31.12.2020

Horizonte wagt am Beispiel Gastrobranche zum Jahresende Rück- und Ausblicke
Ein sorgenvolles Jahr geht zu Ende

Von Marie-Christine Andres und Andreas Müller

  • Lange Wochen ohne Gottesdienste, Rekordhilfegesuche bei der Caritas: Die Corona-Pandemie hat das Leben im 2020 gehörig auf den Kopf gestellt. Es war nicht einfach, immer hoffnungsvoll zu bleiben.
  • Auch die Gastrobranche hat die sanitäre Krise schwer getroffen, wie Horizonte schon im Frühjahr auf Tour mit Wirteseelsorgerin Corinne Dobler erfahren musste. Zwei aktuelle Beispiele zeigen, wie nahe Resignation und Hoffnung beieinander liegen.

«Viele Betriebe werden nicht überleben»

Bruno Lustenberger, Präsident von GastroAargau, schaut sorgenvoll ins neue Jahr

Bruno Lustenberger, Präsident GastroAargau. | zvg

Welche Folgen dürfte der zweite Beizenlockdown für die Gastrobranche im Aargau haben?
Bruno Lustenberger
: Viele Betriebe werden nicht überleben , da sie vor dem zweiten Lockdown bereits ihre Ersparnisse aufgebraucht hatten.

Wen trifft es vor allem, und wer hat die besten Karten, eine solche Krise zu überstehen?
Es trifft alle, am meisten die Betriebe in der Stadt, da diese grosse Mieten haben und keine Mietzinsreduktion erhalten. Unverschuldete Betriebe, welche vom Betriebsinhaber selber geführt werden, haben wohl die grössten Chancen. Es bleibt die Frage, wann wieder auf Normalbetrieb umgestellt werden kann und ob die Motivation der Wirte dann auch noch vorhanden ist, nachdem man einen Grossteil der Ersparnisse verloren hat.

Viele sprechen davon, dass es nach Überwindung der Pandemie eine neue Normalität gibt. Wie wird sich diese für die Wirte präsentieren?
Wir wissen beispielsweise nicht, wie sich die Firmen und die Industrie in Zukunft organisieren werden. Gibt es wieder Seminare oder bleiben die Videokonferenzen? Braucht es den Geschäftstourismus noch? Fragen über Fragen, welche erst in ein paar Monaten beantwortet werden können.

Mitte Dezember verschickte Andreas Fetscher einen Brief an seine Gäste. Der Wirt des Erlebniswirtshauses Rütihof, oberhalb von Gränichen, informierte darin über die temporäre Schliessung seines Betriebs bis März 2021. Er benannte gegenüber der Aargauer Zeitung klar die schwierige Situation, in der sich Wirte und Personal befinden.

Zeigen, dass Bundesmassnahmen Konsequenzen haben

Der Entscheid, den Betrieb temporär zu schliessen, hat weitere Konsequenzen: Der Waldseilgarten wird nicht umgebaut, sondern definitiv geschlossen. Von den rund 40 Tieren gehen drei Pferde ins Seniorenheim, eines zurück zum Herkunftsstall. Die 32 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.

Nach dem Schliessungsentscheid hätte er viele Reaktionen bekommen, so Andreas Fetscher gegenüber Horizonte. Die Gäste hätten Verständnis für den Entscheid bekundet und auch konkrete Hilfsangebote gemacht, sagt Andreas Fetscher. Leute hätten angeboten, Tierpatenschaften zu übernehmen oder gefragt: «Braucht ihr Geld?» Schulden machen will Andreas Fetscher aber auf keinen Fall. Der Entscheid zur Schliessung soll auch aufzeigen, dass die vom Bund beschlossenen Massnahmen ganz konkrete Auswirkungen auf die Betriebe haben. «Man liest selten über konkrete Fälle, häufig äussern sich die Branchenverbände.»

«Es trifft alle gleichermassen hart»

Schon nach der Wiedereröffnung der Beizen nach dem ersten Lockdown hatten die Wirte zu kämpfen. Horizonte hatte sich damals mit Gastroseelsorgerin Corinne Dobler im Kanton umgesehen. «Wer schon 20 bis 30 Jahre im Geschäft ist, hat Erfahrung und weiss Krisen zu meistern», erklärte Corinne Dobler damals. «Aber jene, die noch nicht so lang im Geschäft sind, die trifft es schon hart, denn schon vor der Krise waren 65 Prozent der Aargauer Gastrobetriebe nicht rentabel.»

Corinne Dobler, ökumenische Gastroseelsorgerin im Aargau. | © Roger Wehrli

Mittlerweile zeichnet der Aargauer Branchenverbandspräsident Bruno Lustenberger ein noch düstereres Bild: «Es trifft alle gleichermassen hart», so sein Schluss. Seit Monaten kämpfen er und sein Verband gegen die Krise: «Wir orientieren unsere Mitglieder darüber, was zu tun ist. Wir machen das wöchentlich bis täglich mit Newslettern. Darin zeigen wir auf, wie unsere Wirte zu Geld kommen können.» Aber vielfach kann Geld allein nicht helfen. «Mit Corrine Dobler haben wir aber die beste Seelsorgerin, welche wir jederzeit anrufen können, wenn wir nicht mehr weiterhelfen können», so Bruno Lustenberger. «Sie hilft dort, wo es nicht mehr um Geld geht, und dafür sind wir und unsere 1’200 Mitglieder sehr dankbar.»

Aufbruch in der Krise

Es gibt aber auch solche, die gerade in der Krise den Aufbruch wagen. Horizonte erreichte die Küchenchefin der «Burestube» in Buchs kurz vor Weihnachten im Restaurant. «Ich mache den Finish, räume auf und putze, dann heisst es Schlüssel drehen», erklärt Rita Camenzind.

Rita Camenzind, Küchenchefin in der «Burestube». | zvg

Knapp einen Monat war die «Burestube» nach der Wiedereröffnung Ende November in Betrieb, bevor der jüngste Teillockdown das Team ausbremste. Die Küchenchefin verhehlt ihre Enttäuschung nicht: «Wir hatten einen guten Start – und jetzt diese Zwangspause.» Wie viele andere Gastronomen verstehe sie nicht, warum auf den Restaurants herumgehackt werde. Viele hätten einiges Geld in Schutzmassnahmen investiert, die gut funktioniert hätten. Das Burestube-Team sei aber weiterhin positiv eingestellt und hoffe, dass der Betrieb am 22. Januar weitergehen könne. Bis dahin werde sie im «Kastanienbaum», dem zweiten Restaurant von Wirt Andy Zaugg, beim Take-away mithelfen: «So fällt mir die Decke nicht ganz auf den Kopf.»

«Es dauert Jahre bis zurück zur Normalität»

Auch Andreas Fetscher will im neuen Jahren wieder anpacken: «Ich arbeite weiter, zum Beispiel steht der Frühlingsputz bei den Gästezimmern an. Langweilig wird mir bestimmt nicht.»

Auf die Zukunft angesprochen, äussert sich Branchenpräsident Bruno Lustenberger vorsichtig: «Es wird leider noch Jahre dauern, bis unsere Betriebe wieder den Normalalltag leben können.»

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