26.11.2018

Ein Gottesdienst in der Sprache Jesu

Von Andreas C. Müller

  • Der Überlieferung nach sprach Jesus Aramäisch. Die Syrisch-Orthodoxen, die sich selbst als Kirche des Urchristentums bezeichnen, feiern ihre Gottesdienste in eben dieser Sprache.
  • Einmal im Monat am Sonntag über Mittag findet in der katholischen Kirche in Gebenstorf ein Gottesdienst der syrisch-orthodoxen Kirche statt. Horizonte hat die zweistündige Feier besucht.

 

Keine Glocke kündigt den Beginn der Messe an, es gibt keinen geordneten Einzug. Die Ministranten (ausschliesslich Knaben) nehmen rechts in der vordersten Reihe Platz, links vorne sitzt der Frauenchor. Wer wo in der Kirche zu sitzen hat, ist klar geregelt. Rechts die Männer, links die Frauen. Die Frauen tragen Kopftuch. Dass sei Tradition seit frühester Zeit, erklärt Josef Paulus, Ehrenamtlicher der Kirchgemeinde. Im Gegensatz dazu dürften die Männer jedoch keine Kopfbedeckungen tragen.

Viel Gesang und Weihrauch

Von den zehn anwesenden Ministranten tragen die meisten ein weisses Gewand, auf dessen Rücken ein rotes Kreuz prangt. Einige wenige Messdiener tragen eine schwarz bestickte Schärpe. «Jene mit dem roten Kreuz auf dem Rücken sind Messdiener in Ausbildung», erklärt Paulus Josef. Kirchgemeindepräsident Gabriel Tan, der im Gottesdienst mitzelebriert, nimmt sich der «Novizen» an und gibt bei Unsicherheiten Zeichen, wo wer stehen muss, wann was gemacht werden muss.

Während des Gottesdienstes steht die Gemeinde mehrheitlich. Abwechselnd beten die Ministranten rechts und die Frauen des Chors links. In den Wechsel von Frauen- und Männerstimmen mischt sich der Duft von Weihrauch. Gebete wechseln sich mit Gesängen ab. Priester Markos Bahnan macht den Vorbeter – meist in vorkonziliarer Manier der Gemeinde mit dem Rücken zugewandt. Der Ablauf lässt Verwandtschaft zum Aufbau der Heiligen Messe nach altem Ritus erkennen. Ansonsten: Ein ähnlicher Aufbau wie beim Römisch-Katholischen Gottesdienst.

Aramäisch: Die Muttersprache der Christen in Antiochien

Auffallend: Im Gegensatz zur heutigen katholischen Praxis pflegt die syrisch-orthodoxe Kirche einen deutlich stärkerer Hang zur rituellen Ausgestaltung der Messe. Weihrauch ist allgegenwärtig, die Gabenbereitung während der Eucharistie wird von regelmässigem Schellenklingeln und Gebetsgesang im Wechsel von Priester, Chor und Gemeinde begleitet.

Die Sprache im Gottesdienst ist aramäisch – laut Paulus Josef die Sprache, die nach der Überlieferung auch Jesus gesprochen hat. «Und es ist die Muttersprache der Syrer», wie Paulus Josef noch ergänzt. Aramäisch werde aber nur noch selten gesprochen. In Syrien und der Türkei, wo noch aramäische Christen lebten, müssten diese Arabisch oder Türkisch lernen. Die vorgetragenen liturgischen Gebete folgen im Vergleich zur melancholischen Molltonalität der lateinischen Messe deutlich stärker dem arabischen Moll.

Kirche des Urchristentums

Nur wenige Passagen, beispielsweise die Lesung, werden auf Deutsch und Aramäisch gehalten. Damit aber auch Schweizerinnen und Schweizer dem Gottesdienst folgen können, wird via Beamer stets die deutsche Übersetzung sowie auch der Text in aramäischer Schrift und aramäischer Phonetik an die Wand projiziert.

Tradition wird grossgeschrieben. Im Laufes des Gottesdienstes wird den Heiligen, Bischöfen und Patriarchen bis in die früheste Zeit nach Christi Tod gedacht. Die Sprache ist oft metaphorisch und blumig: Jemand gilt als «Mund der Weisheit» oder «Säule der Kirche».

Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien nimmt für sich in Anspruch, zu Beginn des Christentums gegründet worden zu sein. Gerne beruft sich die Kirche auf eine Textstelle in der Apostelgeschichte, in der es heisst: «Die Jünger Jesu wurden zum ersten Mal in Antiochien Christen genannt (Apg. 11, 26)».

In der Heimat verfolgt

Die Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche haben keine Heimat mehr. Ihre Wurzeln liegen in Mesopotamien (im Gebiet des heutigen Iraks, Irans, Syrien und Türkei) und der Südtürkei. Dort werden sie als Minderheit jedoch nicht geduldet, ja sogar verfolgt. Weltweit leben heute etwa 400 000 syrisch-orthodoxe Christen in der Diaspora. Sie sind Glaubensflüchtlinge, die ihrem Glauben und ihren Wurzeln treu geblieben sind, wie auch der Gottesdienst in Gebenstorf zeigt.

Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien zählt weltweit ungefähr drei Millionen Mitglieder. Die Mehrheit von ihnen lebt in Indien, der Rest verteilt sich über die ganze Welt. Etwa 10 000 syrisch-orthodoxe Personen leben in der Schweiz und in Österreich.

Innerschweizer Kloster als Hauptsitz

Hauptsitz der syrisch-orthodoxen Kirche in der Schweiz ist ein Kloster in Arth-Goldau. Etwa vier bis fünf Gottesdienste finden jeden Monat an verschiedenen Ort in der ganzen Schweiz statt. So auch regelmässig in Suhr und Gebenstorf im Aargau.

Entgegen der römisch-katholischen Tradition gehen die syrisch-orthodoxen Christen erst nach Ende des Gottesdienstes, also nach dem Segen und der Entlassung zur Kommunion. Und es sind längst nicht alle. Die meisten kommen nur nach vorne und küssen die Heilige Schrift. «Bei jedem Gottesdienst die Kommunion zu empfangen, hat bei den syrisch-orthodoxen Christen nicht so einen hohen Stellenwert», erklärt Paulus Josef. Einmal im Jahr sei die Kommunion aber Pflicht: An Gründonnnerstag.

Nach einer zweistündigen Feier über Mittag knurren die Mägen. Am Kirchenausgang halten Frewillige Getränke und Sandwiches bereit. Hungrig muss niemand nach Hause.

 

Weihnachten einmal anders feiern:
Die nächsten Gottesdiente der syrisch-orthodoxen Kirche in Gebenstorf und Suhr:

23. Dezember, 12 Uhr in Suhr

25. Dezember, 11.45 Uhr in Gebenstorf

Hier finde Sie einen Ausschnitt aus einem aramäischen Gottesdienst in der Schweiz

 

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