17.04.2015

Ein syrisches Schicksal

Von Marie-Christine Andres Schürch

Vier Jahre nach den ersten Protesten gegen das Assad-Regime ist die Zahl der syrischen Flüchtlinge auf fast vier Millionen angewachsen. Wie schwierig ihre Lage ist, zeigt das Beispiel einer Mutter von drei Kindern. Sie lebt in Jordanien und wird von Caritas unterstützt.
Unser Begleiter von der jordanischen Caritas, der sich seit 20 Jahren für Flüchtlinge engagiert, bereitet uns auf den Besuch vor: «Najwa Al Hamad (Namen aufgrund des Persönlichkeitsschutzes geändert) hat ein unglaublich schweres Schicksal. Als ich sie das erste Mal traf, kamen mir die Tränen.» Umso überraschter sind wir darüber, wie herzlich die 32-jährige Mutter uns begrüsst. Ihr Blick drückt Kraft und Zuversicht aus, doch bald wird klar, dass ihr Schicksal wenig Anlass dazu gibt. Der Junge, den sie liebevoll auf den Armen trägt, ist ihr Erstgeborener. Wieso Souad mit elf nur so gross ist wie ein Zweijähriger, weiss seine Mutter nicht. Sie weiss nur, dass er ständig Atemnot hat, weder gehen noch sprechen kann und offensichtlich unter Schmerzen leidet. Legt sie ihn für kurze Zeit hin, beginnt er zu weinen.

Keine Privatsphäre mehr
Najwa stammt aus Deraa, jene Stadt nahe der jordanischen Grenze, in der vor vier Jahren die ersten Proteste gegen das syrische Regime aufflammten. Lange ist sie trotz der Repressionen geblieben, aber dann zerstörten Mörser ihr Haus und es blieb ihr keine andere Wahl, als ins benachbarte Jordanien zu flüchten. Sie landete im Lager Zaatari, das 80 000 Flüchtlinge beherbergt. «Hier konnte ich mit meinem kranken Kind nicht bleiben, es gibt keine Privatsphäre und schlechte Hygiene», erzählt sie. Wer eine Chance hat, dass Lager zu verlassen, nutzt sie. Heute wohnt Najwa zusammen mit ihren beiden Schwestern in einem Haus mit drei Zimmern und einer Küche. 18 Personen leben unter einem Dach. Die drei Schwestern sind auf sich gestellt. Ein Ehemann ist umgekommen, ein anderer ist an einer schweren Hepatitis erkrankt. «Mein Mann ist in Syrien geblieben. Ich weiss nicht, ob er noch lebt. Vor drei Monaten habe ich mit ihm telefoniert. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht frei sprechen konnte», sagt sie mit Tränen in den Augen. Weiter geht sie nicht auf das Thema ein, doch der Hintergrund lässt sich leicht erahnen. In fast allen Flüchtlingsfamilien, die wir treffen, wurden der Vater oder andere Familienmitglieder in ihrer Heimat im Gefängnis gefoltert. Najwas zehnjähriger Sohn Hamza besucht einen Einschulungskurs der Caritas, seine neunjährige Schwester Bushra möchte gerne in die öffentliche Schule. Ein nächster Einschreibetermin ist aber erst im Sommer. Bis dahin muss sie zuhause bleiben. «Mein Sohn macht mir Sorgen. Seit wir fliehen mussten, schlägt er seine Schwester und andere Kinder ohne Grund. Ich kann nichts dagegen tun», erzählt Najwa besorgt.

Immer weniger Hilfe
Die internationale Gemeinschaft beginnt, die Unterstützung für die 620 000 registrierten Flüchtlinge zu kürzen. So hat das Welternährungsprogramm den Betrag der Gutscheine, mit denen Flüchtlinge Lebensmittel kaufen können, halbiert. Dem UNO-Hilfswerk geht das Geld aus. Auch der jordanische Staat wird restriktiver. Die Zahl der Flüchtlinge beträgt 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, und ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. So ist die Gesundheitsversorgung seit letztem November nicht mehr kostenlos. Der Mindestbeitrag von 50 jordanischen Dinar pro Behandlung übersteigt die Möglichkeiten der Familien, und sie verzichten auf den Gang zum Arzt. Die neu eingeführte Grundgebühr beim Arzt ist auch für Najwa eine Katastrophe, denn Souad braucht permanente medizinische Betreuung: «Wir haben gar nichts. Wenn der Konflikt vorbei ist, möchte ich nach Syrien zurück», sagt Najwa. Aber alles deutet darauf hin, dass dies noch sehr lange dauern könnte. 

Rückführungen drohen
Das Arbeitsverbot wird strenger durchgesetzt. Wer dagegen verstösst, muss mit einer Rückweisung nach Syrien rechnen. «Der Druck auf die Flüchtlinge wird immer grösser. Wir erhalten täglich mehr Anfragen von Familien, die dringend Hilfe benötigen», sagt Wael Suleiman, Direktor der Caritas Jordanien. Er wurde im letzten Sommer für seine Verdienste in Luzern mit dem Prix Caritas ausgezeichnet. Caritas Jordanien unterstützte in den vergangenen Jahren rund eine halbe Million Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Ihre Programme führen sie gemeinsam mit Partnerorganisationen wie der Caritas Schweiz durch. «Wir sind äusserst dankbar für die grosszügige Unterstützung, die wir aus der Schweiz erhalten», sagt Wael Zuleimen.   Stefan Gribi, Caritas

 

Spendenaufruf
Caritas Schweiz unterstützt syrische Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und im Irak mit Lebensmittelgutscheinen, Mietzuschüssen und Winterhilfe. In Syrien finanziert Caritas Schweiz zudem Suppenküchen. Um diese Hilfe weiterführen zu können, ruft Caritas Schweiz zum Spenden auf. Direkt online spenden: www.caritas.ch/syrienspende

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