07.08.2014

Die Menschen setzen ihre Grenzen selber

Von Horizonte Aargau

Im Beisein von Regierungsrat Alex Hürzeler und Prominenz aus Kirche und Politik feierte am Mittwochabend, 6. August 2014, das Verena-Spiel in Bad Zurzach Premiere. Das Stück wird an 20 Spieltagen noch bis am 6. September vor der beeindruckenden Kulisse der Kirchlibuckkapelle gespielt. 40 Personen, darunter Primarschüler, Jugendliche und Erwachsene samt Vertretern der Grosselterngeneration stehen für einen bunten Theaterabend gemeinsam auf der Bühne.

«Theater ist immer auch ein Ereignis, bis zu einem gewissen Grad ein Wunder», verspricht Regisseur Hannes Leo Meier bei der Begrüssung der Premierengäste auf dem Kirchlibuck in Bad Zurzach. «Was ist meine Bestimmung?» und: «Wo liegen die Grenzen?» böten als Grundfrage immer wieder Orientierung im modernen Mirakelstück um Bad Zurzachs Heilige. Verena selbst, um die es eigentlich geht, bleibt geheimnisvoll im Hintergrund, sagenhafte Erinnerung, angezweifelte Wunderfantasie im Kopf eines jungen Knaben, der selbst gern ein Heiliger wäre.

Warten auf den Asylentscheid
Facettenreich spinnt sich über zwei Stunden eine aus vielen Handlungssträngen geknüpfte Geschichte zusammen, die letztlich daran erinnert, dass auch die Verena-Legende noch heute brisante und aktuelle Themen behandelt: Flüchtlingselend, Rassismus, die Suche nach der eigenen Bestimmung im Leben, der Kampf um den eigenen Glauben, den Platz im Leben, ohne zu verzweifeln. «Von sich aus ist nichts begrenzt, wir Menschen machen die Grenzen selbst», meint der Asylbewerber Daniel, gespielt von Omar Akbarzada, gegenüber der jungen Soziologiestudentin Asma (Amina Abdulkadir), die eine Studienarbeit im Durchgangsheim schreibt, wo sich Daniel seit drei Jahren aufhält und darauf wartet, dass über sein Asylgesuch endlich entschieden wird. Die beiden verlieben sich ineinander, der Entscheid über den Asylantrag trifft ein: Er ist abschlägig.

Gefangen in den eigenen Wünschen
Flight Attendant Jackie (Jessica Oeschger) träumt von einer Modelkarriere. Im Weg stehen der bildhübschen Frau ihre Selbstzweifel und Ängste. «Meine Brüste sind zu gross, meine Beine sind nicht grad», jammert die junge Frau bei einem Schönheitschirurgen, der letztlich nichts operieren kann, weil es nichts zu operieren gibt. Jackies Freundin Hanna (Sybille Sutter) plagen derweil andere Sorgen. Sie möchte von ihrem Freund Gabriel (Lukas Wopmann) schwanger werden, doch es klappt einfach nicht. Hannas Frauenärztin bescheinigt ihr, es sei alles in Ordnung, die verdrehte Lebensberaterin Rea Fischer versucht der verzweifelte Frau mit allerlei esoterischen Praktiken und Ritualen Orientierung und Halt zu geben. «Was ist denn unsere Bestimmung auf diesem Planeten?», klagt Hanna. Es hiesse doch: «Seid fruchtbar und mehret euch.» Sie jedenfalls wisse nichts Gescheiteres. Da erhält sie von ihrem langjährigen Freund einen zehn Seiten langen Brief, in dem dieser erklärt, er sehe seine persönliche Bestimmung in der persönlichen Freiheit.

Wahr, obschon nie passiert
Als ob die Schicksale der drei Frauen nicht schon genug hergäbe, sorgen im Städtchen Zurzach allerlei weitere Ereignisse für Aufsehen. Die Verena-Statue auf der Brücke soll einem Knaben zugblinzelt haben. Später wird die Statue verschmiert vorgefunden, bevor sie gänzlich verschwindet. Verdächtigt werden natürlich die Asylbewerber. Die ganze Aufregung geschieht nur wenige Tage vor dem Verena-Tag, an welchem ein neues Verena-Spiel uraufgeführt werden soll. Ein Stück, das zeigt, wie Geschichtsklitterung im 9. Jahrhundert zur Entstehung der Verena-Legende führte. «Ein Stück über die Heilige Verena, und die glauben doch gar nicht daran. Das ist nicht korrekt», jammert eine gläubige Zurzacherin mit italienischen Wurzeln. «Es hat schon immer Sachen gegeben, die wahr sind, obschon sie nie passiert sind», ermahnt Pfarrer Schaufelbühl die Leute, als die Situation nach einem Vorfall in der Asylunterkunft aus dem Ruder zu laufen droht.

Legende als stetiger Bezugspunkt
Die Heilige Verena, eine koptische Christin, die der Legene nach im 4. Jahrhundert mit der sagenhaften thebäischen Legion in die Schweiz gelangt und dort erleben muss, wie ihr Mann aufgrund seines Glaubens getötet wird. Die Frau wird zur Fremden, zum Flüchtling, findet auf ihrem Weg von Solothurn nach Zurzach zu ihrer Bestimmung als Eremitin und Heilerin. Verenas Geist schwebt über all den verschiedenen Handlungssträngen, die teils zu Ende erzählt, sich teils aber auch einfach im grossen Trubel verlieren, der sich auf Ende des Stücks hin zuspitzt. Im Ringen um Dichtung und Wahrheit, um Schuld und Unschuld, um Glauben und Aberglauben spiegelt sich Verena plötzlich im Schicksal einer der jungen Frauen, die mit ihrem Leben hadern und herausgefordert werden. Anspielungen auf verschiedene Elemente der Legende sorgen immer wieder für Bezugspunkte, so beispielsweise die sagenhafte Geschichte um den verschwundenen Ring. Nach zwei Stunden entlässt das Stück von Hannes Glarner die Besucherinnen und Besucher in den Abend und regt an, die eingangs erwähnten Grundfragen weiter zu vertiefen. Auch wenn der Schluss etwas plötzlich kommt, manches nicht zu Ende gespielt wird: Regissuer Hannes Leo Meier bietet mit seiner 40-köpfigen Truppe einen temporeichen Theaterabend, der von Livemusik aus der Feder des Aarauer Komponisten Rafael Baier untermalt wird. Rockiges vermischt sich mit Orientalisch-Sphärischem zu einem besonderen Klangteppich.

Andreas C. Müller

 

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