21.03.2019

Ein Drittel mehr Kirchenaustritte im Aargau

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Die Statistik der Römisch-Katholischen Landeskirche zeigt, dass im vergangenen Jahr 4’093 Aargauer Katholikinnen und Katholiken ihre Kirche verlassen haben. Das sind 1’000 Austritte mehr als im Vorjahr.
  • Relativ gesehen traten 33 Prozent mehr Menschen aus der Kirche aus als 2017.
  • Die Römisch-Katholische Kirche im Aargau will etwas gegen die Austritte tun und den distanzierten Kirchenmitgliedern mehr Wertschätzung entgegenbringen.

 

Kirchenratspräsident Luc Humbel sieht den Tatsachen ins Auge: «Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die anhaltenden Negativschlagzeilen im vergangenen Jahr die Kirchenaustritte haben ansteigen lassen.» Obwohl die relative Abnahme der Mitglieder im Aargau weniger als 1 Prozent beträgt und die Gesamtmitgliederzahl daher als relativ stabil bezeichnet werden kann, will sich die Aargauer Landeskirche dem Problem des Mitgliederschwunds stellen. «Zwar kann man nicht die hier und heute agierenden Personen für die Skandale innerhalb der katholischen Kirche verantwortlich machen, doch wir müssen und wollen unsere Verantwortung wahrnehmen und die Missstände innerhalb unserer Kirche angehen, um wieder glaubwürdig zu sein», sagt Luc Humbel. Die Mitgliederzahl der römisch-katholischen Kirche im Aargau betrug per Ende 2018 215’984 Personen, ein Jahr vorher waren es noch 217’800 Mitglieder.

133 bewusste Entscheidungen für die Kirche

Ein kleiner Trost ist, dass gegenüber dem Vorjahr nicht nur die Aus-, sondern auch die Eintritte zunahmen. 133 Gläubige sind der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau 2018 beigetreten, auch hier zeigt sich ein Plus von etwa 30 Prozent. Bei den Eingetretenen handelt es sich nicht um Zuzüger oder getaufte Kleinkinder, sondern um Erwachsene, die sich bewusst für die Kirche entscheiden.

Stellung der Frauen und Missbrauchsfälle als Austrittsgrund

Ob es Monate mit besonders vielen Austritten gab, lässt sich aus der Statistik der Landeskirche nicht herauslesen. Der direkte Zusammenhang zwischen dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen und den Austritten lässt sich deshalb nur vermuten. Allerdings zeigt eine Umfrage bei den Pfarreisekretariaten, dass die Negativschlagzeilen durchaus Grund für Austritte sind. Im Pastoralraum Region Brugg-Windisch zum Beispiel gab es mehrere Personen, welche die schwache Stellung der Frauen, die Äusserungen gewisser Bischöfe und eben auch die vielen Fälle sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche als ausschlaggebend für ihren Austrittsentscheid bezeichneten.

Am meisten Austritte wegen der Kirchensteuern

Die Erfahrung auf den Pfarrämtern zeigt aber auch: Die überwiegende Mehrheit der Austretenden schickt ein Standardformular aus dem Internet, ohne persönlichen Kommentar. «Diejenigen, die sich die Mühe machen, einen Brief zu schreiben, treten meist wegen Missständen innerhalb der Kirche aus. Alle anderen wegen der Kirchensteuern», vermutet eine Pfarreisekretärin.

Wertschätzung gegenüber distanzierten Mitgliedern

Aus mehreren Pfarreien ist zu vernehmen, dass vor allem jüngere Leute im Alter zwischen 25 und 45 Jahren der Kirche den Rücken kehren. Dies mit der Begründung, sie hätten keinen Bezug mehr zur Institution und zum Glauben. Diese distanzierten Mitglieder sollen die Kirchgemeinden versuchen, an Bord zu behalten. An den Kirchenpflegetagungen bemüht sich die Landeskirche deshalb, den Verantwortlichen in den Kirchgemeinden den wertschätzenden Umgang mit den so genannten Distanzierten zu vermitteln (Horizonte berichtete). Ein sichtbares Zeichen für die Anstrengungen der Römisch-Katholischen und der reformierten Landeskirche ist die Osterkartenaktion. Die beiden Landeskirchen werden dieses Jahr erstmals eine ökumenische Osterkarte gestalten, die kantonsweit an die Kirchgemeinden verteilt und von dort an alle Kirchenmitglieder verschickt wird.

Auch Italiener und Portugiesen treten aus

Dass im letzten Jahr im ganzen Aargau 1’000 Leute mehr als im Vorjahr aus der Kirche ausgetreten sind, weckt auch in den Pfarreien Besorgnis. Eine Pfarreisekretärin aus dem Westaargau sagt: «In meinen 18 Jahren auf dem Pfarramt habe ich noch nie so viele Austritte erlebt.» Aufgefallen sei ihr, dass neuerdings auch Angehörige der anderssprachigen Missionen wie Italiener und Portugiesen, die traditionell stärker im Glauben verankert sind, austraten. Ein Ende der Austritte sei momentan nicht in Sicht: «Was mich erschreckt: seit dem ersten Januar 2019 sind bei uns bereits wieder 48 Mitglieder ausgetreten», sagt die Pfarreisekretärin. Sie vermutet, dass die meisten gehen, um Kirchensteuern zu sparen.

Bei Austritten leidet die Kirchgemeinde

Das Geld, welches die Ausgetretenen dank wegfallender Kirchensteuern sparen, fehlt dann aber nicht dem Papst in Rom, sondern der Kirchgemeinde vor Ort. 86 Prozent der Kirchensteuern bleiben nämlich in der eigenen Kirchgemeinde. Verliert eine Kirchgemeinde Mitglieder, spürt sie das finanziell. Die Kirchenpflege Wettingen musste aus diesem Grund bereits mehreren Vereinen das Budget kürzen, wie Vizepräsident Bernhard Lang erklärt. Doch nicht nur das Geld fehlt, sondern die Menschen an und für sich. Die Kirchen werden leerer. Grund zur Freude und Hoffnung geben sowohl in Wettingen wie auch in anderen Pfarreien die Jungwacht Blauring-Scharen. Diese freuen sich über hohe Mitgliederzahlen. In diesem Rahmen machen Buben und Mädchen positive Erfahrungen, die sie im besten Fall auch im Erwachsenenalter in der Kirche zu halten vermögen.

Christkatholiken verzeichnen keine Austritte

Im Gegensatz zu den Katholiken haben die Christkatholiken im Aargau keine Austritte zu verzeichnen. Wie der kantonale Präsident der Christkatholiken, Ernst Blust, bekanntgibt, zählten die insgesamt sieben christkatholischen Kirchgemeinden im Aargau per Ende 2018 2‘943 Mitglieder. Das sind knapp 60 Personen mehr als ein Jahr zuvor. Die reformierte Kirche im Aargau veröffentlicht die aktuellsten Mitgliederzahlen voraussichtlich im April.

www.kircheneintritt.ch

 

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