02.06.2016

Erblasten atomarer Art

Von Anne Burgmer

Die Kirchen setzen hierzulande zunehmend auf erneuerbare Energien. Spätestens seit Papst Franziskus‘ Enzyklika «Laudato si» wird die Bewahrung der Schöpfung als ein Teil der kirchlichen Agenda breiter wahrgenommen. Bei der Atomfrage geht es jedoch oft um den «Ausstieg». Der Atommüll und dessen Endlagerung werden ausgeblendet. Das will Gemeindeleiter Bernhard Lindner nun ändern.

«Die Atommüllendlager-Sache verfolgen wir zurzeit nicht mit voller Aufmerksamkeit. Unsere Prioritäten sind zurzeit die Energiestrategie 2050 sowie die Atomausstiegs-Initiative», sagt Kurt Zaugg-Ott, Theologe und Leiter der Arbeitsstelle «oeku – Umwelt und Kirche» in Bern. Das spiegelt wider, wie es um das Thema Atommüllendlager bestellt ist: Es ist kaum im Gespräch.

Gleicher Fokus – anderer Blickwinkel

Diese Aussage teilen auch Elisabeth Burgener und Jutta Lang. Das Thema sollte breiter diskutiert und erklärt werden, sagen sie mit unterschiedlichen Worten. Bei einem anderen Aspekt hingegen vertreten sie eine ganz konträre Ansicht: Ob die Region Jura Ost, genauer der Bözberg und noch exakter, die Gemeinde Villigen als möglicher Standort für ein Endlager für radioaktiven Abfall in Frage kommt.

Elisabeth Burgener ist Mitgründerin des Vereins «KAIB – Kein Atommüll im Bözberg», der seit 2010 aktiv ist. Zirka 700 Mitglieder zählt der Verein aktuell, pro Woche kommen im Schnitt ein bis zwei Neumitglieder dazu. KAIB spricht sich gegen die Region Jura Ost als Endlager aus. Die NAGRA, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, ist hingegen der Ansicht, die Region Jura Ost ist eine der Regionen in der Schweiz, in der ein sicheres Tiefenlager gebaut werden kann. Jutta Lang ist Chemikerin und Ressortleiterin Medienstelle und arbeitet seit neun Jahren für die NAGRA.

Überspitzt formuliert treffen in den beiden Frauen der emotionale und der wissenschaftliche Aspekt der Debatte um ein Tiefenlager aufeinander. Die eine sieht, sachlich begründet, ihre Heimatregion bedroht – die andere sucht nach der sichersten Möglichkeit, hochradioaktiven Abfall zu lagern. Der Fokus auf die nachfolgenden Generationen ist beiden gemeinsam – der jeweilige Blickwinkel ein anderer.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Auch Bernhard Lindner wünscht sich, dass das Thema Atommüllendlager mehr Beachtung findet. Aus diesem Grund organisiert  der Gemeindeleiter in der Römisch-Katholischen Pfarrei St. Kosmas und Damian in Oeschgen in seiner Funktion als Erwachsenenbildner bei Bildung und Propstei zwei Anlässe zum Thema. «Das Ziel ist, die Leute zu beteiligen und den Raum zu öffnen, in dem sie sich äussern können. Das Thema wird insgesamt auf schmaler Flamme gekocht, und mit der Enzyklika «Laudato si» im Rücken ist es auch Aufgabe der Kirchen, sich beim Thema zu engagieren», erklärt Bernhard Lindner.

Thomas Wallimann-Sasaki, Sozialethiker am Sozialinstitut KAB, wird als Referent einen Vortrag zum Thema aus sozialethischer Sicht halten. «Es geht bei dieser Sichtweise letztlich um die Frage der Gerechtigkeit», erklärt Thomas Wallimann-Sasaki. Wer trägt zum Beispiel bei Entscheiden um ein Endlager die Lasten, wer hat den Nutzen? Wie gerecht ist das Verfahren der Beteiligung an Entscheiden und mit Worten aus «Laudato si»: «da die Erde, die wir empfangen haben, auch jenen gehört, die erst noch kommen. Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die grade aufwachsen?»

Unfreiwillige Erben

Einen weiteren Aspekt erwähnt Thomas Wallimann-Sasaki: Wie gehen wir als Gesellschaft damit um, dass wir uns technisch in eine Situation manövriert haben, die uns mit Abfallproblemen belastet, die wir nicht einfach lösen können? Normaler Hausmüll steht einmal in der Woche im Gebührensack an der Strasse – mit radioaktivem Müll ist das nicht möglich.

Die Diskussion zeigt ein Dilemma: Wir alle sind Mitverursacher von Müll, den wir nicht wollen. Wir benutzen Strom und dieser Strom kommt auch aus Kernkraft. Gleichzeitig sind bereits wir unfreiwillige Erben eines Prozesses, den wir nicht gestartet haben. Deshalb lautet eine Frage vielleicht auch: Wie wütend sind wir auf die Vorgängergenerationen, die uns das Thema eingebrockt haben?

 

 

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