18.06.2015

Dem Nachfolger seinen Segen geben

Von Anne Burgmer

Eine funktionierende Pfarrgemeinde aufzubauen und sie lebendig zu erhalten fordert lange Jahre der Arbeit. Es ist also vernünftig, dass Seelsorger längere Zeit an einem Ort wirken. Doch auch Seelsorger und Seelsorgerinnen wechseln ihre Stelle. Das kann zur Zerreissprobe werden, wie die jüngsten Vorkommnisse in der Pfarrei Bad Zurzach zeigen.

In Sankt Verena Bad Zurzach brodelt es. Genauer in Mellikon. Im Zusammenhang mit einem tödlichen Unfall kam es bei der Betreuung einer der Trauerfamilien zu Missverständnissen; eine angemessene persönliche Betreuung vor Ort blieb laut Aussagen Beteiligter aus. Daraufhin wurde Urs Zimmermann, ehemalige Seelsorger der Pfarrgemeinde angesprochen und führte die Gedenkfeier durch. Dass er auf Anfragen durch Pfarreimitglieder ab und zu liturgisch im Pfarreienverband tätig war, immer in Rücksprache mit dem derzeitigen Stelleninhaber Raimund Obrist, war bis dahin Usus. In diesem Fall vermittelte ein Lektor, der mit der Trauerfamilie befreundet ist, den Kontakt. Raimund Obrist stellte den Lektor daraufhin von seinem Dienst frei; der Vorwurf: Illoyalität. Der Vorfall, der in Leserbriefen und Berichterstattung in der Aargauer Zeitung mündete, zeigt eine tiefgehende Herausforderung, die jede Pfarrgemeinde früher oder später betrifft: Den Wechsel von Seelsorgepersonal.

Verschiedene Faktoren
Eine Pfarrgemeinde ist eine hochkomplexe Angelegenheit mit eigener Dynamik. Seelsorger und Seelsorgerinnen, die lange an einem Ort Dienst leisten, haben oftmals ausgewiesene Fans und ebenso deutliche Skeptiker. Orientiert sich ein Seelsorger neu, trauert ein Teil der Pfarreimitglieder, ein anderer mag erleichtert sein. Dem Scheidenden geht es meist ebenso. Ob der Wechsel zum Nachfolger gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Zum Beispiel die räumliche Trennung: Bleibt der Seelsorger am Ort oder in der Nähe? Grade bei Pastoralassistenten mit schulpflichtigen Kindern kann das problematisch sein.

Oder liturgische Tätigkeiten: Versieht die «alte» Seelsorgerin nach wie vor liturgische Dienste in der ehemaligen Pfarrei? Wenn ja, wie werden die Dienste mit dem Nachfolger abgesprochen?

Der wichtigste Aspekt, so kristallisiert sich in Gesprächen heraus, ist der Charakter, die «persönliche Grösse» sowohl des Vorgängers als auch des Nachfolgers.

Die Gesprächspartner, Aargauer Seelsorger, die teilweise namentlich nicht genannt werden wollen, weisen auf ein «ungeschriebenes Gesetz» hin: Die Seelsorgepersönlichkeit sollte ganz gehen und eine Zeit lang keinen Kontakt in die ehemalige Pfarrei haben. Diese Funkstille meint nicht, dass persönliche Freundschaften, die entstanden sind, abgebrochen werden sollen. Doch Freundschaften zu pflegen, um nach wie vor über Vorgänge in der Pfarrei auf dem Laufenden zu sein, kann zum Problem werden.

Neutraler Boden
Ein Personalwechsel, der einen guten Weg aufzeigt, ging im Freiamt in Muri über die Bühne. Rund zwölf Jahre war Urs Elsener Pfarrer an Sankt Goar. Als klar wurde, dass er die Stelle wechseln wird, hatte er schon einen potentiellen Nachfolger für sich im Kopf: Georges Schwickerath. «Wir kannten uns, sind befreundet, und er hatte mich bereits in Muri besucht. Also habe ich ihn angesprochen. Es ist sicher nicht die Regel, dass man seinen Nachfolger kennt, doch in diesem Fall ergab sich das sehr gut», erklärt Urs Elsener, der in Schaffhausen tätig ist. Georges Schwickerath, der vorher in Bern wirkte, trat seinen Dienst in Sankt Goar im September 2013 an. «Natürlich mache ich Dinge anders, als Urs Elsener. Allein schon deshalb, weil ich nicht nur für Sankt Goar zuständig bin, wie Urs Elsener, sondern für mehrere Pfarreien, die zu einem Pastoralraum zusammengeschlossen werden. Und manches, was ich anders mache, führt zu Diskussionen. Doch ich bemühe mich jeweils zu erklären, warum ich etwas anders mache und nehme Kritik nicht persönlich», sagt Georges Schwickerath. Danach gefragt, wie sie es mit dem Kontakt zur jeweiligen «Ex-Pfarrei» halten, zeigt sich, dass sowohl Urs Elsener als auch Georges Schwickerath unterschiedliche Wege gehen. «Ich bin immer wieder in Muri und besuche Freunde. Das Netzwerk in einem kleinen Ort wie Muri ist anders geknüpft und das pflege ich nach wie vor», meint Urs Elsener. «Allerdings informiere ich Georges Schwickerath über meine Anwesenheit und treffe mich auch mit ihm im Pfarrhof. Diese Transparenz ist mir wichtig. Liturgische Dienste nehme ich nicht wahr.» Georges Schwickerath hingegen hat sich selber eine fünfjährige Frist gesetzt: «Ich gehe durchaus nach Bern, doch besuche ich dort keine ehemaligen Pfarreiangehörigen. Wenn ich mich mit Freunden aus der Pfarrei treffen möchte, lade ich sie zu mir nach Muri ein oder wähle einen Ort auf neutralem Boden. Wenn Anfragen für Taufen oder Trauungen kommen, lehne ich diese ab. Ehemalige Mitarbeiter wollten mir anfänglich erzählen, was in der Pfarrei nach meinem Weggang passiert. Doch das wollte ich nicht wissen. Mein Platz ist jetzt hier, und die Pfarrgemeinde in Bern soll offen sein für meinen Nachfolger».

Belastende Spannungen
Was auffällt: Kommt es in einer Pfarrei zu Spannungen und Verletzungen rund um den Wechsel einer Seelsorgepersönlichkeit, sind diese schnell tiefgehend und betreffen nicht selten eine grosse Gruppe von Pfarreiangehörigen und Mitarbeitenden. Und: Grade da, wo das direkte Gespräch wichtig wäre, findet es oft nicht statt oder wird im unglücklichen Fall in die Öffentlichkeit getragen. Es verwundert nicht, dass mehr als ein Gesprächspartner nur zurückhaltend Auskunft über eigene Erfahrungen gibt oder darum bittet, anonym bleiben zu dürfen. Als zu belastend werden gemachte Erfahrungen eingestuft, selbst wenn sie schon lange zurückliegen. Die Nachfrage beim Bistum, ob es Handreichungen und Hilfestellungen für gelingende Personalwechsel im Sinne der Sorge um die eigenen Mitarbeiter gibt, blieb bis zum Erscheinen des Artikels unbeantwortet.

Die Pfarrgemeinde, nicht die Person
So wertvoll und wirkungsvoll Seelsorger und Seelsorgerinnen in ihren Pfarreien tätig sind und so viel automatisch vom Charakter und Charisma eines Menschen abhängt, es gibt einen grösseren Zusammenhang. «Es kann nicht sein, dass ich eine Pfarrgemeinde von mir als Person abhängig mache oder zu stark an meine Person binde. Ich möchte sie an Christus binden», sagt Georges Schwickerath. Er zieht ein Beispiel aus seinem Herkunftsland Luxemburg heran: «Dort war ein Priester, der rund fünfzig Jahre in derselben Pfarrgemeinde tätig war. Das war nicht gut für das Gemeindeleben. Das schöne ist ja, dass wir nicht alle dieselben sind. Kirche soll die Chance haben, sich zu verändern. Daran ist nichts schlimmes, doch ich sollte als Person bereit sein, von mir abzusehen». Der Seelsorger kann im Extremfall gehen. Die Menschen, die in der Pfarrei leben, haben dort ihre Heimat. Sie wollen weiterhin in die Kirche gehen können, ohne das Gefühl zu haben, vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Wenn eine Gemeinde mit dem Seelsorger steht oder fällt, ist das schlimm. Sowohl die Pfarrgemeinde als auch die Seelsorgepersönlichkeit, muss loslassen können und darauf vertrauen, dass es weitergeht; sollte darauf vertrauen, dass Gott die Zukunft begleitet. Thomas Jenelten, der sechzehn Jahre in Peter und Paul Aarau als Seelsorger tätig war und einen guten Weggang erlebte, findet ein schönes Schlussbild. Er schreibt: «Ich glaube, ein Vorgänger muss seinen Nachfolgern so etwas wie einen Segen mitgeben».

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