20.06.2018

Ein Katholik in der Calvinstadt

Von Anne Burgmer

  • Der Besuch von Papst Franzikus beim Ökumenischen Rat der Kirchen ist ein Zeichen für die Offenheit des neuzeitlichen Denkens, sagt Markus Ries, Kirchenhistoriker an der Universität Luzern.
  • Als Beispiel für vollkommen anderes Denken kann die Kleiderkette C&A dienen.
  • Franziskus Besuch ist ein Zeichen für die Offenheit des ökumenischen Austausches.

 

Ein Papst in der Calvinstadt – und sofort ist die Frage da: Wie wäre es eigentlich einem Papst ergangen, der zu Zeiten Johannes Calvins nach Genf gekommen wäre?  Der Reformator lebte und wirkte von 1536 bis 1538 und von 1541 bis zu seinem Tod im Jahr 1564 in Genf. Während dieser Zeit sah die römisch-katholische Kirche fünf Päpste.

Andere Denkweise

Nachfrage bei Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern. Der sagt zweierlei. Zunächst, dass es wohl eine unglaubliche Provokation dargestellt hätte, wäre ein Papst zu Calvins Zeiten nach Genf gekommen. Als Katholik wäre er in den Augen der reformierten Gläubigen ein Irrgläubiger gewesen und nicht empfangen worden, so Markus Ries. Als zweites gibt der Kirchengeschichtler einen interessanten Hinweis: «Dass Papst Franziskus im Jahr 2018 nach Genf fahren und den Ökumenischen Weltrat der Kirchen besuchen kann, ist ein Abbild unserer Weltanschauung, zu der religiöse Toleranz und konfessioneller Respekt ganz wesentlich dazugehören». Man müsse versuchen, sich in die vormoderne Denkwelt zu versetzen, und sich bewusst machen, dass es diese Art Toleranz schlicht nicht gab. Gott zu beleidigen, habe für die Zeit Calvins geheissen, das zu beleidigen, was die Gesellschaft im Inneren zusammenhält – das sei nicht tolerierbar gewesen; weder für die eine, wie die andere Konfession. Auch die Tatsache, dass wir das eingangs erwähnte Gedankenspiel überlegen, sei Ausdruck unserer Denkweise, der die Toleranz innewohnt – eine Toleranz, die in über fünfhundert Jahren durch blutige Konflikte erkämpft wurde.

Zum Beispiel: C&A

Um ansatzweise zu verstehen, wie es mit dem Denken gewesen sein muss, hilft ein (hinkendes) Beispiel. Ein Blick auf das 1841 gegründete Kleider- und Modeunternehmen C&A, welches auch in der Schweiz Ableger hat, zeigt, wie Grenzziehung aufgrund der Überzeugung funktionieren kann. Hinter dem Unternehmen steht der extrem traditionsbewusste Familienclan Brenninkmeijer, der sich das Motto «Eintracht macht stark» auf die Fahnen geschrieben hat und strenge Regeln sowohl innerhalb der Familie, als auch im Unternehmen pflegt. Praktisch jeder Mitarbeiter ist katholisch und gemäss Regelwerk kann nur derjenige Teil des entscheidungsbefugten Gesellschafterausschuss‘ sein, der katholisch ist, die niederländische Staatsbürgerschaft besitzt und sich als Teil der über 1000 Köpfe zählenden Familie über mehrere Jahre im Unternehmen von unten hochgearbeitet hat. Sogar der Nachname muss bis auf den letzten Buchstaben stimmen: Brenninkmeijer. Der Familienclan ist, salopp gesprochen, eine Art «Überzeugungsblase»; wer der Gesinnung nicht entspricht, hat in diesem Clan und dem Unternehmen kaum einen Platz.

Hart erkämpfter Religionsfrieden

Einerseits stiftet feste Überzeugung Identität, andererseits führt sie dazu, dass Unternehmen, Gruppierungen und Nationen starr und unflexibel werden und sich Widerstand gegen das Bestehende regt. Es kommt zur Reformation: So unterschiedlich Luther, Zwingli und Calvin waren – sie waren der Überzeugung, dass die römisch-katholische Kirche sich in ihrer Struktur und Theologie zu weit vom biblischen Ursprung entfernt hatte und reformiert werden musste. Die Folge der neuen Theologie und ihrer Umsetzung waren blutige Kriege – der letzte auf Schweizer Boden war der Sonderbundskrieg, in dem sich konservativ regierte katholische und liberal regierte, mehrheitlich reformierte Kantone gegenüberstanden. Die Auseinandersetzung mündete schliesslich in die Bundesverfassung von 1848. Nicht umsonst steht in der Verfassung in Artikel 72 Absatz 2, dass «Bund und Kantone [] im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen [können] zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften».

Fragile Balance

Wenn Papst Franziskus am 21. Juni den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf zu dessen 70 jährigen Bestehen besucht, ist das deutliches Zeichen dafür, wie gut der Austausch zwischen den verschiedenen Konfessionen heute auch weltweit funktioniert. Gleichzeitig zeugen die aktuellen Diskussionen um religiöse und konfessionelle Zeichen in Amtsgebäuden oder das Argument der «christlichen Werte» in Abgrenzung zum Islam, wie fragil die Balance des religiösen Friedens nach wie vor ist. Die neuzeitliche Denkweise, und das zeigt auch der Besuch von Franziskus in Genf, ermöglicht es allerdings, dass derartige Auseinandersetzungen mit anderen Überzeugungen im differenzierten Gespräch und nicht durch (verbale) Tätlichkeiten geführt werden können.

 

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