27.01.2014

Die «Zehn-Millionen-Schweiz» löst Ängste aus

Von Horizonte Aargau

Die Schweiz ist sozial durchmischt. Die sozial prekäre Situation vieler Menschen und die Wünsche gutbetuchter Einkommensschichten stossen in der Städteplanung aufeinander, auch im Wohnungswesen. Dem «Wohnen» widmete Caritas seine diesjährige «soziale Tagung». Der ehemalige Sozialdirektor der Stadt Luzern, Ruedi Meier, rief dazu auf, sich gegen die steigenden Bodenpreise und die damit verbundene Spirale der automatischen Entmischung gewisser Stadt- und Siedlungsteile zu wehren.

Aufbauende Wohnungspolitik sei nötig, denn die steigenden Mieten und damit verbundenen Ängste vor einem Wohnungsverlust führten bei vielen Menschen zu Existenzängsten, so Caritas-Direktor Hugo Fasel. Wohnpolitik hängt immer auch mit Armutsbekämpfung zusammen, doppelte Caritas-Schweiz-Präsidentin Mariangela Wallimann-Bornatico nach. Der Wohnraum werde knapp. Angemessenes Wohnen sei ein soziales Menschenrecht. Für einkommensschwache Menschen werde das Wohnen finanziell zu einer Belastung.

Lebensqualität und verdichtetes Wohnen
Die Lausanner Städteplanerin Ariane Widmer Pham forderte Lebensqualität in den Quartieren. In einem Nebensatz sprach sie von den Ängsten der Bevölkerung vor dem verdichteten Bauen in den Wohngebieten, das die eigenen Wünsche einschränke. Sie sprach sich für ein qualitativ hochstehendes verdichtetes Bauen in den Städten aus, zu welchem alle Akteure wie die öffentliche Hand, Baugenossenschaften, private Anbieter, soziale Werke, langfristige und kurzfristige Investoren Hand bieten müssten. Den wirtschafts-liberalen Standpunkt brachte Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienanalyse bei der Grossbank Credit Suisse in Zürich, in die Diskussion ein. Zuwanderung und Wohlstand führten zu einer Sättigung des Wohnmarktes. 1970 verfügte eine Person in der Schweiz über zwanzig Quadratmeter Wohnraum, heute seien es 44 Quadratmeter. Diese Zahl steige wegen des knappen Wohnraumes kaum weiter. Die Mieten für die Wohnungen seien bei hohen Einkommen kein Problem, bei tiefen Einkommen würden diese zu einer Belastung, meinte der Redner.

«Marktmechanismen» und Einschränkungen
Dem Wohnbedarf sei heute die «Raumplanung» geopfert worden, beklagte der Redner. Am Beispiel von Genf erklärte der Redner, dass die politischen Eingriffe zu einer «künstlichen Knappheit» im Wohnungsmarkt geführt hätten. Die Stadt habe in der Wohnbauförderung die Bedingung gestellt, dass in den «Zones de Développement» bei Neubauten zwei Drittel Sozial-Wohnungen sein müssten. Das habe die Investoren abgeschreckt. Hasenmaile forderte darum, dass im Wohnungsbau die «Marktmechanismen» spielen müssten. Wenn der Boden knapp werde, müsse in die Höhe gebaut werden. Das passe vielen Schweizern zwar nicht, die gern in einem grünen Garten wohnen möchten. Aber «irgendwo müssen wir den Preis bezahlen», meinte Hasenmaile.

Vernetzung und Transparenz
Investoren haben in karitativen Kreisen oft nicht den besten Ruf. Doch Lösungen können nur gemeinsam gefunden werden. Die Hilfswerke sollen darum den Kontakt zu den Investoren suchen, sagte der Direktor des eidgenössischen Bundesamtes für Wohnungswesen, Ernst Hauri. Er hatte von Caritas den Auftrag erhalten, über das Wohnen in einer «Zehn-Millionen-Schweiz» zu reden. Hauri meinte, wenn es der Schweizer Wirtschaft schlechter gehen würde, ginge auch das Bevölkerungswachstum zurück. Das Bundesamt bemühe sich um die Vernetzung der verschiedenen Akteure auf dem Wohnungsmarkt und um die Sensibilisierung für die verschiedenen Anliegen. Das Amt halte sich jedoch aus der Mietpreisbildung heraus, bemühe sich aber um «Transparenz» im Wohnungsmarkt.

Starke Belastung bei kleinen Einkommen
35 Milliarden Franken würden jährlich an Mietzinsen in der Schweiz gezahlt, erklärte Philippe Thalmann, Professor für Raumplanung in Lausanne. 9,5 Milliarden Franken davon würden die Hausbesitzer an die Steuerämter abgeben. Gemäss Thalmann hätten diese Abgaben kaum einen Einfluss auf die Entwicklung der Mietzinse. Eine weitere Zahl führte der Redner an. Bei einem Einkommen unter 5000 Franken betrage die Belastung durch den Mietzins 35 Prozent des Haushalts.

Mit Vielfalt gegen Ghettoisierung und «Gentrifizierung»
Die Menschen müssten in ihrem Kampf gegen die Ghettoisierung in Städten unterstützt werden, forderte der ehemalige Sozialdirektor der Stadt Luzern, Ruedi Meier, der heute einer Baugenossenschaft vorsteht. «Viele Wohnalternativen» seien das beste Mittel gegen eine Ghettoisierung. Durchmischung diene in den Quartieren der Integration und dem Kontakt zwischen den verschiedenen Gruppen wie Familien, Alleinstehenden, Zuzügern, Benachteiligten, Pensionierten oder Betagten. Die Wohn-Politik müsse sich ein Beispiel an den Schulen und der Ausbildung nehmen, wo die gesellschaftliche Durchmischung bereits erfolgreich praktiziert werde. Und der Redner warnte: «Die Spirale der sogenannten Gentrifizierung, das heisst die automatische Entmischung gewisser Stadt- und Siedlungsteile als Folge der wirtschaftlichen Entwicklung, beziehungsweise der steigenden Bodenpreise, dreht sich stark und bedroht den gesellschaftlichen Zusammenhalt.» Es müsse unbedingt Gegensteuer gegeben werden, so die aktuelle Forderung der Stunde.

Georges Scherrer, kipa

 

 

 

 

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