27.03.2015

«Die Heiligste aller Patchwork-Familien»

Von Anne Burgmer

Quer durch die Schweizer Bistümer finden sie im Moment statt: die Synodengespräche. Sie sind Teil eines Prozess, der in dieser Form einzigartig ist in der rund zweitausendjährigen Geschichte der römisch-katholischen Kirche. Am 25. März 2015 nutzten 14 Personen aus den verschiedenen Orten des Pastoralraums am Mutschellen die Gelegenheit und trafen sich im «Bürgisserhus» in Berikon zum Austausch.

Eingeladen hatte der Pastoralraum am Mutschellen. Michael Jablonowski, Pastoralassistent in Bergdietikon, und Susanne Andrea Birke von Bildung und Propstei führten durch den Abend. «Ein passenderes Datum können wir uns eigentlich nicht wünschen für den Anlass», eröffnet Michael Jablonowski, «denn heute feiern wir die Verkündigung des Herrn. Den Beginn der wohl heiligsten Patchwork-Familie. Maria wird schwanger, doch nicht von ihrem Verlobten; Josef kämpft in der Folgezeit mit sich, bevor er ‚Ja‘ sagt zu einem Kind, das nicht seines ist und bevor er ‚Ja‘ sagt zu einer Frau, die er dem Gesetz nach hätte verstossen dürfen.» Josef lässt sich auf diese merkwürdige Angelegenheit ein, immerhin ist sie gottgewirkt.

Warum wir nicht schweigen sollten
Genau diese Fähigkeit des sich Einlassens auf die Lebenswirklichkeit, ist der kirchlichen Hierarchie im Laufe der Jahre abhandengekommen. Die Christen an der Basis äussern immer lauter ihren Unmut. Die Lehre der Kirche und das Kirchenrecht gingen völlig an der Lebenswirklichkeit der Gläubigen vorbei. Besonders die Frage nach der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen wird als unbarmherzig empfunden. In seiner menschenfreundlichen Art und Weise hat Papst Franziskus die Verletzungen wahrgenommen: Im Jahr 2014 fand in Rom die ausserordentliche Bischofssynode zu Fragen der Pastoral in Ehe, Familie und Partnerschaft statt. Vorangegangen war eine weltweite Befragung des Seelsorgepersonals und der Gläubigen. Ob es denn legitim sei, wenn eine so kleine Gruppe für einen ganzen Pastoralraum spreche, will eine Teilnehmerin in diesem Zusammenhang wissen. Eine berechtigte Frage, die Michael Jablonowski mit einem Beispiel aus der Politik beantwortet: «Es ist ähnlich wie bei den Abstimmungen an der Urne. Wer seine Stimme abgibt zeigt, ‚ich gestalte aktiv mit. Wer das nicht tut, darf sich nachher nicht beschweren‘. Hier ist es genauso. Es waren alle eingeladen heute Abend hierherzukommen.»

Differenzierte Überlegungen
Eines wird deutlich: die Gläubigen vor Ort machen sich ihre Gedanken. Emotional und sehr differenziert. An drei Tischen, zu drei Themen. Grundlage sind Texte aus den Lineamenta, den Ergebnispapieren der ausserordentlichen Bischofssynode. Und die haben es in sich. Sprachlich, wie inhaltlich. Dort liest man mit Blick auf Menschen, die in anderen Familien- und Beziehungsformen leben: «Als verlässliche Lehrerin und fürsorgliche Mutter ist sich die Kirche – obwohl sie anerkennt, dass es für die Getauften kein anderes als das sakramentale Eheband gibt und dass jeder Bruch desselben Gottes Willen zuwiderläuft – auch der Schwäche vieler ihrer Kinder bewusst, die sich auf dem Weg des Glaubens schwer tun.» Oder auch: «Die Kirche erkennt an, dass Gottes Gnade auch in ihrem Leben wirkt». Das ist schwer verständlich; die Sprache hat nichts mit dem normalen Leben zu tun und es ist, das wird an mehr als einer Stelle deutlich, rückwärtsgewandt. Im besten Fall zeigt es die Stagnation der Diskussion; im schlechtesten, dass eine Veränderung der Lehre nicht angezielt ist. Es ist bekannt, dass einige heikle Punkte an der notwendigen zwei-drittel Mehrheit scheiterten und erst gar nicht in diese Zwischendokumente aufgenommen wurden.

Die Frage nach Barmherzigkeit
Die Diskussion an diesem Abend ist in jedem Fall so engagiert, dass die Teilnehmer die Arbeitsmethode sprengen: Wo sie sich in neuen Gruppen zusammenfinden sollen, bleiben sie sitzen und sind kaum zu bremsen; gestikulieren, wiegen Argumente ab, machen Notizen. Da zeigt sich Geistwirken und der Wunsch nach Mitgestaltung; Interesse an lebendiger und menschenfreundlicher Kirche. Wer das nicht sieht, ist blind. Genauso wie der, der nicht erkennt, wie tief die Verletzungen durch die Lehrmeinung bei vielen Gläubigen sind. Am Ende steht besonders eine Frage im Raum: Wie kann es sein, dass eine Kirche, die Barmherzigkeit und Nächstenliebe predigt, Menschen lebenslang bestraft, weil sie gescheitert sind. Ein Mörder, der bereut, erfährt Gnade. Ein Ehepaar, das scheitert; Partner die neue Beziehung erleben: Die Strafe ist lebenslang. Und die Kirche läuft Gefahr, je länger je unglaubwürdiger in ihrer Kernaussage, der Forderung nach Nächstenliebe, zu werden.

Wichtig in mehrere Richtungen
Und was passiert jetzt mit den Ergebnissen? «Das geht in mehrere Richtungen. Die Ergebnisse werden nach Sankt Gallen ans Sozialpastorale Institut gebracht. Dann gehen sie weiter nach Rom an die nächste Bischofssynode. Doch es ist auch für uns Seelsorger hier vor Ort wichtig, was gesagt wurde. Und, die mittlere Ebene, das Bistum, soll auch ruhig sehen, was wir hier machen», erklärt Michael Jablonowski. Obwohl mancher Teilnehmer mit Vorbehalt gekommen war, sind in der Schlussrunde alle gelöst und befreit: Es macht Hoffnung, dass in der Kirche überhaupt noch der Wille zur Diskussion da ist. Eine Teilnehmerin formuliert es knackig: «Es rockt. Das ist gut.»

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