19.08.2013

Ein völlig neues Bild

Von Horizonte Aargau

Sie machen gerade die Matura, sind Bäckerin, Krankenpflegerin oder medizinische Praxisassistentin, und sie stellen sich Fragen zum Klosterleben: «Wie lebt und denkt eine Nonne?», «Gott erfahren als Klosterfrau» oder «Das Leben hinter den Ingenbohler Klostermauern». So lauten einige der Titel, zu denen junge Frauen ihre Matura- oder Projektarbeit der Berufsmatura geschrieben haben. Ihnen gemeinsam ist die Faszination für ein Leben, das anders verläuft, als was sie kennen.

«Viele sind fasziniert von etwas Unbekanntem, Geheimnisvollem», sagt Priorin Irene vom Kloster Fahr AG. Die jungen Frauen wüssten in der Regel wenig über das Klosterleben, hätten manchmal nicht einmal einen christlichen Hintergrund. «Letztlich geht es wohl um die Frage nach dem Sinn des Lebens», ergänzt die Leiterin des Benediktinerinnenklosters Fahr. Auch Schwester Jacqueline, welche die jungen Frauen im Kloster Ingenbohl SZ begleitet, bestätigt die Frage nach der Sinnsuche: «Wer bin ich? Wie leben diese Frauen» – Fragen, die junge Menschen allgemein hätten. Aber auch die Suche nach einer Gottesbeziehung oder nach konkreter Spiritualität lasse manche an der Klosterpforte anklopfen. «Wir haben beide gemerkt, dass wir nicht viel wissen vom Klosterleben», erzählt Julia Gasser. Die junge Frau aus Ibach bei Schwyz hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Antonia Immoos aus Morschach ihre Projektarbeit für die Berufsmaturitätsschule über das Leben im Kloster Ingenbohl verfasst. «Wie ist das so im Kloster? Was machen Nonnen den ganzen Tag? Beten sie nur oder haben sie noch andere Aufgaben?» – «Im Kopf hatten wir das Bild einer Klosterfrau, die tagein tagaus betet. Wir waren ahnungslos und hatten ziemlich falsche Vorstellungen!», ergänzt Antonia Immoos.

Vorurteile beseitigen
«Das Gespräch über unsere Lebensform ist eines der Themen, das wir diskutieren in diesen Tagen», erzählt die Ingenbohler Schwester Jacqueline, die die beiden Berufsmaturandinnen begleitet hat. «Immer erfahren wir, dass das Klosterleben für die jungen Frauen Neuland ist. Grundsätzlich anders, als sie es sich vorstellen. Die jungen Frauen gehen weg mit einem neuen Klosterbild.» «Unser Bild einer Klosterfrau hat sich sehr verändert», fasst Julia Gasser ihre Erfahrung denn auch zusammen. «Es sind aktive, jetzt schon etwas ältere Frauen, die an der ganzen Welt interessiert sind. Es hat mich sehr berührt, dass sie für andere beten.» – «Zwei Sachen haben mich sehr beeindruckt», ergänzt Antonia Immoos. «Zum einen der Gemeinschaftsgeist, den sie haben. Wir haben mit den Schwestern die Vorpremiere zum Film über die Pflegefachfrau Schwester Liliane Juchli gesehen. Alle waren stolz auf diese Mitschwester. Da war ein richtiger Familiengeist spürbar. Und als zweites die Zufriedenheit und Überzeugtheit, dass sie ihren Lebensweg gefunden haben und dass diese Entscheidung richtig war. Das erlebt man bei Privatpersonen nicht so.» Die junge Bäckerin mit Traumberuf Hebamme findet klare Worte für ihren Eindruck, man spürt, dass die drei Tage im Kloster nachhaltig für sie gewesen sind.

In die Stille führen
Die Dauer der Aufenthalte ist unterschiedlich: Im Kloster Fahr werde oft für eine bis drei Wochen angefragt, aus Gründen der Kapazität können die Frauen jedoch nur zwei Tage bleiben. «Wir müssten jemanden freistellen, der die Frauen begrüsst und sie durch das Kloster begleitet. Ein solches Programm anzubieten, wäre geradezu eine Nische», erläutert Priorin Irene. Ähnliches berichtet Schwester Katja aus dem Kloster Baldegg: «Bei uns können sie in der Regel eine Nacht bleiben. Manche gehen von der Vorstellung aus, im Kloster hätte man immer Zeit, aber ich muss mir die Zeit frei machen.» Ihr ist es wichtig, die Schülerinnen in eine gewisse Tiefe zu führen. «Ich möchte, dass sie am Gebet teilnehmen oder dass sie die Erfahrung von Stille machen können. Das ist anspruchsvoll.» Erfahrungen von Stille und Gebet haben auch Antonia Immoos und Julia Gasser gemacht: «Im Vespergebet war viel Gesang, recht meditativ. Ich habe das zum ersten Mal erlebt. Durch den Gesang kommt eine sehr spezielle Stimmung auf», sagt Antonia Immoos sichtlich berührt. «Die Meditation war cool!», fährt Julia Gasser fort, die als medizinische Praxisassistentin tätig ist. «Einfach so mal eine Viertelstunde am Morgen ruhig sein, das ist ein schöner Einstieg in den Tag. Die Schwestern machen das normalerweise eine halbe Stunde, aber wegen uns haben sie es auf eine Viertelstunde gekürzt.» Zu Recht, finden beide lachend: «Ich weiss nicht, wann ich zuletzt eine Viertelstunde still gesessen bin und mich auf mich selber konzentriert habe: Ohne Handy, ohne Laptop um mich herum, sondern einfach auf mein Inneres versucht habe zu hören», meint Antonia Immoos freimütig. Es ist eine der Erfahrungen, die die beiden Frauen auch über die Tage im Kloster Ingenbohl hinaus mitnehmen: «Man muss nicht immer auf der Stelle erreichbar sein. Wenn es wirklich wichtig ist, finden einen die Leute auch auf anderem Weg», sinniert Antonia Immoos.

Klostereintritt kein Thema
Rund acht Anfragen erhält das Kloster Ingenbohl jährlich von jungen Frauen, die eine Abschlussarbeit im Kloster schreiben möchten. Weil Ingenbohl Frauen die Möglichkeit anbietet, eine Auszeit im Kloster zu verbringen, sind Ressourcen und Infrastruktur für eine solche Begleitung bereits vorhanden. Für eine Abschlussarbeit bleiben sie in der Regel eine Woche. Im Kloster Fahr sind es ähnlich viele Anfragen, in Baldegg etwa vier jährlich. Interesse, selber ins Kloster einzutreten, schliesst die Baldegger Schwester Katja weitgehend aus: «Die Frauen sind siebzehn, achtzehn Jahre alt, sie haben ihre Berufsausbildung noch vor sich. Fragen der Lebensentscheidung sind noch weit weg.» Mit einem klaren «Nein» bestätigen Antonia Immoos und Julia Gasser, dass ein eigener Klostereintritt für sie kein Thema ist. «Ich bewundere, dass Menschen ihren Glauben so leben, aber ich selber habe noch keinen Bezug dazu gefunden.» Sie möchten – wie viele ihrer Altersgenossen – ihre Ausbildung beenden, reisen, «das Leben geniessen» und irgendwann eine Familie haben. Dennoch finden sie übereinstimmend, die Begegnung mit den Schwestern und ihrer Lebensform habe sich gelohnt: «Ich bin offener geworden, auch gegenüber anderen Leuten. Mir ist bewusst geworden, dass man sich Zeit nehmen muss, Menschen kennenzulernen», sagt Julia Gasser. Ihre Kollegin ergänzt: «Die Tage im Kloster haben mir gezeigt, dass man Vorurteile hinterfragen muss. So habe ich beispielsweise gemerkt, dass bei den Schwestern oft nicht das Gebet im Zentrum steht, sondern der Mensch. Wenn man sich mit den eigenen festen Bildern auseinandersetzt, kommt man zu ganz neuen Erkenntnissen. Das ist eine wertvolle Erfahrung.»

Sylvia Stam, Kipa

 

 

Das Kloster Fahr hat seine Bäuerinnenschule geschlossen – Bieten Kurzaufenthalte für Frauen ein neues, sinnvolles Betätigungsfeld im Kontakt mit der Welt ausserhalb des Klosters? Schreiben Sie uns Ihre Meinung.

 

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