09.01.2023

Das Ikonenmuseum Schweiz in Lenzburg
Eine Begegnung auf Augenhöhe

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Im Untergeschoss des Museum Burghalde in Lenzburg befindet sich das Ikonenmuseum Schweiz.
  • Wechselnde Pop-up- und Begleitausstellungen bringen die jahrhundertealten Heiligenbilder in Verbindung mit zeitgenössischer Kunst.
  • So belebt das Museum die Sammlung immer wieder neu und macht den Zugang zu den orthodoxen Ikonen überraschend leicht.


Das Spannende passiert stets im Dazwischen, im Übergang zwischen zwei Zuständen. So auch im Museum Burghalde in Lenzburg. Dort liegt zwischen zwei alten Gewölbekellern ein Verbindungsgang, der gerade mal zwanzig Jahre jung ist. Er verbindet buchstäblich Welten, denn in diesem Gang treffen bei wechselnden Ausstellungen Werke unterschiedlichster Art aufeinander.

Ikonenmuseum Schweiz


Die aktuelle Ausstellung «Le Corbusiers Ikonen der Moderne» im Ikonenmuseum Schweiz im Museum Burghalde Lenzburg ist noch bis am 12. Februar 2023 zu sehen. Das Buch «Ikonen – Abbilder, Kultobjekte, Kunstwerke» kann zum Preis von Fr. 38.– unter der E-Mail-Adresse verlag@seidelschuetz.org bestellt oder im Museum für Fr. 30.– erworben werden.

www.ikonenmuseum.ch

Die Symbole sind die gleichen


Aktuell treten in diesem Durchgang Ikonen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert in Verbindung mit Werken Le Corbusiers, des 1965 verstorbenen, weltbekannten Schweizer Architekten und Begründers der Moderne. Dessen druckgraphische Arbeiten weisen in Motivik und Bildsprache eine enge Verwandtschaft mit der Tradition der orthodoxen Heiligenbilder auf. Museumsleiter Marc Seidel nennt als Beispiel Le Corbusiers Bild «La main levée», das in der Ausstellung der Ikone des «Pantokrators» mit seiner segnenden Hand gegenübergestellt ist: «Kulturgeschichte tradiert Wissen und Symbole über Jahrhunderte. Solche Gegenüberstellungen zeigen dieses Wissen auf. Die Zusammenhänge erkennt man, wenn man weit über den Tellerrand hinausschaut, auch auf andere Kulturen.»

Ikonen als Fenster zum Himmel


Das Wort «Ikone» bedeutet «Bild» oder «Abbildung». Die Kunst der Ikonenmalerei hat ihren Ursprung im byzantinischen Reich des 6. und 7. Jahrhunderts. Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich durch verschiedene Schulen eigene Stile heraus. Innerhalb des orthodoxen Glaubens haben Ikonen zentrale Bedeutung. Sie sind als Fenster zum Himmel zu verstehen und ermöglichen den Gläubigen, mit Christus, Maria und den Heiligen in Kontakt zu treten. Die traditionelle, sehr aufwendige Technik der Bemalung und Vergoldung sowie die Verwendung von Naturpigmenten verleihen den Werken eine intensive Farbigkeit und Leuchtkraft. 

Zur politischen Dimension seiner Sammlung hält die Stiftung Museum Burghalde fest, dass die im Ikonenmuseum ausgestellten Tafeln aus dem slawischen Raum stammen, der auch Länder wie die heutige Ukraine und Weissrussland umfasst. Das Ikonenmuseum will nicht für politische Meinungsbildung missbraucht werden, sondern Brücken schlagen zwischen Kulturen, Menschen und Ländern.

Geschenkte Sammlung


Die Bereitschaft, über den Tellerrand hinauszuschauen, machte die Gründung des Ikonenmuseums in Lenzburg überhaupt erst möglich, denn das Stadt- und Regionalmuseum Burghalde kam vor 25 Jahren ganz unerwartet zu einer bedeutenden Sammlung von Ikonen. Der Lenzburger Ortsbürger Urs Peter Haemmerli – Abkömmling einer alten Lenzburger Familie und Chefarzt am Zürcher Triemlispital – vermachte der Stiftung Museum Burghalde seine Sammlung wertvoller Heiligenbilder russischer Herkunft. Gleichzeitig ermöglichte Haemmerli mit einer grosszügigen Spende den Umbau und die Einrichtung der Ausstellungsräume.

Sorgfältig dokumentiert


2002 wurde das Ikonenmuseum im Untergeschoss des Museums Burghalde eröffnet. Letztes Jahr feierte es mit mehreren Sonderausstellungen sein 20-Jahr-Jubiläum. Seit der Eröffnung wurde das Ausstellungskonzept um ein kleines Kino und ein Malatelier erweitert, die beide zeigen, wie die farbintensiven Bilder entstehen. Das Ikonenmuseum in Lenzburg gilt, da in seiner Art einmalig, gleichzeitig als «Ikonenmuseum Schweiz». Bilder von Christus, seinen Lebens- und Passionsszenen, verschiedene Darstellungstypen der Gottesmutter und Heiligenikonen bieten ein breites Themenspektrum der ostkirchlichen Kunst.

Museumsleiter Marc Philip Seidel (links) und der Präsident der Stiftung Museum Burghalde, Urs F. Meier, im Ikonenmuseum Lenzburg. | Foto: mca

Ikonen sind Glauben zum Anschauen


«Belebung» ist ein wichtiges Stichwort für den Museumsleiter Marc Seidel. Dieser Philosophie der Belebung folgt er konsequent, auch und gerade in Bezug auf die Ikonensammlung. Die temporären Pop Up-Ausstellungen heben durch thematische Gegenüberstellungen ausgewählte Aspekte hervor und machen die Kunst lebendig. Ikonen sind einerseits Abbilder, die biblische Gestalten und Geschichten festhalten, aber auch Kultobjekte, also «Glauben zum Anschauen». Und nicht zuletzt sind Ikonen Kunstwerke, entstanden im meditativen Prozess. «Allein schon das Material – Holz, Gold, Firniss – übt eine Faszination aus», sagt Seidel, der seine Stelle im Museum Burghalde vor fünf Jahren angetreten hat.

Hemmschwelle vor Museen darf nicht sein


Für den Kunsthistoriker, dessen Vater Theologe und Pfarrer war, waren das Jubiläum und die dafür geplante Buchpublikation gute Gründe, sich mit Ikonen vertieft zu befassen. Aus der Auseinandersetzung mit den 65 Objekten der Sammlung entstand das Buch «Ikonen – Abbilder, Kultobjekte, Kunstwerke». Marc Seidel hat es zusammen mit dem Publizisten Andrin Schütz und weiteren fachkundigen Autoren anlässlich des 20-Jahr-​Jubiläums erarbeitet. Es ist gleichzeitig Ausstellungsführer und Einstiegslektüre für interessierte Laien. Das Werk ist bewusst sehr zugänglich gestaltet: «Ikonen sind für alle da», betont Seidel. Und überhaupt: «Die Hemmschwelle vor dem Wort Museum darf nicht sein», findet der Museumsleiter. Sein erklärtes Ziel ist es, den Raum zu öffnen für das Nachdenken über die eigene Position in der Welt und das Museum zu einer Oase, einem Rückzugsort zu machen, wo Menschen Energie aus der Kunst schöpfen dürfen.

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