20.04.2016

Der unliebsame Störenfried

Von Andreas C. Müller

Der «verweigerte Händedruck von Therwil» lancierte die Diskussion zur Bedeutung von Religion an der Schule. Horizonte hat mit einem katholischen Religionslehrer, einem Jugendarbeiter und einer Ausbildungsleiterin für Katechese im Aargau gesprochen. Das Fazit: Die aktuelle Diskussion zielt am Thema vorbei. Die Probleme liegen anderswo und der Staat und «seine» Schulen machen keine gute Figur dabei.

Zwei Buben, die an einer Schule im Kanton Baselland den Händedruck verweigerten, avancierten zum medialen Blockbuster. Horizonte ist ein ähnlicher Fall aus einer 4. Primarklasse im Aargau bekannt: Zwei elfjährige muslimische Schülerinnen meinten, als die Lehrperson mit der Klasse die christliche Bedeutung des Osterfestes erläuterte: «Das dürfen wir von zuhause aus nicht wissen.» Die Lehrperson setzte sich in diesem Fall allerdings durch und verwies darauf, dass es um wichtiges kulturelles Grundwissen gehe.

Diskrepanz zwischen Berichterstattung und Alltag

Claudia Rüegsegger als langjährige Katechetin und Leiterin der ökumenischen Ausbildung für Katechese «ForModula» im Aargau – das ist die Ausbildung für angehende konfessionelle Religionslehrpersonen – warnt. Nicht etwa davor, dass jetzt ein Konflikt um die Rolle von Religion an Schulen entbrannt sei, sondern vielmehr davor, dass seitens der Medien allzu rasch Konflikte auf eine konfessionelle Ebene verschoben würden. «Beim Händedruck genauso wie bei den beiden muslimischen Mädchen ging es eigentlich um etwas anderes: Um Zwischenmenschliches, um Nähe und Distanz.»

Auch Benjamin Ruch, Kantonaler Beauftragter der Römisch-Katholischen Landeskirche an der Kantonsschule Baden – mit anderen Worten Religionslehrer und von der Römisch-Katholischen Landeskirche für besondere Projekte an der Schule besoldeter Theologe, bestätigt die «Diskrepanz zwischen medialer Berichterstattung und Schulalltag.» An der Kantonsschule in Baden gebe es sehr selten Situation, in denen Religiosität zum Thema werde. «Letztmals war das vor ein paar Jahren, als muslimische Schüler das Bedürfnis nach einem Gebetsraum angemeldet hatten.» Die Schule habe Hand geboten, gebetet werde dort aber schon länger nicht mehr. «Wie auch bei manchen christlichen Jugendlichen handelte es sich um eine kurze schwärmerische Phase.»

Religionsunterricht wird an den Rand gedrängt

Gleichwohl: Der konfessionelle Religionsunterricht wird schon seit Längerem aus den öffentlichen Schulen gedrängt. Mit der Debatte um den «verweigerten Händedruck von Therwil» rückt dieser Umstand nun ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Es grassiert die Angst, radikale religiöse Minderheiten könnten künftig die Handhabe bei Normen und Werten diktieren, weil in unserer zunehmend säkularisierten Gesellschaft der Bezug zu christlichen Werten und Traditionen abhanden gekommen sei.

Pikant an der Sache ist die Gesetzeslage, die Claudia Rüegsegger wie folgt zusammenfasst: «Im Artikel 72 sichert das Aargauer Schulgesetz dem konfessionellen Religionsunterricht landeskirchlicher Anbieter zwei Lektionen im Regelstundenplan an der Schule zu. Tatsache ist jedoch, dass wir immer weniger Platz an der Schule haben – sowohl räumlich als auch zeitlich. Der konfessionelle Unterricht wird an den Rand gedrängt.»

Beim BKS – Dem Departement für Bildung, Kultur und Sport – zeigt man sich erstaunt. Das Inspektorat habe bis anhin noch keine Meldungen erhalten, dass die zeitlichen und räumlichen Vorgaben nicht eingehalten würden, meint Katja Sascha Giger, stellvertretende Leiterin Kommunikation. Überdies liege die Stundenplan-Gestaltung in der Kompetenz der Schulen. «Tatsache ist, dass man den Stundenplan in erster Linie für die Schülerinnen und Schüler optimiert. Sprich, ein Fach, das weniger Schülerinnen und Schüler besuchen – wie es auch beim konfessionellen Religionsunterricht der Fall ist – wird eher als Randstunde angeboten, damit der Rest der Klasse keine Zwischenstunde hat.»

Schule stielt sich aus der Verantwortung

Benjamin Ruch sieht die Schulen mit einer anspruchsvollen Situation konfrontiert: «Einerseits fällt die kirchliche Sozialisierung durch das Elternhaus bei Kindern und Jugendlichen zunehmend weg, auf der anderen Seite interessieren Religion und die existenziellen Fragen des Lebens die Kinder und Jugendlichen nach wie vor.» Aus diesem Grund müsse Religion an der Schule diskutiert werden. «Säkulare Schule darf nicht heissen, dass Religion keine Rolle mehr spielen darf. Dass Religion je länger je mehr Privatsache wird, heisst auch nicht, dass sie an der Schule keine Rolle mehr spielt.»

Auch Claudia Rüegsegger beobachtet die aktuelle Situation mit gemischten Gefühlen. Zwar sei Religion als Fach im Lehrplan verankert, doch zweifle sie daran, dass die Lehrpersonen dem Christentum und damit den in der Schweiz gewachsenen religiösen Traditionen und Werten die erforderliche Aufmerksamkeit schenkten. «Ich habe das Gefühl, an den Schulen glaubt man, das gehe so nebenher. Jedenfalls bin ich als Expertin – und das gilt auch für viele meiner Kolleginnen und Kollegen – noch nie an der Schule einbezogen worden.» Weiter zweifelt Claudia Rüegsegger daran, dass sich die Lehrpersonen überhaupt für die Bedeutung des konfessionellen Religionsunterrichts interessierten: «Ich habe bei mir im konfessionellen Unterricht noch nie eine Lehrperson gesehen.»

Vom Mainstream zur Randerscheinung

Was von verschiedener Seite als Problem wahrgenommen wird, beurteilt Willy Deck anders. Der kirchliche Jugendarbeiter koordiniert auf der Fachstelle Jugend und junge Erwachsene der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau die Firmvorbereitung sowie das Projekt «Angel Force». Willy Deck zweifelt je länger je mehr daran, dass die öffentliche Schule noch ein geeigneter Ort für Glaubensvermittlung ist: «Was früher die Regel war, ist heute die Ausnahme. Kinder, die an der Schule den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, sind heute die Aussenseiter, die noch eine Zusatzstunde besuchen müssen.» Für Willy Deck keine optimale Voraussetzung für positive Erfahrung im Umgang mit Religion.

Hinzu komme, dass an den Volksschulen die Lehrkräfte auch keinen «Bibelunterricht« mehr erteilen müssten. «Das war, glaube ich, in der Kantonalverfassung verankert.» Mit dem Fach «Religion und Ethik» bliebe Religion zwar Thema, «der konfessionelle Unterricht jedoch ist an vielen Schulen aus organisatorischen Gründen nicht mehr möglich.»

Laut Willy Deck funktionieren hingegen sowohl die freiwilligen Firmvorbereitungen als auch andere Freizeitangebote wie Jungwacht Blauring sehr gut. «Die Jubla hat nach wie vor einen Zuwachs bei den Mitgliedern und die Möglichkeit, sich auf Augenhöhe mit Kirchenvertretern auszutauschen», so Willy Deck, der als Kantonalpräses die kirchliche Ansprechperson für die Aargauer Jubla-Gruppen darstellt.

Der Clinch mit den Vereinen

«Die Befürchtung, dass es bei den Firmvorbereitungen zu einem Teilnehmereinbruch kommen könnte, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil», freut sich Willy Deck. «Wir haben eine ganz andere Akzeptanz, weil die Teilnahme ja auf Freiwilligkeit basiert.» Er selbst habe mit 14- und 15-Jährigen aus dem Surbtal sowie mit 15- und 16-Jährigen aus Würenlingen das neue Firmvorbereitungsangebot als «sehr befreiend» empfunden. «Ich konnte viel besser auf die Bedürfnisse und Talente der Jugendlichen eingehen und auch ganz andere Sachen unternehmen», so Willy Deck.

Claudia Rüegsegger sieht neben dem Positiven auch Herausforderungen: «Wenn bestimmte Aspekte wie die Sakramentenvorbereitung in die Freizeit verlagert werden, kommen wir in Clinch mit den Vereinen, die ihre Angebote ebenfalls in der Freizeit anbieten.» Aus diesem Grund, aber auch aus persönlicher Überzeugung setzt die Katechetin darauf, dass der konfessionelle Religionsunterricht an den Schulen doch nicht sobald verschwindet. «Religion hat immer auch mit Wurzeln zu tun», erklärt Claudia Rüegsegger. «Gerade wenn wir heutzutage vermehrt junge Menschen aus verschiedenen Religionen an unseren Schulen haben, gehört es sich, dass man sich mit Religion auseinandersetzt, sich die eigenen Wurzeln spiegelt und sichtbar macht, was man glaubt.»

Bei Krisen gefragt

In existenziellen Krisen spielt konfessionelle Religion jedoch nach wie vor eine wichtige Rolle an der Schule, wie auch Benjamin Ruch unlängst erfahren durfte. «Beim Tod von Schülerinnen und Schülern ist die ganze Schule betroffen und ich werde gebraucht», erklärt der Religionslehrer. «Als katholischer Theologe habe ich im Umgang mit dem Tod eine Herangehensweise mitbringen können, die auf Anklang stiess.»

Den Zugang über sich als Person pflegt Benjamin Ruch auch im geruhsamen Schulalltag. «Ich versuche als Theologe und Angestellter der Katholischen Kirche im Schulalltag präsent zu sein. Wenn ich als diese Person positiv wahrgenommen werde, kann ich so eine Wirkung erzielen.»

 

 

 

 

 

 

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