17.08.2017

Diakonie ist «weltlich von Gott reden»

Von Andreas C. Müller

Vergangenes Jahr entschloss sich die Römisch-Katholische Landeskirche Aargau, zusätzlich zum diakonischen Angebot der Caritas eine eigene Fachstelle Diakonie aufzubauen – um die Wichtigkeit des «Dienstes am Mitmenschen» hervorzuheben und zu stärken. Anfang Juli hat sie ihren Betrieb aufgenommen.

Diakonie sei «weltlich von Gott reden», habe Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt. Die Definition gefällt Kurt Adler, dem neuen Leiter der Fachstelle Diakonie der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau. Genauso wie die Schlussfolgerung, dass eine Kirche, die nicht diene, letztlich zu nichts diene. Entsprechend soll die neue Fachstelle auch nicht über Diakonie reden, sondern handeln und zum Handeln motivieren.

Weniger Kirchenaustritte

Mit seiner pointierten, aber zugleich auch herzlichen Art weiss Kurt Adler auf die Menschen einzugehen. Das wird rasch klar, wer ihn bei der Arbeit begleitet – abseits vom Büroschreibtisch. Im Sommer beispielsweise als Leiter einer Ferienwoche für Alleinerziehende mit deren Kindern in der Propstei Wislikofen. Dort kümmert sich der erfahrene Seelsorger und Mediator Jahr für Jahr um quirliges Jungvolk und ermöglicht es gestressten Alleinerziehenden, zu entspannen und in verschiedenen Ateliers neue Perspektiven für den Alltag zu entdecken.

«Auf Augenhöhe mit dem Mitmenschen sein, das gehört zu meinem Selbstverständnis von gelebtem Glauben», erklärt Kurt Adler seinen diakonischen Ansatz, zu dem automatisch auch Seelsorge gehört. «Ich begrüsse es sehr, dass die Römisch-Katholische Landeskirche im Aargau als Ergänzung zum diakonischen Engagement der Caritas eine eigene Fachstelle Diakonie lanciert hat», sagt er. «Die neue Fachstelle hat den Aufbau von diakonischen Angeboten in den Kirchgemeinden im Blick, Caritas hat den Bereich der professionellen Sozialarbeit mit den Kirchlich Regionalen Sozialdiensten (KRSD) unter sich.» Mit Blick auf seinen neuen Arbeitsbereich meint Kurt Adler: «Diakonie als Dienst am Nächsten gehört zu den Grundfpeilern der Kirche und es ist wichtig, dass die Kirche sich da engagiert und zeigt, was sie tut.» Würden die Leute wissen, was die Kirche im diakonischen Bereich leiste, so manche würde das von einem Kirchenaustritt abhalten», ist der 58-Jährige überzeugt.

Drei Diakonie-Fachstellen im Aargau

Mit der neuen Fachstelle gibt es im Aargau nun drei Fachstellen für Diakonie. Die Reformierte Landeskirche Aargau hat bereits 1986 ihre Fachstelle Diakonie geschaffen. «Der Berufsstand der Sozialdiakonin, beziehungsweise des Sozialdiakons ist im Aargau mittlerweile als eigenständiger Beruf, gleichwertig zum Pfarramt, gut verankert», erklärt Fachstellenleiter Christian Härtli. «Hier hat unsere Fachstelle Diakonie Grundlagenarbeit geleistet.»

Weiter unterhält auch Caritas Aargau eine entsprechende Fachstelle. Kurt Adler sieht in dem vielfältigen, auf den ersten Blick möglicherweise verwirrenden Diakonie-Angebot kein Problem. «Vermeintliche Überschneidungen ergänzen einander. Da findet mit Sicherheit keine Konkurrenzierung statt.» Bei Caritas sieht man das ähnlich: «Wir arbeiten bereits mit der neuen Fachstelle Diakonie zusammen und schauen, welche Aufgaben im Detail die neue Fachstelle Diakonie übernehmen wird und welche Fachfragen oder auch sozialpolitischen Aktivitäten bei Caritas verbleiben», lässt Co-Geschäftsführer Kurt Brand verlauten.

Christian Härtli von der reformierten Fachstelle Diakonie räumt zwar ein, dass «ausserkirchlich gesehen eine einzige Diakonie-Fachstelle Sinn machen könnte», doch wäre eine solche ökumenische Stelle wohl zu weit weg vom kirchlichen Alltag in einer Pfarrei oder Kirchgemeinde. «Zudem sind die Strukturen und Arbeitsabläufe in der diakonischen Arbeit zu unterschiedlich, als dass sich eine einzige Stelle anbieten würde.» Gleichwohl stehe die Zusammenarbeit mit der katholischen Fachstelle ganz oben auf der Prioritätenliste.

Eine Fachstelle auf vier Rädern

Auf der Webseite der Römisch-Katholischen Landeskirche präsentiert sich der Aufgabenkatalog der neuen Fachstelle noch etwas abstrakt und trocken. Von pastoralen Schwerpunkten, Kommissionen und Projekten ist da die Rede. «Ich will mich dafür einsetzen, dass in den Pfarreien und neu entstandenen Pastoralräumen das diakonische Engagement seinen Platz und entsprechende Kontaktpersonen hat», übersetzt Kurt Adler. Und er werde das Angebot bestimmt noch verständlicher beschreiben. Immerhin habe er ja erst Anfang Juli in Aarau begonnen. Alles sei noch im Aufbau begriffen: Das Büro, das Team – im Laufe des Jahres soll noch eine zweite Mitarbeitende zur Fachstelle hinzustossen. Und nach einer kurzen Pause meint er: «Vielleicht brauchen wir auch gar kein Büro, sondern einen VW-Bus, mit dem wir unterwegs sind und auf dem steht: Diakonie lebt.

Nicht nur für, sondern mit Betroffenen

Wichtig ist Kurt Adler, dass er nicht einfach nur für Menschen etwas macht, sondern idealerweise mit Betroffenen zusammen. Als Beispiel führt er die Ferienwoche für Alleinerziehende an. Bei der Organisation und Leitung unterstützen ihn seit neun Jahren jeweils zwei Frauen der «IG Alleinerziehende». Und ja: Selbstverständlich verdienten Alleinerziehende auch die Unterstützung der Kirche. Mit oft begrenzten finanziellen Mitteln leisteten sie sehr viel und kämen in diesem Zusammenhang oft ans Limit. «Umso mehr verdienen sie es, dass auch sie einmal durchatmen dürfen.» Und so bringen Jahr für Jahr 20 Familien mit etwa 40 Kindern Leben in die altehrwürdige Propstei in Wislikofen. «Vom Kleinstkind bis zum Jugendlichen an der Grenze zum jungen Erwachsenen ist alles dabei», so Kurt Adler. Es sei schön zu sehen, wie viele Familien Jahr für Jahr wiederkämen, Freundschaften entstünden und sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder und Jugendlichen viel Wertvolles für den Alltag mitnehmen könnten.

«Hier haben alle Platz»

Natürlich hat Kurt Adler noch viele Ideen im Kopf, wie er das diakonische Engagement der Kirche stärken und Pfarreien sowie Pastoralräume für die Wichtigkeit dieses kirchlichen Auftrags sensibilisieren und Freiwillige für den «Dienst am Mitmenschen» motivieren will. Wegbegleitungen, aber auch Weiterbildungen für kirchliche Mitarbeitende in Zusammenarbeit mit den Reformierten seien bereits aufgegleist. Darüber hinaus sei vieles noch nicht spruchreif, räumt Kurt Adler ein und meint dann spontan: «Vielleicht platzieren wir einfach mal vor jeder Kirche eine Bank, auf der steht: Hier haben alle Platz». Das sei sei zwar noch kein diakonisches Projekt, zeige aber, worum es beim diakonischen Ansatz gehe. Ganz weltlich gesprochen.

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