06.01.2016

«Die Kirche bleibt im Dorf»

Von Andreas C. Müller

Im Finanzsektor bringen Köpfe wie Credit Suisse-CEO Tidjane Thiam die Banken auf Vordermann. Für die Bildung von Pastoralräumen – eines der seit langem grössten Reorganisationsprozesse der Geschichte der Römisch-Katholischen Kirche in der Schweiz – sind ebenfalls Manager-Persönlichkeiten gefragt. Pfarrer Georges Schwickerath, unter anderem Ex-Banker, kam vor zwei Jahren mit genau diesem Auftrag nach Muri und darf am 24. Januar 2016 nun die Errichtung des Pastoralraums «Muri AG und Umgebung» feiern.

Herr Pfarrer Schwickerath, die Errichtung von Pastoralräumen gehört zu den grossen organisatorischen Herausforderungen für die Kirche. In einzelnen Regionen zieht sich das über Jahre hin. Wie lange ging es in Muri?
Pfarrer Georges Schwickerath:
Wir haben es in zwei Jahren geschafft. Ich habe seit meiner Ankunft im Sommer 2013 vom ersten Tag an auf dieses Ziel hingearbeitet. Mir war es wichtig, dass wir zügig vorankommen. Es bestand ja auch seitens des Bischofs der Auftrag, bis Ende 2016 die Pastoralraumbildung umzusetzen.

Inwieweit war es innerhalb dieser Zeit möglich, den Pastoralraum «Muri AG und Umgebung» von der Basis aus entstehen zu lassen? Oder ist das Projekt von oben herab umgesetzt worden?
Mir war der effiziente Weg wichtig. In Bern habe ich den demokratischen Weg miterlebt. Eine Entwicklung, die sich über fünf Jahre hingezogen hat. Es besteht die Gefahr, dass so irgendwann die Luft draussen ist. Und du kriegst eh nicht alle ins Boot. Insofern haben wir hier nicht mit Hearings und Spurgruppen gearbeitet.

Warum hat das so gut geklappt? Gerade die Freiämter sind ja bekannt dafür, dass sie sich nichts «von oben» diktieren lassen?
Unter dem Motto «die Kirche bleibt im Dorf» fanden wir relativ rasch ein Einvernehmen. Das Ziel war von vornherein ein Spagat zwischen «Kirche vor Ort» und einer sinnvollen «Zentralisierung von Angeboten».

Was heisst das genau?
Dass es beispielsweise für die Firmung ein gemeinsames Konzept gibt, aber Kurse in allen angeschlossenen Pfarreien angeboten werden. Oder dass in jeder Pfarrei Taufsonntage stattfinden, die Menschen also eine echte Wahlmöglichkeit haben.

Wer waren auf dem eingeschlagenen Weg Ihre wichtigsten Partner?
Allem voran das Seelsorge-Team und die Kirchenpflegen.

Gleichwohl dürfte nicht alles auf fruchtbaren Boden gefallen sein.
Richtig. Es gibt nun in jeder Pfarrei am Wochenende nur noch einen Gottesdienst und dieser findet nicht jede Woche zur selben Zeit statt. Kommt hinzu, dass die Gottesdienste nicht fortlaufend von ein- und der selben Person geleitet werden. Das sorgte zu Beginn schon ein wenig für Unruhe beim Stammpublikum.

Wie konnten diese Herausforderungen gemeistert werden?
Ich habe diese wesentlichen Einschnitte bereits bei meiner Ankunft eingeführt, und nicht erst mit Blick auf die Pastoralraumerrichtung. So haben die Leute von Anfang an erfahren: Ich bin nicht nur der Pfarrer von Muri. Die Menschen haben sich mittlerweile daran gewöhnt. Und sie haben immer noch die Wahl, bei ihrem Lieblingsliturgen in den Gottesdienst zu kommen.

Das setzt aber Mobilität voraus. Und diese ist im Alter zunehmend eingeschränkt.
Richtig. Ich kann ein gewisses Unbehagen durchaus verstehen und sage immer: Mit der Errichtung die Pastoralraums ist die Entwicklung ja noch nicht abgeschlossen. Nachbessern kann man immer. Gerade bei der Frage der Mobilität schauen wir, ob wir einen Fahrdienst aufbauen können. Das Wichtigste ist für mich aber, dass ich im ständigen Dialog mit den Menschen bleiben kann und erfahre, was sie bewegt. Gleichzeitig kann ich dann auch erklären, warum wir gewisse Massnahmen getroffen haben.

Was erklären Sie denn den Menschen?
Die Errichtung von Pastoralräumen ist zunächst ein spiritueller Erneuerungsprozess. Es geht darum, sich den Herausforderungen zu stellen, denen unser Glaube in der heutigen Zeit ausgesetzt ist. Wir haben einen Mangel an Gläubigen und immer weniger Theologen. Die Idee einer Reorganisation der Seelsorge hätte im Grunde schon viel früher geschehen müssen.

Und über den Fahrdienst hinaus? Welche Visionen haben Sie für Ihren Pastoralraum?
Ich sehe zwei Schwerpunkte: Zunächst haben wir mit Muri und Beinwil zwei Wallfahrtsorte. Wallfahrt und Prozessionen sind doch etwas Schönes und Wertvolles. Das möchte ich versuchen in die Zukunft zu führen. Dann liegen mir auch die Familien am Herzen. Wenn wir in 20 Jahren noch Kirche sein wollen, müssen wir da ansetzen.

Und wie dürfen wir uns das konkret vorstellen?
Auf der einen Seite wird es bestimmt Familiengottesdienste geben sowie Angebote für Eltern nach der Taufe. Diese beschäftigen sich mit der Frage, wie religiöse Erziehung heute gelingen kann. Weiter sollen auch Wallfahrten familienfreundlicher werden. Gewohnt sind wir, dass es um sechs Uhr morgens losgeht und auf dem Weg der Rosenkranz gebetet wird. Das funktioniert für Familien natürlich nicht.

 

Pastoralräume im Aargau: Die wichtigsten Fakten in der Kurzübersicht

Warum überhaupt Pastoralräume?
Der zunehmende Mangel an Gläubigen einerseits sowie Theologen (=Seelsorge-Personal) andererseits) verlangt nach einer Redimensionierung der bestehenden kirchlichen Strukturen in den Gemeinden sowie nach einer Erneuerung des Glaubens.

Wie viele Pastoralräume gibt es im Aargau bereits?
Mit «Muri AG und Umgebung» wird im Aargau der fünfte Pastoralraum errichtet. Der erste war «Am Mutschellen». Es folgten «Bremgarten-Reusstal», «Region Lenzburg» und «Region Aarau».

Welche Unterschiede vom Typ her gibt es?
Einerseits wird es kleinere Pastoralräume geben, in denen mindestens drei Pfarreien ihre Leitung behalten (Typ A). Andererseits übernimmt in grösseren Pastoralräumen vom Typ B ein Seelsorgeteam die Leitungsaufgaben für alle Pfarreien

Welche weiteren Pastoralräume folgen 2016?
Geplant sind im Aargau für Herbst weitere Pastoralraumerrichtungen: Darunter in Brugg, Rohrdorf und Turgi.

 

 

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