28.04.2019

Drehorgeltanz im Regen: Silja Walter-Weg eröffnet

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Am Samstag, 27. April eröffnete das Kloster Fahr die zehn Stationen des Silja Walter-Wegs auf seinem Gelände.
  • Der öffentliche Silja Walter-Weg lädt ein zum Innehalten. Die Besucher entdecken das immense Schaffen der «schreibenden Nonne», wie sich Silja Walter selber nannte.
  • Der feierliche Festakt mit der Eröffnung bildete den Schlusspunkt der Woche, während der die Benediktinerinnen des 100. Geburtstags ihrer ehemaligen Mitschwester Hedwig mit verschiedenen Anlässen gedachten.

 

Wäre Schwester Hedwig bei der Eröffnung «ihres» Wegs dabei gewesen, sie hätte im Regen getanzt. Über die nassglänzenden Kiesel im Klosterhof, zu Drehorgelmusik. Als Priorin Irene Gassmann ihre Begrüssungsworte sprach, prasselte es aus tiefschwarzen Wolken auf die versammelten Schirme nieder. «Wer weiss, vielleicht schickt uns Schwester Hedwig als Gruss von oben ein paar Tropfen», meinte sie. Die Präsenz der 2011 verstorbenen Silja Walter war am Festakt von Beginn weg spürbar. In ihren Texten, aber auch in den persönlichen Erinnerungen der vielen Anwesenden, darunter zahlreiche Nachkommen der Dichterin. Auch Drehorgelmann Bruno Leoni war nicht zufällig dabei. In einem ihrer Gedichte hat Silja Walter nämlich die «kleine Drehorgel» mit feinem Humor verewigt.

Brainstorming im Kloster

Mit der Eröffnung des Stationenwegs zog auch der letzte Anlass der Gedenkwoche zum 100. Geburtstag von Silja Walter ein grosses Publikum an. Für den Silja Walter-Weg rund ums Kloster Fahr hatten sich die römisch-katholische und die reformierte Landeskirche im Aargau, die katholische Kirche des Kantons sowie diejenige der Stadt Zürich finanziell eingesetzt. Luc Humbel, Kirchenratspräsident der römisch-katholischen Kirche im Aargau, blickte in seiner Ansprache zurück auf das erste Treffen, als die Gedenkwoche noch eine vage Idee war. Er erinnerte sich an das Brainstorming mit Priorin Irene Gassmann und Projektleiterin Carmen Frei, bei dem sie die passenden  Leitworte für das Jubiläum suchten: «Der Satz, der das Rennen machte, war ‚voll singenden Feuers’.» Darauf las Luc Humbel das Gedicht von Silja Walter vor, dem die drei Worte entnommen sind:

 

Voll singenden Feuers 

Die wilden Enten

schrein überm Fluss

mit den Morgensirenen

zusammen

vom Gaswerk

nichts weiter.

Und Gomer geht summend

hinauf in die Küche

die Minze zu sieden

nichts weiter.

Doch alle Schöpfung

ihr Herz und die Küche

sind voll singenden

Feuers.

                                                            Silja Walter

 

Luc Humbel dankte der Projektleiterin der Gedenkwoche, Carmen Frei, sowie Priorin Irene für ihren grossen Einsatz zur Realisierung des Stationenwegs. Das Engagement der römisch-katholischen Landeskirche fusse auf Begeisterung: «Eine Erneuerung, ein Aggiornamento in der Kirche gelingt nur, wenn es von uns vorgelebt wird. Genau das tun die Fahrer Schwestern tagtäglich. Priorin Irene und ihre Mitschwestern beten jeden Donnerstag das Gebet ‚Schritt für Schritt’ für Erneuerung in unserer Kirche. Das begeistert mich.»

Eine Virtual Reality Show zum 100. Geburtstag

Der Silja Walter-Weg ist öffentlich zugänglich. Die zehn Stationen rund ums Kloster Fahr laden ein zum Innehalten. Kurze Textimpulse öffnen den Blick auf das vielfältige Schaffen der Lyrikerin und Nonne. Auf der Webseite, die zum Weg gehört, können die Textausschnitte in voller Länge gelesen und angehört werden. Priorin Irene Gassmann freut sich dabei über eine besondere Attraktion. Sie erzählte: «Silja Walter war virtuell unterwegs, bevor wir das überhaupt kannten. Schwester Hedwig blieb ihr Leben lang interessiert und aufgeschlossen gegenüber Neuem. Zum 80. Geburtstag wünschte sie sich einen Computer, zum 90. Geburtstag einen Internetanschluss. Da passt es, dass es nun zu ihrem 100. Geburtstag eine Virtual Reality Show gibt.»

Virtuell ums Kloster streifen

Während die Fahrer Schwestern die raffiniert aus Karton und Kunststoff gefertigten Virtual Reality-Brillen unter den Zuhörenden verteilten, gab Jörg Krummenacher, der die virtuelle Tour mit seiner Agentur kommpakt programmiert hat, eine Blitzeinführung in die Benutzung. Und wirklich: Wer mit dem Smartphone den virtuellen Rundgang auf der Webseite siljawalter.ch startet und dann das Handy in die Brille schiebt, blickt durch die Linse und glaubt, unten an der Limmat zu stehen. Vor sich das Wasser, über sich das Himmelsblau. Fast fürchtet man, beim Schritt vorwärts in den Fluss zu fallen.

Gemeinsam feiern

Nach dem Eröffnungsakt im Klosterhof folgte ein ökumenischer Gottesdienst in der Klosterkirche. Priorin Irene Gassmann, der Einsiedler Abt Urban Federer und der Präsident der reformierten Landeskirche Aargau, Christoph Weber-Berg, wirkten bei der Feier mit.

Den Kofferraum voller Bücher

Beim Apéro gab es die Gelegenheit, bei Ulrike Wolitz, Autorin und Herausgeberin des Gesamtwerks von Silja Walter, das neuste Buch zu erwerben. «Dich kommen sehen und singen» heisst das Werk von Ulrike Wolitz. Einen Monat lang hatte sich die Seelsorgerin und Autorin in einen Turm bei Würzburg zurückgezogen, wo sie ganz in die persönlichen Erinnerungen an die Erlebnisse mit Silja Walter eintauchte. Über die Entstehung des Buchs berichtete sie: «Ich kam mit einem Kofferraum voller Gesamtausgaben beim Turm an, hatte jedoch keine Idee, wie ich anfangen sollte. Aber bald merkte ich: ich muss nicht schreiben, es schreibt sich von selbst. Als ich Ende Monat nach Hause fuhr, dachte ich: Da war noch jemand anders beim Schreiben dabei.» Silja Walter inspiriert. Ganz gewiss auch die Besucherinnen und Besucher des Silja Walter-Wegs – in natura oder virtuell.

 

Hier geht’s zum virtuellen Silja Walter-Weg

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