13.01.2022

4. Religionsforum der Aargauer Kantonsschulen an der Alten Kantonsschule in Aarau
Der Dialog beginnt mit zuhören

Von Christian Breitschmid

  • Das vierte Religionsforum der Aargauer Kantonsschulen stand unter dem Motto «Dialog zwischen Judentum, Christentum, Islam».
  • Sechs Vertreter der jeweiligen Glaubensrichtung standen den Schülern mit Ergänzungs- und Freifach Religion während eines ganzen Nachmittags Red und Antwort.
  • Fazit einer Schülerin: «Wir haben heute Nachmittag mehr gelernt als im ganzen letzten Jahr Religionsunterricht.»

Glauben tut man nicht einfach, glauben kann man nicht einfach, glauben muss man lernen und üben. Vor allem aber braucht es eine Gemeinschaft, in der man seinen Glauben vertiefen, kritisch hinterfragen, diskutieren und stärken kann. Diese und viele weitere Erkenntnisse durften die Kantonsschüler mit nach Hause nehmen, die gestern am vierten Religionsforum, dem Projekthalbtag der Ergänzungs- und Freifächer Religion an den Kantonsschulen im Aargau, teilgenommen haben.

Gut 60 Gymnasiasten aus den beiden Aarauer Kantonsschulen und aus den Kantonsschulen Baden, Wettingen, Wohlen und Zofingen versammelten sich um 13.30 Uhr in der Aula der Alten Kanti Aarau, um aus erster Hand zu erfahren, wie es ist und was es bedeutet, Christ, Jude oder Moslem zu sein. Vor allem sollte es an diesem Nachmittag auch darum gehen, den Dialog zwischen diesen drei grossen, monotheistischen Religionen zu präsentieren.

Gute Organisation, kompetente Gäste

Als Organisatoren und Begleiter fungierten auch dieses Jahr wieder die kirchlichen Beauftragten bzw. Fachlehrpersonen Religion der sechs Aargauer Gymnasien: Tamar Jenny (Zofingen), Christine Stuber (Wettingen), Bärbel Hess (AK Aarau), Peter Lötscher (Wohlen), Martin Zürcher (NK Aarau) und Benjamin Ruch (Baden). Der Erfolg dieser Veranstaltung liess sich allein schon daran ablesen, dass die Lehrkräfte sich im Hintergrund halten konnten, denn ihre Schützlinge zeigten reges Interesse und sorgten dafür, dass durch ihre aktive Teilnahme die Zeit verging wie im Flug. Dabei erfuhren und bestätigten sie durch ihr aufmerksames Verhalten, dass jeder Dialog mit zuhören beginnt.

Die Organisatoren bewiesen auch bei der Auswahl ihrer Gäste ein glückliches Händchen. Als Vertreter der jüdischen Religion konnten sie Tamar Krieger und Shirtai Holtz gewinnen. Krieger hat einen Master in Religionslehre mit Zusatzdiplom in Geschichte und unterrichtet Religion an der Kanti Alpenquai in Luzern. Holtz ist Biologielehrer an der Kanti Stadelhofen, der nach der Matura einige Jahre in Israel gelebt und studiert hat, bevor er aus beruflichen Gründen zurück in die Schweiz kam.

Lauter berufene Referenten

Zeinab Ahmadi ist Pädagogin und leitet seit 2016 den Bildungsbereich im Haus der Religionen in Bern. | Foto: Christian Breitschmid
Für den Dialog mit dem Islam stellten sich Zeinab Ahmadi und Abduselam Halilovic zur Verfügung. Ahmadi ist nicht nur stellvertretende Geschäftsleiterin des Hauses der Religionen – Dialog der Kulturen in Bern, sie amtet dort zudem noch als Bereichsleiterin Bildung und ist Mitglied der Fachkommission für Migrations- und Rassismusfragen der Stadt Bern sowie Mitglied der Fachgruppe Bildungsmedien ERG der Pädagogischen Hochschule Bern. Halilovic hat einen Master in Islamwissenschaft und Religionsphilosophie, arbeitet als Assistent der Geschäftsführung bei der Muslimischen Seelsorge Zürich (QuaMS) auch in der Spezialseelsorge und präsidiert die Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (vioz).

Der reformierte Pfarrer Raffael Sommerhalder erklärt den Gymnasiasten, warum ihm sein Glaube wichtig ist. | Foto: Christian Breitschmid
Antworten auf Fragen zum christlichen Glauben beantworteten in den drei Workshops dieses Nachmittags der reformierte Pfarrer Raffael Sommerhalder und der katholische Priester Martin Föhn SJ. Sommerhalder ist jung verheiratet und arbeitet als Seelsorger in Gränichen. Er wusste schon als Gymnasiast in der Kanti Wettingen, dass es seine Berufung war, Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden. Auch Föhn spürte den Ruf Gottes früh: «Ich bin in einer Bauernfamilie im Muotathal aufgewachsen. Mit drei Jahren verkündete ich meinem Vater im Stall: ‹Ich will Pfarrer werden!›»

Menschen leben Religion

Aufgeteilt in drei Gruppen hatten die Schüler Gelegenheit, die Vertreter der drei Glaubensrichtungen je während 40 Minuten zu befragen. Dabei erfuhren sie viele Aha-Erlebnisse. Zum Beispiel, dass das in der westlichen Welt weit verbreitete negative Bild des Islam wesentlich geprägt ist von dessen Darstellung in den diversen Medien. Das fange sich erst in jüngster Zeit an zu bessern, erklärte dazu Zeinab Ahmadi, weil immer mehr Muslime selber Regie führen bei entsprechenden Produktionen: «Es ist gut, wenn wir das Mikro selber in die Hand nehmen.»

Tamar Krieger unterrichtet Religionskunde und Ethik an der Kantonsschule Alpenquai in Luzern. | Foto: Christian Breitschmid
Im Workshop zum Judentum wollten es die Schüler ebenfalls genau wissen: Warum nennen sich die Juden «das auserwählte Volk»? Ist das nicht überheblich? Wer hat wirklich Anspruch auf das Land in Israel/Palästina? Sind Frauen im Judentum gleichberechtigt? Kann man Jude werden oder die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft auch verlieren? Tamar Krieger und Shirtai Holtz liessen keine Frage unbeantwortet. Dabei war sehr aufschlussreich, wie Krieger als nicht praktizierende Jüdin aus einer jüdisch-katholischen Mischehe und Holtz, mit rein jüdischem Ursprung, der von sich selbst sagt, er sei «eine kritisch denkende Person, welche den Mehrwert der jüdischen Religion stark spürt und lebt», die Fragen beantworteten. Hier, wie auch in den anderen Workshops wurde deutlich, dass es in keiner Religion die eine Lehre gibt. Es sind Menschen, die diese Religionen leben, darum gibt es zwar wohl Vorschriften, Regeln und Gepflogenheiten, aber auch immer den je individuellen Umgang mit diesen Weisungen.

Sind Freikirchen eine Bedrohung?

Der Jesuit Martin Föhn ist als Priester in der Spezialseelsorge der Stadt Basel und als Studentenseelsorger tätig. | Foto: Christian Breitschmid
Im christlichen Workshop drehte sich die Diskussion in der einen Gruppe hauptsächlich ums Thema Freikirchen. In den Antworten der beiden Kirchenvertreter wurde auch deutlich, dass die evangelisch-reformierte und die römisch-katholische Kirche wohl beide christliche Kirchen sind, bezüglich ihrer Theologie aber doch in vielen Punkten divergieren. Auf die Frage, ob die Freikirchen von den öffentlich-rechtlichen Landeskirchen als Bedrohung angesehen würden, antwortete Raffael Sommerhalder: «Die Freikirchen haben tolle Konzepte. Die sind sehr fortschrittlich. Wir sollten auch auf diese Weise Menschen zu uns einladen, um neue Mitglieder gewinnen zu können.» Jesuit Martin Föhn hingegen betonte: «Die Freikirchen zeigen uns vieles auf, aber ich bin da eher skeptisch. Oft ist mir diese Religiosität zu stark auf Emotionen aufgebaut, die Theologie zu eklektisch. Da kennt jemand 15 Bibelstellen sehr gut und baut darauf dann seine ganze Theologie auf.»

Dickes Lob aus dem Plenum

Shirtai Holtz ist Biologielehrer an der Kantonsschule Stadelhofen in Zürich. | Foto: Christian Breitschmid
Zu Beginn des abschliessenden Podiumsgesprächs mit allen sechs Gästen, kam aus dem Plenum ein dickes Lob an die Veranstalter. Das sei ein spannender und lehrreicher Nachmittag gewesen, besonders wegen der glaubwürdigen und kompetenten Referenten. Grosser Applaus. Shirtai Holtz freute sich über dieses Lob, gab aber zu bedenken, dass man sich hier an einem Ort hoher Bildung befinde. Die Diskussion müsse aber zwingend noch hineingetragen werden in bildungsfernere Schichten.

Auch die anderen Referenten bedankten sich bei allen engagierten Teilnehmern des Religionsforums. Zeinab Ahmadi rühmte das offensichtliche Interesse der Schüler: «Genau dieses Interesse braucht es, das ist wichtig für den interreligiösen Dialog.» Und Martin Föhn ergänzte: «Die Religionen können der Gesellschaft etwas geben. Alle Religionen investieren ins Transzendente, in die Beziehung zu Gott. Jetzt müssen wir darüber diskutieren, wie wir uns dabei ergänzen können.»

«Dialog braucht echte Gleichstellung»

Abduselam Halilovic ist Assistent der Geschäftsführung bei der Muslimischen Seelsorge in Zürich. | Foto: Christian Breitschmid
Abduselam Halilovic gab zu bedenken, dass der Dialog unbedingt unter Gleichgestellten stattfinden müsse: «Oft findet ein netter Austausch ‹auf Augenhöhe› statt. Das ist aber eine Pseudoaugenhöhe, denn es gibt immer noch grosse Unterschiede im politischen und gesellschaftlichen Umgang miteinander.» Martin Föhn fand eine schöne Metapher für die Voraussetzungen für künftige Veränderungen im Umgang mit Religionen: «Viele fahren Auto und verstehen auch etwas von Autos. Mechaniker verstehen sie aber besser. Wenn es um Veränderungen geht, sollte man also zuerst mit den Mechanikern reden.»

Die Eindrücke dieses Nachmittags begleiteten alle Teilnehmer auf dem Nachhauseweg. Die Diskussionen ebbten auch auf dem Weg zum Bahnhof nicht ab. Auf Nachfrage von Horizonte bestätigten einige Schüler, dass sie viel Neues und Interessantes erfahren hätten in diesem Forum. Eine Schülerin brachte es für sich auf den Punkt: «Wir haben heute Nachmittag mehr gelernt als im ganzen letzten Jahr Religionsunterricht.»

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