02.02.2015

Ein klarer Kontrast

Von Marie-Christine Andres Schürch

Kurz nach Ostern macht sich der Sakristan die Finger schmutzig. Mit beiden Händen wischt er die Überreste eines Feuers zusammen und lässt die Asche in einen Topf rieseln. Dann trägt er das Gefäss in die Sakristei und schliesst es sorgfältig ein – 325 Tage lang.

Erst am Aschermittwoch holen Pfarrer und Gemeindeleiterinnen die aufbewahrte Asche hervor. Im Gottesdienst an Aschermittwoch streuen sie den Gläubigen als Symbol der Busse und Reinigung ein Aschenkreuz auf den Kopf, begleitet von einem der folgenden Worte: 
Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium. (Mk 1,15)
 Bedenke, Mensch, dass du Staub bist 
und wieder zum Staub zurückkehren wirst. (Gen 3,19)

Kontrasterfahrung
Der Aschermittwoch wird von vielen Fasnächtlern als Spielverderber erfahren, oder gleich ganz übersehen. Die Fasnacht hat sich verselbständigt – und verliert dabei wohl ihren genuinen Reiz: den spannenden Kontrast zu etwas anderem. Dabei wären Kontrasterfahrungen eigentlich wieder hip. Scharfe Übergänge werden uns allenthalben zugemutet: der rasante Cut in der zeitgenössischen Kino- und Fernsehregie, die kalte Dusche auf die heisse Sauna oder der Weihnachtstrip auf die tropische Ferieninsel. Sicher ist: der Mensch braucht Abwechslung und vor allem Zeiten und Orte, die dem Alltäglichen enthoben sind. Er braucht die Spannung zwischen Hochzeiten des Lebens und dem Gewöhnlichen. Er braucht aber auch die Zeit und den Ort des Rückzugs vor der ständigen Aktivität, Zeit und Ort der Vorbereitung auf besonders herausragende Ereignisse. Der Aschermittwoch als Beginn der österlichen Busszeit bildet einen solchen scharfen Schnitt, der plötzlich vom leichten lichten Leben trennt.

Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn
Nichts hat somit verstanden, wer am Aschermittwoch predigt oder in sich hineinschmollt: «Irgendwann ist Schluss mit lustig.» Darum geht es nicht. Ein differenzierteres Verständnis kommt uns im berühmten Ausspruch der grossen Theresia von Avila entgegen, die sicher Kohelet im Kopf hat, wenn sie sagt: «Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten.» Denn sie verstand das Gepräge der Zeiten von ihrem Zielpunkt her richtig.

Aschekreuz als Hilfe
Der Aschermittwoch macht durch einen scharfen Schnitt auf zwei aufeinander folgende Zeiten im Kirchenjahr aufmerksam. Er setzt mit dem archaischen Aschenritus einen klaren Kontrast zur bisherigen Zeit im Jahreskreis – vielerorts eben durch die Fasnacht geprägt – und eröffnet die 40-tägige österliche Busszeit: Zeit der Umkehr und Einkehr, der Reue und Busse. Sie soll uns auf das grösste Fest des Jahreskreises vorbereiten: Ostern. Der Ritus des Aschenkreuzes ist Hilfe, diesen Wechsel zu vollziehen.

Erneuerungskraft des Feuers
In vielen Aargauer Pfarreien finden am Abend des Aschermittwochs Gottesdienste statt, in denen die gesegnete Asche ausgeteilt wird. Wie ursprünglich vorgesehen, hält sich manche Pfarrei an den Brauch, zur Herstellung der Asche die Palmzweige im Osterfeuer zu verbrennen. Das bedeutendste Feuer des Kirchenjahres vernichtet zwar die Palmzweige, verwandelt sie aber auch in etwas Neues. In der Pfarrei St. Verena in Bad Zurzach wird zusammen mit den Palmzweigen auch die ölgetränkte Watte, die nach der Salbung eines Täuflings übrig bleibt, ins Osterfeuer gelegt. Im sorgsamen und bewussten Umgang mit den geweihten Zweigen und dem gesegnetem Öl kommt der innere Zusammenhang zwischen der christlichen Deutung von Tod und Leben symbolhaft zum Ausdruck.

In Sack und Asche gehen
Christen, welche Kapitalsünden zu büssen hatten, mussten dies in der frühen Kirche öffentlich tun. Zu Beginn der Fastenzeit legten sie ein Bussgewand an, bekamen Asche aufs Haupt gestreut und taten Busse bis zur Osternacht, in der sie wieder in die sakramentale Gemeinschaft der Kirche eingegliedert wurden. Die Symbolik der Asche als Bild der Vergänglichkeit und Zeichen der Trauer und der Busse ist seit alttestamentlicher Zeit belegt (2 Sam 13,19; Ps 102,10; Jes 58,5; u.a.) und war auch ausserhalb Israels Brauch (Ägypter, Araber, Griechen). Die junge Kirche kannte also das Bild (Mt 11,21; Lk 10,13) und übernahm diese ausdrucksvolle Gebärde selbstverständlich. Als die öffentliche Busse im 10. Jahrhundert ausser Gebrauch kam, übertrug sich die Asche-Symbolik auf alle Gläubigen, die den Ritus teilweise schon früher aus Solidarität mit den Büssern an sich vollziehen liessen. Dieser Brauch wurde bei der liturgischen Neuordnung behalten.

Zeichen der Zeit und der Umkehr
Der schlichte Ritus des Aschestreuens drückt zeichenhaft aus, was die Texte der Liturgie dieses Tages in Erinnerung rufen und was die Grundhaltung der ganzen österlichen Busszeit sein soll:
«Lasst euch mit Gott versöhnen.» (2 Kor 5,20)
«Kehrt um zum Herrn, eurem Gott!
Denn er ist gnädig und barmherzig,
langmütig und reich an Güte.» (Joël 2,13)
Ja, «mach mich wieder froh mit deinem Heil… Herr,
öffne meine Lippen, und mein Mund wird deinen Ruhm verkünden.» (Ps 51,14.17)

Zwei Fast- und Abstinenztage im Jahr
Heute kennt die kirchliche Ordnung im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten nur noch zwei gebotene Fast- und Abstinenztage im Jahr. Neben dem Karfreitag, dem Gedächtnistag des Leidens und Sterbens unseres Herrn, sind die Christen am Aschermittwoch gehalten, Askese zu üben: der Eintritt in die österliche Busszeit soll sich ins Bewusstsein einschreiben, soll sich «inkarnieren». Der Kontrast zwischen fröhlicher Ausgelassenheit der Fasnacht und der nun folgenden Fastenzeit tut gut und hilft uns, beide Aspekte als sich ergänzende Facetten des Menschseins zu integrieren, das von Ostern her seine wahre Bestimmung erfährt.

Der österliche Mensch
Es zeigt sich also auch hier: Das Pascha-Mysterium wirft Licht auf das, was Christen glauben, tun und lassen. Erst von Ostern her wird die Vorbereitungszeit und damit letztlich auch die Zeit der fröhlichen Ausgelassenheit davor richtig verstanden: Das Fest der Auferstehung unseres Herrn, der Leiden und Tod überwunden hat, gibt der Fastenzeit ihren Sinn und ruft uns die Hinfälligkeit des irdischen Lebens in Erinnerung. Die Erkenntnis des Gerettetseins unseres vergänglichen irdischen Lebens ist es aber auch, die uns in froher Gelassenheit Feste feiern lässt.    Liturgisches Institut / mca

 

 

 

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