14.03.2016

Der barmherzige Papst und die arme Kirche

Von Thomas Jansen, kath.ch

Vor drei Jahren wurde er zum Papst gewählt, seitdem hat Franziskus eine Menge bewegt. Aber wo steht die katholische Kirche heute wirklich unter der Führung des charismatischen Mannes «vom Ende der Welt», wie er sagt?

Durchschnittlich regierte ein Papst in den vergangenen 2000 Jahren 7 Jahre und 5 Monate. Wenn Franziskus am Sonntag also den dritten Jahrestag seiner Wahl begeht, hat er rein statistisch gesehen beinahe die Hälfte seines Pontifikats schon hinter sich. Zeit also für eine erste Halbzeitbilanz.

Enorm hohe Erwartungen

Die Erwartungen, die Franziskus schon bald nach seiner Wahl weckte, waren enorm. Seine unermüdlich vorgetragene Forderung nach mehr Barmherzigkeit, etwa im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen, liess viele Katholiken auf Veränderungen der kirchlichen Ehe- und Sexualmoral hoffen. Doch sie wurden bislang enttäuscht. Konkrete Änderungen blieben bis heute aus.

Sein unermüdliches Dringen auf Barmherzigkeit, sein Blick auf den konkreten Einzelfall, haben jedoch durchaus Früchte getragen: Der Papst hat ein Umdenken in der katholischen Kirche angestossen. Die beiden Bischofssynoden über Ehe und Familie verabschiedeten sich vom moralischen Zeigefinger zugunsten der helfenden Hand. Nicht mehr verurteilen, sondern begleiten, lautet nun die Devise. Seelsorge kommt vor dem Dogma. Das ist Franziskus pur.

Was die Bischofssynoden auch gezeigt haben: Franziskus hat eine neue Diskussionskultur etabliert: Nie zuvor wurde so offen und freimütig über strittige Fragen der Ehe- und Sexualmoral debattiert.

«Arme Kirche für die Armen»

Spürbar ärmer geworden ist die katholische Kirche in den vergangenen drei Jahren nicht. Doch der Papst, der weiterhin im vatikanischen Gästehaus wohnt und einen Ford Focus fährt, hat Mercedes-Fahrer und Rolex-Uhren-Träger unter den kirchlichen Amtsträgern gehörig unter Druck gesetzt. Wie nie zuvor müssen sich Bischöfe und Priester vor der Öffentlichkeit für alles rechtfertigen, was den Anschein von Luxus erweckt.

Auf der weltpolitischen Bühne spielt der Vatikan unter Franziskus als «Global Player» wieder eine grössere Rolle. Der spektakulärste Erfolg war zweifellos die Vermittlung der historischen Annäherung zwischen Kuba und den USA. Die mächtigen Staatslenker der Welt suchen das Gespräch mit dem Papst aus Südamerika: von Barack Obama bis zu Wladimir Putin. Wie kein Papst zuvor hat sich Franziskus zudem für internationale Abkommen zu Umwelt- und Klimaschutz eingesetzt.

Anspruchsvolle interne Reform

Ausserdem hat sich Franziskus mit der Reform der römischen Kurie ein Mammutprojekt vorgenommen, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Ob es ihm gelingt, den schwerfälligen Verwaltungsapparat und das mitunter als selbstherrlich wahrgenommene Auftreten der Kurie gegenüber den Ortskirchen nachhaltig zu verändern, muss sich zeigen. Sichtbarstes Zeichen für eine Reform ist bisher der Rat aus neun Kardinälen aller Erdteile, die ihn beim Umbau des Verwaltungsapparates und der Leitung der Weltkirche beraten.

Wie gross der Widerstand ist, mit dem er im Vatikan und in der Weltkirche konfrontiert ist, lässt sich schwer abschätzen. Vieles spricht aber dafür, dass der italienische Kirchenhistoriker Andrea Riccardi nicht ganz falsch liegt mit seiner Einschätzung. Demnach hatte kein Papst in den vergangenen hundert Jahren mit einem grösseren innerkirchlichen Widerstand zu kämpfen.

Schon mehr als Halbzeit?

Allzu viel Zeit bleibt dem 79-jährigen Argentinier nicht mehr, um der Kirche seinen Stempel aufzudrücken – zumindest nach eigener Einschätzung. Zwei Jahre nach seiner Wahl wurde Franziskus gefragt, wie lange seine Amtszeit wohl dauern werde. Seine Antwort: «Ich habe das Gefühl, dass mein Pontifikat kurz sein wird. Vier oder fünf Jahre.»

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