26.01.2017

Ein Ehepaar stellt die Gretchenfrage

Von Marie-Christine Andres Schürch

Das Ehepaar Boss bringt gemeinsam Bücher heraus. Christina Boss führt Interviews mit bekannten Zeitgenossen, Christian Boss formt aus den Notizen lebendige Texte. Beide lieben den Stoff, aus dem ihre Geschichten sind: das ganz normale Leben. Jedem Gesprächspartner stellen die Autoren auch die Frage nach Glauben und Ritualen. Die Antworten zeigen, wie die Kirche Menschen heute abholen könnte.

«Das schreibe ich nicht auf!», sagte Christina Boss einem ihrer Interviewpartner direkt ins Gesicht. Nein, erklärte sie, sie könne nicht verantworten, dass eine solch persönliche, während Jahren geheim gehaltene Familiensache ans Licht der Öffentlichkeit komme.

Freimütige Auskunft

Doch der Interviewpartner bestand darauf, ihr die Geschichte zu erzählen. Er sei jetzt bereit, seine Biographie offenzulegen. Auf diese Weise erfuhr Christina Boss, dass Stephan Anliker, Unternehmer und Präsident des Grasshoppers-Club Zürich sowie des Schlittschuhclubs Langenthal, gleich nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben worden war und seine leibliche Herkunft nicht kennt. Ein Umstand, der bis dahin nur engen Angehörigen bekannt war.

Ein Menschenfreund am Werk

Christinas Ehemann, Christian Boss, nahm die Gesprächsnotizen seiner Frau entgegen. Dann zog er sich an seinen Bürotisch zurück und begann die Geschichte von Stephan Anliker aufzuschreiben. Seit Herbst 2016 ist diese Geschichte nachzulesen im Buch «Der steile Weg ins Rampenlicht». Im Buch werden Personen, die uns aus den Medien bestens bekannt scheinen, von einer unbekannten Seite gezeigt. In einer lebendigen Sprache, mit einem gewissen Schalk und liebevoller Anteilnahme, zeichnet Christian Boss die Lebenswege der Porträtierten nach. Wer die Texte liest, spürt, dass ein Menschenfreund am Werk ist, der seine Protagonisten nie verurteilt, sondern manchen Bubenstreich und einige Jugendsünden mit mildem Schmunzeln beschreibt.

Schiedsrichter, Sportler und Politiker

Zusammen haben Christina und Christian Boss schon acht Bücher verfasst. Davon so genannte «Schwinger-Guides» mit Kurzporträts aller Teilnehmer von vier der letzten fünf eidgenössischen Anlässe, erarbeitet im Auftrag des Schweizer Fernsehens. Auch die anderen vier Bücher enthalten Porträts. Schiedsrichter, Sportler, Politiker: Menschen und ihre Geschichten faszinieren das Autorenpaar. Die Arbeit an einem Buch teilt sich das pensionierte Ehepaar Boss auf ungewöhnliche Weise: Sie führt die Interviews ohne ihren Mann. Später tippt er aus ihren handschriftlichen Notizen einen Text. Zwei, drei Rückfragen an die Gattin, dann ist das Porträt verfasst.

Christina bringt Menschen zum Reden

Christina verstehe es, die Geschichten aus ihren Gesprächspartnern herauszulocken, erzählt Christian Boss. Er erinnert sich an eine Schlüsselszene, die ein paar Jahre zurückliegt: «Christina musste einen Schwinger interviewen, dessen Schweigsamkeit legendär war. Sogar seine Kollegen brachten kaum einen Satz aus ihm heraus. Aber als er Christina gegenüber sass, begann er zu sprechen wie ein Buch.» Seine Frau bestätigt lachend: «Ich kam fast nicht nach mit Schreiben! Und rund um uns standen seine Kollegen und staunten nur noch.» Sie erinnert sich auch gerne an die Begegnung mit Vladimir Petkovic, dem Fussball-Nationaltrainer. Auch er galt unter Journalisten als «Knacknuss», weil er nichts Persönliches preisgab. Mit Christina Boss aber sprach er mehr als zwei Stunden frei und offen über sein Leben. «Der steile Weg ins Rampenlicht» lebt von Geschichten, die Prominente teilweise zum ersten Mal öffentlich erzählen. Christina Boss ist immer wieder erstaunt darüber, was die Leute ihr anvertrauen: «Es sind unglaubliche Geschenke!»

Negative Erlebnisse prägen fürs Leben

Die Gespräche führt Christina Boss nach einem festen Leitfaden. Wer porträtiert wird, bekommt im Voraus die Stichworte, damit er sich Gedanken machen kann. Fest zum Fragenkatalog gehört auch die Frage nach dem Glauben und festen Ritualen. «Weil wir selber jeden Abend gemeinsam beten, frage ich die Leute auch danach», erzählt Christina Boss. Die Antworten zeigen, dass die allermeisten an etwas glauben. Viele Interviewte berichten vom «Glauben an eine höhere Macht». Überraschend viele beten regelmässig, wie Christina Boss weiss. «Es ist schön, wie die Leute über ihren Glauben sprechen können», freut sie sich. Ihr Mann beobachtet, dass einige sich zwar als gläubig bezeichnen, jedoch angeben, ein Problem mit dem «göttlichen Bodenpersonal» zu haben. Die Wurzeln dieser Vorbehalte lägen häufig in negativen Erlebnissen mit der Institution Kirche. Der Komiker Peach Weber etwa wollte als Bub Pfarrer werden. Aufgrund eines schockierenden Erlebnisses in der Kirche wendete er sich jedoch von dieser ab. Ein bekannter Eishockey-Schiedsrichter wollte seine Kinder auf spezielle Art taufen lassen. Er blitzte mit seinem Wunsch beim Pfarrer ab. Darum hat auch er sich von der Kirche distanziert.

Gute Erfahrungen tragen durchs Leben

Einige Persönlichkeiten berichten auch über positive Kirchenerfahrungen. Meistens sind es Erlebnisse aus der Kindheit. Weihnachtsfeste im Kreis der Familie etwa oder das Gebet mit den Grosseltern. Stefan Werlen, heute bekannt als Pater Martin, ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln, sagt über seine Kindheit im Obergoms: «Unsere Familie war in die grosse Familie der Gemeinde und der Pfarrei eingebunden. Wie alle Leute in unserem Dorf. Die Erfahrung der Gemeinschaft trug uns und die Kirche gehörte selbstverständlich dazu.» Eine tragende Basis für ein langes, intensives Glaubensleben.

 Neues Projekt für Kleinkinder und ihre Familien

Möglichst vielen Menschen eine tragende Basis zu vermitteln, ist also eine wichtige Aufgabe der Kirche. Auf der Fachstelle Katechese-Medien der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau ist die Aufgabe erkannt. Im kommenden Sommer startet die Fachstelle das Projekt «Katechese für Kleinkinder und ihre Familien». Fachstellenleiterin Moni Egger sagt dazu: «Es gibt in den Pfarreien viele punktuelle Angebote, aber keine gemeinsame Struktur.» In enger Zusammenarbeit mit den Pfarreien soll eine übergeordnete Ebene entstehen. Bereits heute unterstützt aber die Fachstelle interessierte Eltern bei der Weitergabe des Glaubens an die Kinder: «Die Medien der Fachstelle können von allen Interessierten im Aargau ausgeliehen werden. Es gibt darunter vieles, das bei Glaubensthemen im Familienalltag helfen kann. Wir beraten gerne.», betont Moni Egger.

Katechetinnen prägen das Bild von Kirche

Beim Lesen in «Der steile Weg ins Rampenlicht» wird bewusst, dass Kirchenleute mit pädagogischem Geschick wichtige Identifikationsfiguren sein können. Moni Egger sieht deshalb eine grosse Verantwortung auf den katechetisch Tätigen lasten: «Viele Menschen haben mit der Kirche gar nichts mehr zu tun. Sie hören allenfalls in den Medien Berichte über die Kirche – meistens negative. Der einzige Kontakt besteht häufig über die Lehrpersonen der eigenen Kinder. Ihr Verhalten prägt wesentlich das Kirchenbild der Menschen, die mit ihnen zu tun haben.» Grundsätzlich sei jeder Mensch, der mit Kindern arbeite, zu Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Solidarität verpflichtet, findet Moni Egger. Sie bestreitet jedoch nicht, dass diese christlichen Werte vielleicht für katechetisch Tätige eine noch grössere Rolle spielen könnten: «Bei den Kindern und Jugendlichen ist vor allem die persönliche Beziehung zur katechetischen Kontaktperson wichtig. Stimmt diese, bleibt der Religionsunterricht positiv in Erinnerung, Kirche ist dann eher positiv konnotiert. Langweilen sich die Kinder oder fühlen sich nicht ernst genommen, wird tendenziell die ganze Kirche und Religion negativ wahrgenommen.»

Die eigene Biografie einbeziehen

Claudia Rüegsegger, die Ausbildungsleiterin der katechetischen Ausbildung «ModulAar» im Aargau, erklärt, dass die Lernenden in der katechetischen Ausbildung auf ihre Verantwortung aufmerksam gemacht werden. In der Ausbildung spielt die Reflexion des persönlichen Lernprozesses eine grosse Rolle. Claudia Rüegsegger nennt ein paar Ausbildungsthemen: «Die persönliche Biografiearbeit geschieht zum Beispiel in Form eines Lebenspanoramas im Lernportfolio, in Standortgesprächen mit den Ausbildungsleitenden, in Intervisions- und Supervisionsgruppen.» Und sie betont einen weiteren wichtigen Umstand: «Die meisten unserer Katechetinnen in der Ausbildung sind selber Mütter oder Väter und alle sind Töchter und Söhne. Deshalb spricht immer auch diese persönliche Erfahrungswelt mit.»

Mit dem Pfarrer ins Kino

Das Autorenpaar Christina und Christian Boss ist selber stabil im Glauben verankert und fühlt sich «direkt mit dem lieben Gott verbunden», wie Christina sagt. Als ehemaliger Finanzverwalter und aktueller Geschäftsführer der Pensionskasse der Reformierten Landeskirche Aargau hat Christian Boss auch in weltlicher Hinsicht mit der Kirche zu tun. Wie wichtig positiv prägende Erlebnisse mit der Kirche sind, zeigt auch ihre eigene Geschichte. Christina und Christian Boss sind beide in Meiringen aufgewachsen und haben seit der 3. Primarklasse alle Schulstufen inklusive der kaufmännischen Berufsschule in der gleichen Klasse besucht. Ihre Liebesbeziehung begann in der 7. Klasse. Als Christinas Mutter von der Beziehung erfuhr, plagte sie die Sorge, ihre 14-jährige Tochter könnte ungewollt schwanger werden. So vertraute sich die Mutter dem Dorfpfarrer an. Christian Boss erinnert sich: «Der Pfarrer zitierte mich zu sich. Er hiess mich in sein Auto einsteigen und fuhr mit mir über den Brünigpass nach Luzern. Dort schauten wir im Kino einen happigen Kriegsfilm. Dann fuhren wir zurück. Ich wartete die ganze Zeit auf seine Standpauke. Doch als wir zurück in Meiringen waren, klopfte er mir nur auf die Schulter und meinte: ‚Du machst das schon richtig.’ Das waren Worte, die mir sehr gut taten.»

47-jährige Liebesbeziehung

Nach der Lehre zog das junge Paar vom Berner Oberland in den Aargau, weil hier das unverheiratete Zusammenleben erlaubt war. Mit zwanzig heirateten Christina und Christian Boss. «Der liebe Gott schenkte uns zwei gesunde Kinder und inzwischen auch vier wunderbare Enkelkinder – wofür wir sehr dankbar sind!» Seither haben die beiden immer wieder gemeisame Projekte angepackt, während zwanzig Jahren zum Beispiel betreuten sie zusammen Fussballteams, er als Trainer, sie als Therapeutin. Zum gemeinsamen Bücherschreiben sagt Christian Boss abschliessend: «Nach 47 Ehejahren ist es für mich kein Problem mehr zu merken, was Christina mit ihren Notizen meint.»

Aktion für Horizonte-Leserinnen und –leser

Bis am 28. Februar 2017 erhalten Horizonte-Leserinnen und -leser das Buch «Der steile Weg ins Rampenlicht» für 25.- statt 36.80.- Franken. Sie können das Buch per Telefon, Fax oder E-Mail bestellen.

T 061 264 64 64 / Fax 061 264 64 86 / verlag@reinhardt.ch

Verwenden Sie für die Bestellung das Stichwort «Horizonte-Aktion». Hier gehts zum Reinhardt-Verlag

Neben dem aktuellen Buch sind im Reinhardt-Verlag folgende Bücher von Christina und Christian Boss erschienen:

«Schiedsrichter sind auch nur Menschen» – Schiedsrichter erzählen spannende Geschichten. ISBN-Nr.: 978-3-7245-2100-6, erschienen 2015.

«Goldenes Eichenlaub» – Die Geschichten der Schwinger mit 100 und mehr Kranzgewinnen. ISBN-Nr.: 978-3-7245-2116-7, erschienen 2016.

Im Laufe dieses Jahres wird, ebenfalls im Reinhardt-Verlag, das neueste Buch von Christina und Christian Boss erscheinen mit dem Titel: «Politiker und ihr anderes Ich».

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