16.03.2015

Die Kirche im Dorf

Von Anne Burgmer

Die Finanzen? Schrumpfen. Der Personalpool? Schrumpft schneller. Ehrenamtler? Immer schwerer zu finden. Wer meint, Kirche funktioniere endlos in bekannter Weise, könnte überrascht werden. Es ist Zeit, tätig zu werden.

Kurt Koch, ehemaliger Bischof von Basel, setzte mit Blick auf die Entwicklung im Jahr 2006 den Pastoralen Entwicklungsplan (PEP) in Kraft. Schritt eins. Schritt zwei: Bischof Felix setzt den Weg fort; es werden die strukturellen Voraussetzungen für die Umsetzung und Erarbeitung der Pastoralkonzepte geschaffen. Das heisst zum Beispiel: Pastoralraumbildung und damit die Verteilung von Personal auf bestimmte Gebiete. Im Aargau umfasst ein Pastoralraum schnell mehrere Dörfer, denn immer weniger Seelsorger sind für gleichbleibend viele Pfarreien zuständig.

Suchprozess vor Ort

Mangelverwaltung ist ein Vorwurf an das Konzept, die Aushöhlung des staatskirchenrechtlichen Systems ein anderer. Dass es berechtigte Kritikpunkte gibt und manche Ideen aus der Anfangsphase mittlerweile überarbeitungsbedürftig sind, gibt Tobias Fontein, Bistumsregionalverantwortlicher der Bistumsregion Sankt Urs, unumwunden zu. Der Prozess an sich steht trotz vieler Diskussionen nicht zur Debatte. «Kritisieren ist immer einfach. PEP wurde gründlich diskutiert. Zugleich bleibt der Eindruck, es ist ein Top-Down Prozess in dem wichtige Stimmen wie die Kirchenpflegen und Landeskirchen zu wenig gehört wurden», schreibt Claudia Mennen von Bildung und Propstei auf Anfrage. Bernhard Lindner, von Bildung und Propstei, plädiert für einen «Suchprozess vor Ort», an der Basis. Die spürt die Auswirkungen; je ländlicher, desto mehr. Hier ein Gottesdienst, der wegfällt; dort ein Seelsorger der nicht am Ort sondern zwei Dörfer weiter wohnt und mancherorts Stellen, die nur mit Aushilfsseelsorgern besetzt werden oder dauerhaft vakant bleiben. Die Kirche verschwindet und lässt diejenigen, denen Kirche überhaupt noch wichtig ist, ratlos zurück.

Ermutigung, Kirche zu sein

Die kleinen Orte und Pfarreien innerhalb eines Pastoralraumes nennt das Bistum Nahräume. Ein Begriff, den Bernhard Lindner ungern verwendet: «Nahraumpastoral ist ein technischer Begriff. Im sozialen und theologischen Sinne geht es um die ‚Gemeinde‘. Darum, Kirche dort zu leben wo die Menschen leben.» Ein Anliegen, das die Arbeitsgruppe ‚Nahraum‘ der Aargauer Pastoralkonferenz teilt. In einem Arbeitspapier blickt sie zum Beispiel ennet der Grenze in den Thurgau. Dort gibt es das Modell SEMA. Erfahrene Frauen und Männer, Laien, wirken als Seelsorgemitarbeitende in einem kleinen Pensum in der Pastoral mit. Sie werden für diese Aufgabe durch Ausbildungsmodule befähigt und sind den pastoralen Leitungspersonen verantwortlich. Sie sind Bezugsperson für ein bestimmtes Gebiet, kennen die Anliegen der Menschen dort, feiern mit ihnen und halten sozusagen die Kirche im Dorf. Gen Westen, in der Jurapastoral, sind es die ‚Groupe des Veilleurs‘, die diesen Dienst versehen. Es gibt also funktionierende Modelle im Bistum, wenn sie auch teilweise von Bistumsseite kritisch beurteilt werden. Im Aargau wird das Thema wahrgenommen. Bildung und Propstei veranstaltete zwei gutbesuchte Anlässe. Dort wurde gezeigt, was bereits an wertvoller Pastoral vor Ort geleistet wird. Das Ziel: Ermutigung. Die Menschen in einer Pfarrei können mit ihren Fähigkeiten und Talenten eine lebendige Kirche bilden. Auch wenn das im Moment noch ungewohnt erscheint.

Pastorale Fantasie

Bernhard Lindner meint: «Die Modelle geben Anregungen aber keine Lösungen. Insofern plädiere ich für 100 Modelle im Aargau.» Mehr pastorale Phantasie wünscht sich auch Claudia Mennen. Überlegungen gibt es viele: Die Öffnung der kirchlichen Berufsfelder für Nicht-Theologen, vielleicht einen ganz neuen Beruf. Tobias Fontein bringt einen anderen Aspekt ins Spiel: «Es ist wichtig, wie wir mit den Menschen vor Ort sprechen. Die Tendenz in der Kirche ist leider oft, dass wir die Menschen und ihr Engagement vor Ort für selbstverständlich halten.» Die Menschen in den Pfarreien sind die lebendige Kirche. Sie wissen was sie brauchen, um die Kirche im Dorf zu halten. In Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen, von unten nach oben; vielleicht mit Aargauer Wegen.

Anne Burgmer

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.