliebt sei und seinerseits die Leute gern habe. Doch gerade dann gelte es zu realisieren: «Die Kirche fliegt nicht auseinander, wenn ich nicht mehr da bin.»

Bei Ueli Hess trat das Bistum offene Türen ein, als es ihm neue Stellen schmackhaft machte. Oft aber stösst es auf Widerspruch. Bei verheirateten Kirchenkadern sind es häufig familiäre Gründe, die gegen einen Stellenwechsel vorgebracht werden. So auch im Fall von Georg Umbricht (62), Gemeindeleiter in Oberlunkhofen, südlich von Bremgarten. Als er 2001 die Stelle im Freiamt antrat, waren seine drei Kinder 10, 8 und 6 Jahre alt. Einen Umzug während ihrer Ausbildungszeit wollte er ihnen nicht zumuten. Jetzt, kurz vor dem regulären Pensionsalter, strebt Georg Umbricht keinen beruflichen Tapetenwechsel mehr an. Umbricht sah es als Vorteil an, so lange am gleichen Ort zu sein, weil er die Pfarrei «auf einer soliden Basis» gestalten konnte. «Auf der anderen Seite», gibt der Gemeindeleiter selbstkritisch zu, «werden neuere Impulse rarer, weil sich ja so vieles bewährt hat.»

Hemmschuhe Geld und Wohneigentum

Andere verheiratete Leitungspersonen kennen oft noch einen weiteren Grund, der sie an einen Ort bindet: Wohneigentum. Pfarrer, die im Pfarrhaus wohnen, sind demgegenüber mobiler. Theoretisch. Denn zölibatär Lebende seien nicht wechselfreudiger, sagt Fabian Berz. Sie verwiesen oft auf ein «Beziehungsumfeld, das in keinem Fall verlassen werden kann.»

Schliesslich gibt es für Priester wie für Laien noch ein weiteres Bleibemotiv: Das Geld. «Das Lohngefälle ist im Bistum immer noch sehr gross», weiss Fabian Berz. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Blick über die Kantonsgrenze nach Zug: Im reichen Kanton, in dem überdurchschnittlich hohe Gehälter bezahlt werden, sind fast die Hälfte der Pfarrer oder Gemeindeleiter schon länger als zehn Jahre im Amt. Schliesslich kann auch der grundsätzlich höhere Kaderlohn zum Mobilitäts-Hemmschuh werden. Weil die neuen Pastoralräume die Zahl der Leitungspositionen reduziert, riskieren bisherige Führungskräfte bei einem Wechsel bisweilen eine Degradierung – verbunden mit Lohneinbussen.

Bischof: In dubio pro Risiko

Kinder, Heimat, Geld, Alter: Der guten Gründe, die fürs Bleiben und gegen das Gehen sprechen, sind viele. «Manchmal werden die Gründe, selbst die Kinder, aber auch vorgeschoben», sagt ein Gemeindeleiter, der anonym bleiben möchte. Man mache sich bisweilen vor, dass man am gleichen Ort immer wieder Neues ausprobiere, verfalle aber unmerklich doch in einen Trott und eine Bequemlichkeit. «Es gibt schon Sesselkleber», bringt es auch Ueli Hess in Bremgarten offen zur Sprache. Dieser Mentalität, die so gar nicht dem Credo des Wanderpredigers aus Nazareth entspricht, versucht das Bistum entgegenzuwirken. Auch dem Bischof selbst, der die Personalpolitik zur Chefsache gemacht hat, liegt dies am Herzen. Wechsel seien immer ein Risiko, persönlich wie für die Pfarrei, sagt Bischof Gmür. Er plädiert dafür, das Risiko einzugehen: «Im Interesse von Wandel und regelmässiger Entwicklung ist es gerechtfertigt. Ich glaube, dass dies der bessere Weg ist, als nur das Bestehende zu pflegen.»

 

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