06.07.2020

Jubiläum: Eugen Vogel ist schon seit 70 Jahren Priester

Von Christian Breitschmid

  • Vor 70 Jahren, am 29. Juni 1950, wurde Eugen Vogel in Solothurn zum Priester geweiht. Er ist nach dem Tod von August Berz der älteste Priester im Bistumskanton Aargau.
  • Horizonte besuchte den Jubilaren in seinem Haus in Hausen, wo er engagiert und humorvoll Rückschau hielt auf sein Leben und Wirken als Priester, das für ihn immer eine Berufung und niemals einfach nur ein Job war.
  • Zu seinem Jubiläum wünschte sich Eugen Vogel kein Fest, sondern eine Messe. Und eine solche hat er erhalten: am 29. Juni im Kirchenzentrum St. Marien in Windisch, wo er während 27 Jahren Pfarrer war.

 

Herr Vogel, am vergangenen Montag durften Sie Ihr 70. Jahr als Priester feiern. Warum sind Sie überhaupt Priester geworden?
Eugen Vogel: Das begann schon sehr früh. In der vierten Klasse wollte ich entweder Schreiner, Schneider oder Pfarrer werden. In der fünften Klasse war die Entscheidung in mir gereift: ich wollte Pfarrer werden. Ein Onkel von mir war Pfarrer. Er hatte einen grossen Einfluss auf mich. Ausserdem entstamme ich einer elfköpfigen Familie aus Escholzmatt im Entlebuch. Wenn man da etwas aus sich machen wollte, dann blieb einem fast nur dieser Weg. In der fünften Klasse hatte ich lauter Sechser im Zeugnis – nur in «Disziplin» war ich nicht so gut… (lacht)

Wie ist es heute, Priester zu sein, verglichen mit Ihren Anfängen 1950?
Heute ist es viel schwieriger. Das Priesteramt hatte früher eine viel grössere Bedeutung. Ich glaube, die Art von Priester, wie ich noch einer bin, stirbt aus. Wir waren noch wirklich für alles zuständig in unseren Gemeinden. Heute ist ein Priester ja nur noch ein priesterlicher Mitarbeiter in einem Verband. Er hat vor allem die Aufgabe, Eucharistie zu feiern. Die ganze Vielseitigkeit von früher geht verloren.

Haben Sie Ihre Berufswahl je bereut?
Nein, bereut habe ich sie nie, aber in Frage gestellt. Das war, als ich in der Klosterschule Disentis die Matur machte. Da fragte ich mich, ob ich nicht doch lieber Medizin studieren sollte. Aber ich entschied mich dennoch dazu, Pfarrer zu werden. Ich besuchte das Priesterseminar in Luzern und, im letzten Jahr, in Solothurn. Dann studierte ich noch ein Jahr in St. Sulpice in Paris. Ich hatte immer eine positive Einstellung zu meinem Beruf und habe ihn gern gemacht. Ich hatte auch das Glück, dass ich dabei selber nie in Frage gestellt wurde.

Welche waren ihre prägendsten Erlebnisse im Laufe Ihrer Karriere als Priester?
Schön war meine Zeit als Vikar in Aarau. Ich war bei Armen und Reichen damals gleichermassen willkommen, bei den armen Leuten in der Halde genauso wie beim Teigwaren-Businger. Ich hatte mir immer gewünscht, einmal eine Diaspora-Gemeinde übernehmen zu dürfen. In Windisch habe ich das bekommen. Ich wurde da der erste katholische Pfarrer in der ersten katholischen Kirche seit der Reformation. Das war 1965, als wir die Marienkirche einweihten. Und schon im Jahr darauf durfte ich die Pauluskirche Birrfeld einweihen. Damals herrschte eine echte Aufbruchstimmung in der Kirche. Schön war auch die Zusammenarbeit mit dem reformierten Pfarrer von Windisch. Wir wurden richtige Freunde. Ich war sowieso immer gegen die Abgrenzung zwischen den Konfessionen. Das sind doch alle getaufte Christen wie wir, das alleine zählt. Der Kontakt mit den Menschen war mir immer ein Bedürfnis. Das hat mich erfüllt, und das wurde auch geschätzt. 2004 wurde ich sogar zum Ehrenbürger der Gemeinde Windisch ernannt.

Wenn Sie Papst wären, was würden Sie ändern in der Kirche?
Einiges, wahrscheinlich! (hebt die Arme und lacht)

Und was zuerst?
Den Zölibat würde ich aufheben. Nicht jetzt wegen mir, aber aus Notwendigkeit für die Kirche. Er ist ein Grund dafür, dass es zu wenig Priester gibt. Nicht der einzige, aber ein wichtiger. Es gibt zwar schon einen Wandel zum Guten in unserer Kirche, aber halt nur langsam. Ich sage immer: die Mühlen Gottes mahlen langsam – und die Mühlen der Kirche noch langsamer (lacht). Wichtig ist, dass man den Jungen hilft, eine tiefe Religiosität zu entwickeln. Dazu braucht es gute Leute in den Seminarien. Vorbilder sind notwendig.

Wie haben Sie Ihr Jubiläum am vergangenen Montag erlebt?
Ich wollte ja kein Fest, ich wollte eine Messe, und das war ein wunderbarer Gottesdienst! Wegen der Vorsichtsmassnahmen durften ja nur 100 Leute in die Kirche, sonst wäre sie wohl ganz voll gewesen. Aber der Kirchenchor sang, und viele Gratulanten richteten ihre Grussworte an mich. Vom Bistum kam ein schöner Brief, und Bischof Felix hat mir das Buch «Im Fahr» geschenkt. Diese Lebensgeschichten von ganz einfachen Schwestern im Koster Fahr habe ich von vorn bis hinten durchgelesen. Das hat mir sehr imponiert.

Wenn Sie nochmals von vorn beginnen könnten, würden Sie wieder diesen Weg wählen?
Wahrscheinlich schon. Mein Beruf hat mich erfüllt. Ich bin damit gut gefahren und ich hatte auch immer gute Stellen, als Vikar in Aarau und Brugg, dann in den 27 Jahren als Pfarrer in Windisch, wo ich auch noch Dekan des Dekanats Brugg und Synodenpräsident der römisch-katholischen Landeskirche im Aargau war, und dann noch in meinen sieben Jahren in Wohlenschwil, wo ich praktisch auch Pfarrer war, einfach mit halbem Lohn und ganzer Arbeit. (lacht und schlägt die Hände zusammen)

Als Sie Priester wurden, genoss dieser Berufsstand noch hohes Ansehen. Was müsste man heute tun, um den Respekt und das Vertrauen von früher zurückzugewinnen?
Vor allem muss die Kirche bei der Auswahl und der Schulung künftiger Theologen besser darauf achten, wer sich wirklich dazu eignet. Zu meiner Zeit war es ja geradezu ein Trend, Pfarrer zu werden. Da wurde auch manch einer genommen, der nicht wirklich für diesen Beruf geschaffen war. Wichtig ist auch, dass man heute eine Theologie vertritt, die attraktiv ist. Nächstenliebe und Gottesliebe müssen dabei ganz im Vordergrund stehen. Nicht wie früher, als es noch hiess: Wer am Sonntag nicht zur Kirche geht, begeht eine schwere Sünde, und wer eine schwere Sünde begeht, kommt in die Hölle. Meine Devise ist: Mensch ist Mensch und Christ ist Christ – ich will sie begleiten, nicht bedrohen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Für die Kirche und die Welt, dass die Religiosität wieder wichtiger wird und zunimmt. Wir sind schon sehr wissenschaftsgläubig geworden. Aber gerade die Coronakrise zeigt uns, dass das nicht reicht, und die Leute merken das auch. Was mich persönlich anbelangt, da muss ich sagen, dass man sich mit 96 Jahren durchaus mit dem Lebensende auseinandersetzt. Mir geht es gut, ich bin zufrieden – und ich kann sagen, ich kann jeden Tag gehen.

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