01.11.2018

Der Begriff Altersseelsorge ist missverständlich

Von Anne Burgmer

  • Mit einem innovativen deutschschweizweiten Ausbildungsangebot reagiert das Pastoralinstitut an der Theologischen Hochschule Chur auf den Umstand, dass sich die Gesellschaft und damit auch die Sozialgestalt von Kirche verändert: Immer mehr Menschen werden bei guter Gesundheit immer älter.
  • Im Januar 2019 startet der erste thematische CPT-Kurs, der sich an alle Volltheologen und Religionspädagogen wendet, die in Pfarreien und Einrichtungen mit dem Thema Seelsorge mit alten Menschen in Kontakt kommen. Eine Anmeldung ist noch möglich, es gib noch freie Plätze.

 

Das Thema Alter und Seelsorge beschäftigt die kirchlichen Kreise. In der Zürcher Kantonalkirche wurde vor rund vier Jahren der Bedarf nach Aus- und Weiterbildung so gross, dass eine Anfrage an das Pastoralinstitut der Theologischen Hochschule Chur gelangte. In der Folge entwickelte man einen Praxiskurs mit dem Titel «Seelsorge mit alten Menschen im Horizont einer ‚Gesellschaft des langen Lebens‘». Mitkonzipiert wurde dieser Kurs von der geschäftsführenden Leiterin des Pastoralinstitutes, Birgit Jeggle-Merz.

Eine erste Frage an Birgit Jeggle-Merz:

«Birgit Jeggle-Merz, Sie haben den Kurs mitgestaltet, der 2019 zum ersten Mal durchgeführt wird. Ab wann ist ein Mensch denn alt?
Birgit Jeggle-Merz: Nach der Literatur beginnt Alt-sein etwa mit 50 Jahren. Da gehöre ich beispielsweise dazu, auch wenn ich mich nicht so fühle. Wenn ich die Lebenserwartung in unserer Gesellschaft anschaue, werde ich fast 50 Prozent meines Lebens als alt definiert. Alt assoziieren wir oft mit Rollator, Stock, anderer Kleidung, verschiedenen Gebrechen oder mit Heimen. Doch die wenigsten 60-Jährigen gehen mit Stock oder Rollator. Ich glaube, es muss vor allem darum gehen, einen neuen Zugang zum Thema zu bekommen und es positiv zu formulieren: Die Gesellschaft verändert sich demografisch und damit ist auch die Sozialgestalt der Kirche im Fluss. Es gibt tausend Aufbrüche und gleichzeitig keine einheitliche Entwicklung mit einer benennbaren Richtung. Negativbeschreibungen sind immer sehr einfach, doch wir glauben, dass wir die jetzige Situation, die Form, wie sich Kirche im Jetzt darstellt, wahrnehmen sollten. Es geht deshalb in der Ausbildung auch nicht um fertige Rezepte. Es geht um die Professionalisierung von Personen, die sich in der Jetzt-Zeit mit dem Thema auseinandersetzen und für ihr jeweiliges Umfeld im Heim oder in der Pfarrei Lösungswege und Wege des Umgangs damit finden wollen. Das versuchen wir, mit dem CPT-Kurs aufzugreifen.»

CPT – In der Seelsorgesituation steckt immer der ganze Mensch

CPT – das ist die Abkürzung für Clinical Pastoral Training, die Klinische Seelsorgeausbildung, die seit 1971/72 jährlich als praxisnahe und kirchliche Seelsorgeausbildung in der Schweiz angeboten wird. Eine zweiteilige Artikelserie in der Schweizerischen Kirchenzeitung SKZ aus dem Jahr 2016 beschreibt detailliert das Verständnis von CPT. Klinisch meint nicht, dass die Absolventinnen und Absolventen eines solchen Kurses zwingend in einem Spital arbeiten müssen. CPT ist für die Seelsorge in der Pfarrei ebenso bereichernd. Dennoch besuchen bisher vor allem volltheologisch ausgebildete Spitalseelsorgende die CPT-Kurse. Darin will sich der neue CPT-Kurs ausdrücklich von den bisherigen Kursen unterscheiden.

Im CPT finden  verschiedene Methoden aus verschiedenen Schulen der Sozialwissenschaften ihre Anwendung. Es geht um eine umfassende Befähigung zum Gespräch und zur Interaktion mit dem Gegenüber. Der Grundgedankte der CPT-Ausbildung ist, dass in einer Gesprächssituation immer der ganze Mensch anwesend ist. Jede Seelsorgerin, jeder Seelsorger sitzt zwar in seiner Rolle, jedoch auch mit seiner gesamten Biographie einem anderen Menschen gegenüber. Diese Biographie ist einerseits ein Reichtum, andererseits können einzelne Episoden zum Stolperstein für den Seelsorgenden werden. Die eigene Person ist das wichtigste Instrument für die Seelsorgenden, deshalb ist Seelsorgeausbildung persönlichkeitsorientiert: Seelsorge braucht reife Persönlichkeiten, die sich selbst kennen und ihr Gegenüber wirklich kennenlernen möchten.  Dennoch ist die CPT-Ausbildung  – so ein oft geäussertes Vorurteil – keine Therapie.

Eine zweite Frage an Birgit Jeggle-Merz:

«Frau Jeggle-Merz, oft spricht der Inhalt einer Ausbildung interessierte Menschen an, doch dann kommen Hemmungen auf, weil man glaubt, nicht qualifiziert genug zu sein. Wie sieht das bei dem neuen CPT-Kurs aus?
Birgit Jeggle-Merz
: Der CPT-Kurs hier in Chur, der auch für Menschen aus den Bistümern Basel und St. Gallen offen ist, richtet sich an Volltheologen aber ausdrücklich auch an Religionspädagogen und letztlich an alle, die mit dem Thema Alter in ihrer Arbeit in der Pfarrei konfrontiert werden, ihre Kompetenzen stärken wollen und im kirchlichen Kontext fest verankert sind. So hat ein Pfarrer eine engagierte Frau aus seiner Gemeinde, die sich theologisch ebenfalls weiterbildet, für die Ausbildung angemeldet. Er und wir trauen ihr das zu! Die pastoralen Mitarbeitenden, die es gibt, reichen nicht, um den Bedarf zu decken, deshalb gehen wir da neue Wege. Das heisst, eine gewisse theologische Bildung sollte vorhanden sein. Doch die grosse Stärke unseres Angebotes ist, dass wir hier flexibel auf die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer reagieren können. Wenn sich herausstellt, dass einer Gruppe noch theoretisches Wissen zu einem Thema fehlt, können wir hier die entsprechenden Fachleute von der Theologischen Hochschule für Frage- und Antwortstunden dazu holen. Zudem ist der Kurs so angelegt, dass die Volltheologen und die anderen Teilnehmenden viele Inhalte getrennt voneinander erarbeiten. Gleichzeitig gibt es immer wieder Zeiten, in denen sich die beiden Gruppen treffen und austauschen können. Deshalb wäre es toll, wenn beide Kursgruppen zustande kämen.»

Gegen das pfannenfertige Rezept – jede Erfahrung zählt

Im Gespräch mit Hans Niggeli, Fachstellenleiter Spital-, Klinik- und Heimseelsorge der Römisch-Katholischen Landeskirche im Aargau, wird deutlich, welche Knackpunkte es beim Praxiseinsatz geben kann: «Einmal geht es um strukturelle Dinge. Wenn ich in einem Pastoralraum unterwegs bin, bin ich letztlich konfessionell gebunden, denn ich bin als Vertreter einer katholischen regionalen Form unterwegs. Im Spital bin ich im Auftrag der Landeskirche auf dem Weg und begleite alle, unabhängig von Konfession oder Religion. Und es können thematische Herausforderungen auftreten. Entweder, weil im Heim jemand aus einer Pfarrei ist und mich von daher kennt und gute oder weniger gute Erfahrungen mit mir gemacht hat; es gibt dann eine gemeinsame Geschichte. Oder, weil ich in einen anderen Kontext eingebunden werde: Beispielsweise Palliative Care und dann wieder als institutioneller Seelsorger wahrgenommen werde».

Eine letzte Frage an Birgit Jeggle-Merz:

«Frau Jeggle-Merz, wie geht ein Kurs mit den verschiedenen Settings um, aus denen die Teilnehmenden kommen. Stadt oder Land, Pfarrei oder Institution?
Birgit Jeggle-Merz:
Der Wert des CPT ist, dass wir nicht theoriefokussiert arbeiten, sondern dass wir die Teilnehmenden befähigen, gute Praxisarbeit zu machen. Die Praxiserfahrung in ganz unterschiedlichen Kontexten bringen die Frauen und Männer bereits mit. Das Kerngeschäft des CPT ist nun die Reflektion der je eigenen Erfahrungen aus den Blickwinkeln der verschiedenen Methoden und im Spiegel der eigenen Biografie. Die Stärke dieses neuen CPT-Kurses zum grossen Thema Seelsorge mit alternden Menschen ist, dass wir sowohl auf die veränderte kirchliche Situation reagieren als auch auf die Bedürfnisse derjenigen Menschen, die vor Ort bereits im Thema arbeiten. Wir sind für diejenigen Menschen da, die begleitend arbeiten und offen sind, für das, was in Kirche grade Thema ist. Wir gehen weg aus der Negativbeschreibung und der Mangelverwaltung und schauen, was schon da ist und wie man damit die Kirche, die wir alle sind, verändern kann. Das ist im Prinzip ein Paradigmenwechsel.»

Der CPT-Kurs findet ab Anfang Januar 2019 an insgesamt sieben (Block)terminen in Chur statt. Eine Anmeldung ist bis Ende Dezember 2018 möglich. Mehr Informationen und Kontaktangaben finden Sie auf www.pastoralinstitut.ch

 

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