25.08.2016

Erfolge in schwierigem Umfeld

Von Andreas C. Müller

Dieses Jahr im September organisieren die Zofinger Kirchen erneut eine ökumenische Erwachsenenbildungsreihe zum Thema Migration und Religion. Aus gutem Grund: Mit der kantonalen Asylunterkunft ist die Stadt gefordert. Es gelang ein konstruktiver Weg– auch dank dem Einsatz der Kirchen. Horizonte hat sich vor Ort ein Bild gemacht.

Freitag, halb neun Uhr morgens. Die Schulferien in Zofingen sind zu Ende. Auch die Deutschkurse der durch die Kirchen getragenen IG Deutsch für Migrantinnen und Migranten haben wieder begonnen. Annemarie Laugery organisiert als Vorstandsmitglied jener Interessengemeinschaft diese Kurse. Zusammen mit ihr und dem Diakonie-Verantwortlichen der Römisch-Katholischen Kirchgemeinde Zofingen, Peter Calivers (ebenfalls Vorstandsmitglied der IG Deutsch), begeben wir uns ins katholische Kirchenzentrum Chi-Rho, wo in zwei Räumen der Unterricht stattfindet: In vier Klassen für Anfänger bis Fortgeschrittene.

Liebes- und andere Flüchtlinge

Gertrud Palmen übt mit drei Frauen und einem Mann gerade ein Diktat. Die gelernte Übersetzerin unterrichtet die Fortgeschrittenen. Ein kleines Mädchen aus Afghanistan sitzt ebenfalls am Tisch und zeichnet. Es begleitet seinen Vater zum Unterricht. Die Mutter besucht bei den Anfängern den Deutschkurs.

Wir schauen den Kursteilnehmern über die Schulter. Es funktioniert recht gut. Nach Abschluss der Übung kommen wir mit den Anwesenden ins Gespräch. Diana aus Georgien und Cilesia aus Brasilien haben keinen Asylantrag gestellt, wie sie erzählen. Liebe und Heirat führten sie vor ein paar Jahren in die Schweiz. Sie nutzen die Gelegenheit, hier Deutsch zu lernen. «Wir haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass gewisse Ausländerinnen und Ausländer in regulären Schulkursen überfordert sind und nicht mitkommen. Hier bei uns hingegen schon», erklärt mir Annemarie Laugery. «Allerdings müssen diese Schülerinnen und Schüler mit Ausweis B und C – etwa 10 Prozent der Kursteilnehmer – Kursgeld bezahlen.»

Albanien, Afghanistan und Tibet

Qyqe, Mutter von vier Kindern, stammt aus Albanien. Sie kam via Deutschland vor 10 Monaten in die Schweiz. Die Sorge um ihren schwerkranken Sohn sowie ihre hohen Schulden liessen sie ihre Heimat verlassen. «In Albanien hast du keine gute medizinische Versorgung, wenn du nicht reich bist. Ich konnte wegen meines Sohnes nicht mehr arbeiten, musste mich wegen der Spitalrechnungen verschulden und wurde polizeilich verfolgt, weil ich meine Schulden nicht bezahlen konnte – ich sollte ins Gefängnis», schildert sie ihre Geschichte. «Hier geht es meinem Sohn endlich besser, ich möchte hier bleiben.» Ein Wunsch, der sich wohl kaum erfüllen lässt, ist Annemarie Laugery überzeugt. Qyqes Geschichte dürfte kaum die Bedingungen für Asyl in der Schweiz erfüllen.

Zabiullah aus Afghanistan ist offensichtlich der einzig «echte» Flüchtling am Tisch. Da betritt just in dem Moment noch ein Ehepaar aus Tibet den Raum. Die beiden kommen mit dem Rad aus Schöftland, weil sie sich die Fahrkarte für den Bus nicht leisten können.

 «Unser Sozialsystem ist zu gut»

Durchschnittlich 10 Personen sind in den Kursen jeweils anwesend, erfahren wir von Annemarie Laugery. Doch kämen die Leute oft zu spät oder gar nicht. «Anstatt am Morgen aufzustehen, bleiben manche liegen, bei schönem Wetter wird gern eine gemeinsame Unternehmung mit Bekannten dem Unterricht vorgezogen. Annemarie Laugery hat versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, hat Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und aus anderen Ländern mit dem Problem konfrontiert.

«Mir hat jemand gesagt, er käme mir zu liebe in den Kurs. Er bräuchte in der Schweiz keine Deutschkenntnisse», berichtet Annemarie Laugery und schliesst daraus: «Unser Sozialsystem ist zu gut. Für viele kein echter Anreiz, Deutsch zu lernen und hernach zu arbeiten.» Eine Haltung, welche die gelernte Kauffrau und Organisatorin der Deutschkurse vor allem bei Muslimen beobachtet hat: «Syrische Christen beispielsweise erklären, dass sie durchaus in ihr Land zurückkehren können, wenn der Krieg dort vorbei ist. In der Folge erhalten sie nur eine vorläufige Aufnahme, Unterbringung in einem Mehrbett-Zimmer einer Asylunterkunft und zehn Franken pro Tag für den Lebensunterhalt. Muslime hingegen behaupten, dass sie auch nach Kriegsende in ihrem Land bei einer Rückkehr persönlich verfolgt würden und prahlen dann bei mir mit ihrer B-Aufenthaltsbewilligung. Mit der Konsequenz, dass sie eine eigene Wohnung mieten dürfen und dieselben Sozialleistungen erhalten wie jeder Schweizer.» Ja, sie glaube aufgrund ihrer Erfahrungen, dass die Religion mitverantwortlich dafür sei, ob sich Flüchtlinge ehrlich verhalten oder nicht, folgert Annemarie Laugery.

Recht auf Deutschkurs erst mit Anerkennung als Flüchtling

Eine Aussage, die Peter Calivers so nicht machen würde. «Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass syrische Christen Nachteile haben, weil sie ehrlich sind.» Der Diakonie-Verantwortliche der Römisch-Katholischen Kirchgemeinde Zofingen wehrt sich aber gegen die «Generalisierung auf Muslime». Er räumt zwar ein, dass «unser Sozialsystem für gewisse Herkunftsregionen die falschen Anreize bietet». Die Gründe sieht Peter Calivers jedoch nicht bei der Religion oder den Flüchtlingen, sondern beispielsweise in dem Umstand, dass es in der Schweiz ein Recht auf Deutschkurse nach geltendem Asylrecht erst mit der Anerkennung als Flüchtling gebe. «Für eine Integration ist das zu spät und bietet möglichen Flüchtlingen keine motivierenden Perspektiven.» Zudem fehle der Schweiz ein sinnvolles Einwanderungsgesetz, weshalb das Asylrecht für viele die einzige Möglichkeit für eine Aufenthaltsgenehmigung darstelle.

Umso froher ist Peter Calivers, mit der angedachten Erwachsenenbildungsreihe, die von den Zofinger Kirchen im September ausgerichtet wird, einen wichtigen Akzent setzen zu können. Es werde in dieser Reihe auch ganz explizit um den Islam gehen, erklärt er. Titel dieses Jahr: «Der Nahe Osten – Ganz nah bei uns». Der Theologe und Leiter des Bibel und Orient-Museums in Fribourg, Thomas Staubli, wird am ersten Abend (1. September 2016) den Nahen Osten aus theologischer Sicht beleuchten. Es folgt am zweiten Abend (8. September 2016) der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze aus Bern, der die Konfliktsituation in Syrien und die daraus resultierenden Flüchtlingsströme analysieren wird.

Islamvertreter diskutieren mit katholischen Theologen

Als Höhepunkt am dritten Abend (15. September 2016) werden Halit Duran, Präsident Verein Aargauer Muslime (steht für einen traditionellen, konservativen Islam) und Jasmin El-Sonbati (Mitbegründerin Forum für einen fortschrittlichen Islam) mit dem katholischen Theologen und Erwachsenenbildner Thomas Markus Meier über die verschiedenen islamischen Strömungen in der Schweiz diskutieren. Kritische Erfahrungen mit muslimischen Einwanderern und entsprechende Schlüsse, wie sie beispielsweise Annemarie Laugery zieht, werden dann aber nicht diskutiert. Das würde anstelle eines innerislamischen Streitgesprächs nur dazu führen, dass sich die beiden Podiumsgäste gemeinsam gegen «populistisches an den Karren fahren» wehren müssten, erklärt Thomas Markus Meier.

Agitation in Aarburg, Zurückhaltung in Zofingen

Gleichwohl: Es ist erstaunlich, dass es in Zofingen im Gegensatz zu Aarburg ruhig geblieben ist. Kein Protestgrillen, kein Aufschrei der Politiker mit Blick auf zu befürchtende Sozialkosten. Und das, obschon in Zofingen eine kantonale Asylunterkunft steht. Was hat Zofingen anders gemacht?

«Man muss sehen, dass Aarburg als eher finanzschwache Gemeinde mit einem sehr hohen Ausländerausteil eine grundsätzlich schwierigere Ausgangslage hat als Zofingen», erklärt Peter Calivers. Im Gegensatz dazu sei Zofingen zusammen mit allen Beteiligten von Anfang an stets unaufgeregt und sachorientiert vorgegangen. «Man muss sich vorstellen: Gerade als in Aarburg seinerzeit die Emotionen hochgingen, kam in Zofingen die Nachricht, es werde eine kantonalen Asylunterkunft für bis zu 170 Flüchtlinge geben. Da hatten viele Angst, dass es jetzt in Zofingen genauso herauskommen werde wie in Aarburg», erinnert sich Annemarie Laugery. Auch sie, die die Flüchtlingssituation aufgrund ihrer Erfahrungen sehr kritisch, aber auch differenziert beurteilt, stellt der Stadt Zofingen ein gutes Zeugnis aus. Besonders hervor hebt sie, dass die Stadt eine Hotline für die Bürgerinnen und Bürger eingerichtet, also die Ängste der Menschen ernst genommen und die Hand gereicht habe.

Als weitere Erfolgsfaktoren im Meistern eines schwierigen Umfelds ortet Peter Calivers, dass die Stadt sofort den Lead in der Begleitgruppe übernommen, stets transparent kommuniziert und mit dem Kanton möglichst viel zugunsten der Stadt ausgehandelt habe. So zählen auch die in der kantonalen Asylunterkunft lebenden Flüchtlinge zum Kontingent, das die Stadt aufnehmen muss, wie Walter Siegrist, Leiter Bereich Soziales der Stadt Zofingen, auf Anfrage erklärt.

Anschlusslösung für die kantonale Asylunterkunft

Seit zwei Jahren fungiert das alte Pflegezentrum des Spitals Zofingen als kantonale Asylunterkunft – mit absehbarem Ende. Eigentlich soll im November 2016 Schluss sein, doch Peter Calivers vermutet, dass die Frist vielleicht um ein bis zwei Monate verlängert werden könnte. Dazu Walter Siegrist: «Das weitere Vorgehen inklusive Zeitplan wird Mitte September 2016 besprochen. Die Gemeinde Zofingen ist aber bereits daran, eine Anschlusslösung – nach Schliessung der Unterkunft an der Mühlethalstrasse – zu suchen.»

 

 

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